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LOHR
Herausforderung für die Psychiatrie
Archivbild: Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin in Lohr
Foto: Johannes Ungemach | Archivbild: Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin in Lohr
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:50 Uhr

Psychisch kranke Flüchtlinge werden in den Psychiatrien der Region nicht so nachhaltig betreut wie deutschsprachige Patienten. Die Flüchtlinge werden in den Kliniken zwar stabilisiert – meist medikamentös. Sie werden aber selten weiterbehandelt. Die bei deutschsprachigen Psychiatrie-Patienten übliche, oft langdauernde psychotherapeutische Anschlussbehandlung erfolgt in der Regel nicht. Dies bestätigen auf Nachfrage die Ärztlichen Direktoren der psychiatrischen Kliniken in Lohr, Werneck und Würzburg.

Der Grund ist das Sprachproblem. Sehr oft beherrschen die Migranten-Patienten keine Sprache, die von Mitarbeitern der Kliniken verstanden würde. Den Klinik-Verantwortlichen dürfte das nicht anzulasten sein: „Wir decken mit unseren 1200 Mitarbeitern 40 Sprachen ab; aber mit den Migranten kommen auch uns bislang unbekannte Sprachen und Dialekte zu uns“, sagt etwa der Ärztliche Leiter der Bezirksklinik Lohr, Professor Dominikus Bönsch. Das stelle für die Mitarbeiter gerade der Ambulanz eine Herausforderung dar: „Bevor wir einen Dolmetscher hinzuziehen, müssen wir ja erst herausfinden, für welche Sprache wir ihn brauchen“. Oft verzögere das die Behandlung.

Bönsch spricht von einem nicht lösbaren Problem

Auch in der Zukunft hält Bönsch eine Nachbehandlung psychisch kranker Flüchtlinge für kaum umsetzbar. „Sprachliche Kommunikation zwischen Behandler und Behandeltem ist die Voraussetzung für eine psychotherapeutische Nachbehandlung. Wenn die Kommunikation nicht funktioniert, kommen wir bei den Patienten nicht weiter“, so Bönsch. Er sagt: „Ich halte das für ein nicht lösbares Problem.“ In den Kliniken in Würzburg und Werneck wird diese Einschätzung geteilt.

Dominikus Bönsch
Foto: BKH Lohr | Dominikus Bönsch

Erschwerend kämen bei der Behandlung „kulturelle Differenzen“ hinzu. „Wie soll ich einem Mann aus der syrischen Wüste beibringen, dass seine Schmerzen psychosomatische Ursachen haben?“, fragt Bönsch. Problematisch sei auch, dass manche Migranten-Patienten Ärztinnen als Behandler nicht akzeptierten; dies berichtet neben Bönsch auch der Leiter der psychiatrischen Klinik an der Universität Würzburg, Professor Jürgen Deckert. Ein weiteres Problem ergibt sich laut Deckert aus dem Umstand, dass Migranten-Patienten einer psychiatrischen Behandlung oft ablehnend gegenüberstehen und den Weg in die Psychiatrie nicht selbst suchen. „Konkret bekommen wir Flüchtlinge immer erst zu sehen, wenn es brennt.

Migranten sind nicht daran gewöhnt, bei psychischem Leid Hilfe anzunehmen

Wenn sie akut psychotisch sind oder suizidal oder anderen auffallen“, so Deckert. Er führt dies auch darauf zurück, dass Migranten in ihrer eigenen Kultur psychiatrische Behandlung als stigmatisierend erlebten und auch nicht dran gewöhnt seien, bei psychischem Leid Hilfe in Anspruch zu nehmen. Deshalb, so Deckert, sehe er wenig depressive Flüchtlinge, sondern mehr „Fremdaggressive“, die der Polizei oder Mitarbeitern in Unterkünften aufgefallen seien. Deckert und Bönsch vertreten die Ansicht, dass die psychischen Probleme der meisten Flüchtlingspatienten nichts mit Flucht oder Krieg zu tun haben und mithin nicht jüngst, etwa bei der Flucht nach Deutschland, erworben sind, sondern – wie etwa die Schizophrenie – meist mitgebracht sind und ihren Ursprung früher haben.

Stellen psychisch kranke Flüchtlinge, die meist nur stabilisiert werden, aber keine psychotherapeutische Anschlussbehandlung bekommen, eine Gefahr dar? Auszuschließen sei dies nie, sagt Deckert; das habe aber nicht unbedingt mit der Art und der Länge einer Behandlung zu tun. Mit Blick auf nichtdiagnostizierte depressive und suizidale Flüchtlinge sagt Deckert: „Ich halte die, die wir nicht sehen, für problematischer als jene, die wir sehen“.

Jürgen Deckert
Foto: Martina Häring | Jürgen Deckert

Deckert: „Man kann ein Gefahrenpotenzial nicht verneinen.“

Deckert verweist darauf, dass „grundsätzlich Männer ein höheres Gewaltpotenzial haben als Frauen und grundsätzlich jüngere Männer ein höheres Gewaltpotenzial als ältere Männer. „Und wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die jungen Männer, die gekommen sind, sämtliche sozialen Bindungen, sozialen Bezüge und damit auch die soziale Kontrolle hinter sich gelassen haben, kann man ein Gefahrenpotential nicht verneinen.“ Alle drei Kliniken bestätigen, dass die Zahl der Flüchtlinge unter den Psychiatriepatienten bislang auf einem niedrigen Niveau lag und derzeit deutlich steigt.

 
 
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