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ERLENBACH
„Herr, Dein Wille geschehe“
Fischer Dorothea
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:10 Uhr

Ein Lächeln umspielt das von Falten überzogene Gesicht von Marie*, wenn sie ihre Pralinenschachteln vor sich ausbreitet. Es sind ihre Schatzkisten der Erinnerungen. Erinnerungen an lieb gewonnene Menschen wie ihren verstorbenen Mann. In den Schachteln verwahrt die 83-jährige Sterbebilder aus vergangenen Zeiten. Und wenn sie eine von ihnen öffnet, weht ihr der angenehme Duft feinster Schokolade um die Nase.

Maries Sammlung ist mittlerweile ganz schön umfangreich, weiß Friedhelm Kunz. Der Erlenbacher besucht sie regelmäßig, um gemeinsam Bildchen anzuschauen. Fünf Jahre ist es her, dass er selbst eine Sammlung von rund 700 Sterbebildern übernommen hat – nämlich jene, die der 2007 verstorbene Konrad Liebler aufbewahrt hatte. Er war jemand, der diese Andenken über Generationen hinweg bewahren wollte.

Kunz hat es sich damit zur Aufgabe gemacht, die Erlenbacher Zeitdokumente zu verknüpfen, Familienverbände herauszuarbeiten. Ursprünglich hatte er vorgesehen, die mittlerweile auf rund 1000 Zettel angewachsene Sammlung an Schautafeln beim Dorffest im Juni zu zeigen. Doch daraus wird nichts. Zu groß ist der Aufwand für die Recherchearbeiten. Stattdessen wird es voraussichtlich im Winter eine gesonderte Ausstellung geben.

Doch was sind Sterbebilder eigentlich? In der katholischen Kirche in Europa galten sie lange als die schriftliche Bitte, für das Seelenheil eines Verstorbenen zu beten. „Herr, Dein Wille geschehe“ oder „Zur Erinnerung im Gebet“ ist auf ihnen vermerkt.

„Ich bin erschüttert, wie viele junge Männer aus so einem kleinen Dorf, wie Erlenbach es damals war, gefallen sind.“
Friedhelm Kunz, Hospizhelfer und Sterbebildchen-Sammler

Heute ist der Grundgedanke, dem Toten auf seinem Weg in die Seligkeit helfen zu wollen, in den Hintergrund gedrängt. Die Zettel dienen vor allem als Zeugnis gegen das Vergessen eines lieb gewonnenen Menschen.

Als „Bilder“ wurden sie vermutlich erst bezeichnet, als man begann, Heiligen- und Andachtsbilder abzudrucken. Hauptthema war oft die Passion Christi. Oft finden sich auch Maria, die Heilige Familie oder Schutzengelbilder. Aufbewahrt werden sie zu Hause in Schubladen, im Gesangbuch oder eben in Pralinenschachteln. Sie sind Quelle netter Anekdoten, nicht nur für Marie.

Auch Friedhelm Kunz schmunzelt über seine Sammlung. „Das älteste Bild stammt aus dem Jahr 1903“, sagt er. Auf dem Totenzettel von Margaretha Liebler, der entgegen der Bezeichnung „Sterbebildchen“ noch keine Fotografie enthält, steht in altdeutscher Schrift zu lesen, dass die verheiratete „Frau“ „nach langem schweren Leiden und öfterem Empfang der heiligen Sterbsakramente“ verstarb.

Der Betende kann anhand der abgedruckten Daten sehen, wie viele Tage an Fegefeuer er der „armen Seele“ ersparen kann, zum Beispiel: „Süßes Herz Maria, sei meine Rettung! (300 Tage Ablaß)“.

Im Wesentlichen sind die Gestaltungsmerkmale über die Jahrhunderte gleich geblieben. Ein christliches Symbol, oft das Kreuz oder betende Hände, zieren die Zettel, die heute meist ein Faltblatt sind. Auch Grabkerzen, Anker oder Herzen waren gebräuchlich.

Auf der Außenseite wurden bis zum Anfang des Jahrhunderts standardisierte Reproduktionen von Heiligenbildern verwendet. Manchmal gab es auch melancholische Landschaftsbilder wie Sonnenuntergänge zu sehen.

„Heute werden oft individuelle Fotos mit Orten genommen, zu denen der Verstorbene einen besonderen Bezug hatte“, sagt Kunz, der sich als ehrenamtlicher Hospizhelfer oft mit dem Tod konfrontiert sieht.

Das Gleiche gilt für die Bilder der Toten – immer öfter zeigen sie typische Situationen, zum Beispiel Jäger mit Gewehr und Hund. Das gefällt Kunz grundsätzlich. Nur „Freizeitfotos“, zum Beispiel in Badekleidung, findet Kunz für das Sterbebild unpassend.

Ging man früher direkt zur Druckerei, wie etwa Hein in der Marktheidenfelder Mitteltorstraße oder Väth am Marktplatz, haben zwischenzeitlich oftmals die Bestattungsunternehmer eigene Druckmaschinen. Wer Wert auf Individualität legt und etwas Geschick beim Gestalten an den Tag legt, kann Sterbebilder auch über das Internet bestellen.

Eine Besonderheit sind für Friedhelm Kunz die Gedenkzettel an im Weltkrieg Gefallene. Sie zierten bereits sehr früh Porträts – meist in Uniform – und enthielten einen Bezug zum Ort des Sterbens. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie weit sie in der Welt herumgekommen sind“, sagt er. Zum Beispiel bis nach Afrika oder Russland, wo sie oft auch verstorben sind.

Und weiter: „Ich bin erschüttert, wie viele junge Männer aus so einem kleinen Dorf, wie Erlenbach es damals war, gefallen sind.“ Die Rückseite dieser Bilder wurde schon früh mit aufwändigen Stichen und heldenhaften Worten gestaltet.

Kunz Sammlung umfasst außerdem einige Bilder von Priestern, Missionaren und Ordensleuten, die aus Erlenbach stammten oder hier gewirkt hatten. Ihnen wird üblicherweise nicht nur zum Tod ein Bild gewidmet, sondern auch zu Jubiläen.

Exemplarisch für die bevorstehende Ausstellung hat Kunz die Erinnerungszettel an seine eigenen Vorfahren geordnet. „Mein Urgroßvater Adolf Josef Kunz, der 1872 geboren wurde, kam vermutlich aus Wüstenzell nach Erlenbach“, sagt Friedhelm Kunz. Doch noch gibt es auch im Stammbaum der Familie Kunz Lücken, zum Beispiel fehlt das Erinnerungsbild an die Großtante Anna Liebler.

Und nicht immer seien die persönlichen Daten vollständig, bedauert Kunz. „Manchmal ist eine Herleitung schwer, weil der Geburtsname fehlt.“ Erst seit etwa 25 Jahren, so schätzt der Sammler, werden in Erlenbach farbige Fotografien verwendet.

Er hofft darauf, dass ihm vor allem ältere Erlenbacher mit Nachschub beziehungsweise mit Sterbebildern aus vergangenen Zeiten versorgen. Auch die umfangreiche Sammlung von Marie ist ihm bereits gewiss – doch erst, wenn von ihr selbst ein Bildchen dabei sein wird. Denn noch sind sie Gedankenstützen an ihre Eltern, Geschwister oder den Mann.

Wer auch Sterbebilder von Erlenbachern hat und nicht mehr benötigt oder aber Kopien zur Verfügung stellen möchte, der soll diese nicht wegwerfen, sondern sich bei Friedhelm Kunz melden: Tel. (0 93 91) 9 35 97 09.

* Name von der Redaktion geändert

Der Brauch der Sterbebilder

Erste handgeschriebene Totenzettel gab es bereits im 17. Jahrhundert in holländischen Klöstern, dann auch bei katholischen Geistlichkeiten und im Adel. Sie wurden den Trauergästen – wie heute noch üblich – während oder unmittelbar nach der Beerdigung übergeben. Später wurden sie mit Hilfe eines Kupfer-, dann eines Stahlstichs gedruckt. Nach der französischen Revolution wurden „Bidprendtjes“ in den gesamten Niederlanden verteilt. Dann breiteten sie sich über das vornehmlich katholische Europa aus.

Um das Jahr 1840 herum werden sie auch in Bayern bekannt. Erste Sterbebilder mit Fotografien der Verstorbenen werden bekannt. Es kam die Lithographie (Steindruck) zur Anwendung. Ab dem Jahr 1880 konnte farbig gedruckt werden.

Besonders die Kriege Ende des 19. Jahrhunderts und die beiden Weltkriege förderten auf dem Land diesen Brauch. Man ehrte damit die Gefallenen, die ihre letzte Ruhestätte weit entfernt von der Heimat fanden. In der evangelischen Kirche wurde der Brauch weitgehend abgelehnt. dfi

Quelle: wiki-de.genealogy.net/Totenzettel

 
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