Im Internet zu zocken, das stand für ihn jeden Tag auf dem Programm. In nahezu jeder freien Minute. Ob Werktag. Ob Wochenende. "Ich stand früh um vier Uhr auf, um eine Stunde spielen zu können, bevor ich zur Arbeit ging", sagt Alex K. (Name aller Betroffenen geändert, d. Red.) aus Main-Spessart. Alex K. ist 30 Jahre alt. Nach vier Jahren intensiven Glücksspiels schaffte er Ende 2017 den Ausstieg aus der Sucht. Vor einem Jahr gründete er mit dem ebenfalls Betroffenen Karl W. eine Selbsthilfegruppe in Lohr.
Nach kurzer Zeit pleite
Alex K. wohnt in einer kleinen Ortschaft in Main-Spessart. Wo es keine Spielhalle gibt. Aber die braucht er auch nicht: "Ich habe immer Online-Glücksspiele gespielt." Was, wie Alex K. sagt, besonders fatal ist. Schneller als in jeder Spielhalle wird man im Internet horrende Summen los. Wie viel er verzockt hat, kann Alex K. nicht sagen: "50 000 Euro waren es mindestens, ich habe mich um Kopf und Kragen gebracht." Obwohl er, der in der Industrie tätig ist, gut verdient hat, war er nach kurzer Zeit pleite. Das befeuerte die Sucht: "Ich setzte alles daran, das verlorene Geld wiederzugewinnen." Das klappte nicht. Die Suchtspirale drehte sich im Gegenteil immer weiter nach unten.
Jeder Spieler erhält früher oder später die Quittung für seine Spielsucht, sagt Alex K. Keiner schafft es, seiner pathologischen Leidenschaft zu frönen, ohne höchst unangenehme Folgen in Kauf nehmen zu müssen. Denn die Chance, zu gewinnen, ist weit geringer, als die Chance, zu verlieren. Schließlich wollen diejenigen, die Glücksspiele anbieten, etwas verdienen. Für diese Logik allerdings sind Süchtige unempfänglich. Genau darauf spekulieren Glücksspielanbieter, sagt der zweifache Vater, dem es am liebsten wäre, Glücksspiele aller Art würden verboten: "Ich selbst kaufe nicht einmal mehr ein Los auf einem Kindergartenfest."
Selbsthass entwickelt
Schon ziemlich bald, sagt Alex K., hatte er die Nase gestrichen voll von seiner Sucht. Denn was am Anfang aufregend war, war nach kurzer Zeit nur noch Zwang: "Ich habe einen richtigen Selbsthass entwickelt, konnte mich nicht mehr ausstehen, weil ich dauernd spielte." Immer wieder sagte er sich: "Nur noch ein einziger Gewinn, dann ist Schluss." Doch es ging immer weiter. Bis seine Lebensgefährtin dahinter kam, was Alex K. heimlich trieb. Sie setzte ihm ein Ultimatum: Die gemeinsame Tochter und sie – oder die Sucht. "Dafür bin ich ihr unheimlich dankbar, denn ich selbst hätte es nicht geschafft, aufzuhören", sagt der Industriearbeiter.
Es braucht in aller Regel ein Ultimatum, um der Sucht zu entrinnen, weiß Alex K., der sich zu normalen Zeiten im Zwei-Wochen-Abstand mit anderen Spielern in der Lohrer Selbsthilfegruppe trifft. Erst dann seien Abhängige bereit, sich Hilfe zu holen. Er selbst wandte sich an die Suchtberatung der Lohrer Caritas: "Die Einzelgespräche, die ich dort hatte, haben mir sehr geholfen." Außerdem schloss er sich der Männergruppe der Beratungsstelle an. Dort lernte er Karl W. kennen. Weil sich die beiden innerhalb der Gruppe für Männer mit Suchtproblemen als Exoten fühlten, gründeten sie eine eigene Gruppe nur für Glücksspieler.
Ständig Ausflüchte gebraucht
Wie sehr die Sucht einen Menschen malträtieren kann, hat auch Karl W. intensiv erlebt. Karl W. ist 54 Jahre alt, wohnt in Main-Spessart, und stieg wenige Monate vor Alex K. aus der Sucht aus: Am 31. August 2016 spielte er das letzte Mal. Seiner Freundin gegenüber ständig Ausflüchte gebrauchen zu müssen, war für ihn schrecklich gewesen: "Es waren am Ende vor allem diese Lügen, die ich nicht mehr aushielt." Dauernd musste er irgendetwas erfinden, warum er, trotzdem er gut verdiente, kein Geld hatte. Nach einer durchzockten Nacht vor knapp vier Jahren offenbarte er sich der Freundin, wenige Monate danach ging er auf stationäre Therapie.
Als Profis in eigener Sache wollen Axel K. und Karl W. Menschen zur Seite stehen, die von einer Glücksspielsucht betroffen sind. Zum harten Kern ihrer Gruppe gehören aktuell zwei weitere Männer.
Andere Gruppenmitglieder erscheinen unregelmäßig. Dass durch die Corona-Pandemie derzeit keine Treffen möglich sind, bereitet den Gruppengründern Sorgen. Schwierig ist dies besonders für Neue. "Ich hatte kürzlich eine Neuanfrage für unsere Gruppe", schildert Karl W. 45 Minuten redete er via Handy mit dem Mann: "Ich bot ihm an, sich jederzeit bei mir zu melden, wenn er Suchtdruck hat."
Corona-Krise als Gefahr
Dass es Glücksspieler in der Krise zu ihrer einstigen Lieblingsbeschäftigung ziehen könnte, sieht auch Ahmed L. als Gefahr an. "Mitglieder unserer Gruppe können mich Tag und Nacht kontaktieren, wenn sie Suchtdruck haben", betont der 42-Jährige aus Main-Spessart, der zum Kern der Spielergruppe gehört. Er selbst wurde durch Schicksalsschläge 2006 spielsüchtig.
Als er einen psychischen Tiefpunkt erreicht hatte, habe er Spielautomaten als faszinierende Fluchtmöglichkeit entdeckt, erzählt Ahmed L. Binnen vier Jahren verspielte er über 10 000 Euro. 2010 schaffte er den Absprung. Das hatte er zum einen seiner damaligen Frau, zum anderen einer Arbeitskollegin zu verdanken: "Sie sprach mich auf mein Verhalten an und gab mir einen Denkanstoß." Gespräche in der Caritas-Suchtberatung in Würzburg halfen Ahmed L., von seiner Spielleidenschaft loszukommen.