Niko Kettner aus Neubrunn war von 2002 bis 2005 selbst als Geselle auf Wanderschaft. Jetzt hat er in Neubrunn die „Herberge für rechtschaffene fremde Gesellen zu Würzburg“ ins Leben gerufen.
Was ihn dazu bewogen hat, die „Gesellschaft“, wie die Herberge im Fachjargon heißt, in Neubrunn anzusiedeln: Er kann nun fremden Gesellen das wiedergeben, was er selbst auf der Walz einst erlebt und erhalten hat. „Außerdem wollten wir den reisenden Gesellen eine weitere Anlaufstelle bieten, damit die Wege zwischen den Herbergen kürzer werden“, sagt Kettner. In Bayern gab es bisher nur eine Anlaufstelle in Nürnberg. „Zudem fungiert diese Herberge auch als Jobzentrale für die umliegenden Zimmereien und wir möchten gerne etwas enger mit der Handwerkskammer zusammenarbeiten“, so Kettner.
Die Gesellschaft unterstützt die reisenden Gesellen. Sie stellt jedem eiSchlafplatz und Verpflegung für eine Nacht kostenfrei zur Verfügung. Dann haben sie die Möglichkeit, sich vor Ort eine Arbeit zu suchen oder weiterzuziehen. Wer eine Arbeit gefunden hat, kann in der Herberge bleiben und erhält eine Unterkunft mit Dusche, Bad und WC für eine geringe Wochenpauschale.
Im Gasthaus „Zum Ochsen“ ist die „Herberge für rechtschaffene fremde Gesellen zu Würzburg“ untergebracht. Es sind zwei Zimmer mit je zwei Betten und einem Fernseher. Zusätzlich gibt es den Handwerkssaal, in dem alte Traditionen gepflegt werden, und die Herberge ist die Zentrale für Zimmerer, die auf Wanderschaft gehen wollen. Dort können sie Informationen erhalten und Erfahrungen austauschen.
Einmal monatlich Gesellenabend
In Neubrunn findet einmal im Monat ein großer Gesellenabend und alle 14 Tage ein kleiner Abend statt. Herbergsmutter Marlene Meckel, die die Wäsche für die Gesellen wäscht, hat auch immer ein offenes Ohr für die Anliegen und Problemchen der Burschen. Sie findet es gut, dass in der heutigen Zeit noch die alte Tradition aufrechterhalten wird und sich noch junge Leute finden, die drei Jahre auf Wanderschaft gehen, um Berufserfahrung zu sammeln.
Zurzeit wohnen zwei Wanderburschen in der Neubrunner Herberge: Johannes Graack (22 Jahre) aus Schlamersbach und Timon Lüsch (21 Jahre) aus Kükels, beides Orte bei Bad Segeberg. Sie sind seit 19. Mai auf der Wanderschaft und bereits viel in Deutschland herumgekommen, auch schon in der Schweiz und in Österreich. Seit vier Wochen arbeiten sie bei Holzbau Schäfer in Neubrunn, wo auch Niko Kettner nach seiner Walz eine Arbeitsstelle gefunden hat.
„Die Arbeit und das Organisatorische rund um die Gesellschaft machen viel Spaß, sind aber auch zeitaufwendig. Dank dem Verständnis meiner Freundin Antje Tandel kann ich diese Zeit investieren“, so Kettner. Der Dachverband der Neubrunner Gesellschaft ist die C.C.E.G. (Confederation Compagnonnage européen, europäische Gesellenzünfte). Ihm gehören unter anderem die Rolandsbrüder, die Fremden Freiheitsbrüder, die Freien Vogtländer und auch die rechtschaffenen fremden Gesellen an.
Weltweit 61 Anlaufpunkte
Die rechtschaffenen Fremden zählen rund 1000 Mitglieder und davon rund 90 reisende Gesellen im Alter von 18 bis 80 Jahren. Die Vereinigung der rechtschaffenen fremden Gesellen ist die älteste Zunft und hat weltweit 61 Anlaufpunkte in großen Städten für Burschen auf der Wanderschaft.
Die Regeln für die Walz
Drei Jahre und einen Tag dauert die Walz. Es gibt eine Bannmeile von 50 Kilometern im Umkreis des Heimatortes, die der reisende Geselle für die Dauer der Walz nicht betreten darf. Liegt die Stadt (Herberge), von der aus sich der Geselle auf die Wanderschaft macht, nicht in seiner Bannmeile, so wird diese für ein Jahr auch um diesen Ort gelegt. Die reisenden Kameraden müssen sich bei den Gesellschaften melden, sobald sie in den Landkreis der Herbergen kommen. (Wenn ein Geselle in den Landkreis Würzburg kommt, muss er sich in der Herberge in Neubrunn melden.)
Maximal sechs Monate dürfen die Reisenden an einem Fleck bleiben und müssen dann wieder Platz machen für weitere Gesellen. Einem rechtschaffenen fremden Gesellen ist es nicht gestattet, Verträge zu haben, die Kosten verursachen. Das heißt, er muss unverheiratet sein, darf keine Kinder und keine Schulden haben und muss ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis vorweisen. Außerdem darf er für die Dauer der Walz über kein Auto und auch kein Handy verfügen.
Nicht gestattet ist es dem Gesellen, Geld zu sammeln. Er verdient sein Geld durch rechtschaffene, ehrliche Arbeit. Nach Möglichkeit reist der Geselle mittellos, das heißt er tippelt (geht zu Fuß) oder fährt per Anhalter. Der Kamerad reist immer mit dem Stenz (Wanderstab) und dem Charlottenburger. Dies ist ein rund 80 auf 80 Zentimeter großes Tuch, in dem der reisende Geselle sein gesamtes Hab und Gut wie Schlafsack, eine zweite Kluft, Hemd, Unterwäsche, Waschzeug, Arbeitszeug, das notwendigste Werkzeug oder Fotoapparat einwickelt. Er wiegt zwischen 10 und 14 Kilogramm. Text: Ank