Der Heinkel „Tourist“ ist Deutschlands bekanntester Motorroller. Vier Tage lang waren am Mühlberg bei Karbach knapp 300 begeisterte Freunde dieses Kultgefährts, das bis 1965 gebaut wurde, bei ihrem internationalen Jahrestreffen beisammen. Sie nutzten die Gelegenheit zu Fachgesprächen, zum Austausch von Informationen und vor allem zum Ankauf von Ersatzteilen.
Dass mittlerweile über 300 000 Ersatzteile (etwa 3000 verschiedene Artikel) verfügbar sind, liegt an der clubeigenen Heinkel Fahrzeugteile GmbH mit Sitz in Lauffen/Neckar. Geschäftsführer Wolfgang Kurz hat dort alle Ersatzteile für die Clubmitglieder parat – und auf Wunsch lässt er auch schon mal in Fernost bestimmte Teile nachfertigen. Kurz war mit einem Stand vor Ort. Denn bei aller Zuverlässigkeit der Roller – nach 60 Jahren kann dann doch mal ein Teil kaputtgehen.
„Heinkel-Spessarträuber“ organisierten Treffen
Organisiert wurde das Treffen von den „Heinkel-Spessarträubern“ unter der Federführung von Martin Volkmann (Zimmern) und Axel Reinke (Glattbach). Über ein halbes Jahr Arbeit liegt hinter ihnen. Volkmann hat seinen „Tourist“ schon mit 18 Jahren, damals als kompletter Laie, erworben. Er fährt ihn nun schon über 30 Jahre und ist damit sehr zufrieden.
Der Heinkel-Club Deutschland e.V. ist Europas größter markengebundener Oldtimer-Club. Das Jahrestreffen, dessen Treffpunkt jährlich wechselt, gibt es seit gut 30 Jahren. Letztes Jahr fand es in Gnodstadt statt, in Karbach (an der Fuchsenmühle) war es letztmals vor 15 Jahren.
Geschicklichkeit war gefragt
Zum Auftakt des Treffens fand am Freitag ein gemeinsames „Schaulaufen“ (besser: „Schaufahren“) auf der Martinswiese in Marktheidenfeld statt. Danach machten sich alle auf zu einer gemeinsamen Ausfahrt.
Am Samstag fand ein „Trial“ statt, den eine 22-jährige Fahrerin auf dem Heinkel-Moped „Perle“ fehlerfrei absolvierte. Den Geschicklichkeitsparcours hatte Bernd Durant (Oberfranken), der fast als Einziger offiziell Heinkel-Reparaturen durchführt, entworfen und komplett herantransportiert. Es galt, eine Wippe zu überqueren, enge Slalom-Passagen und Spurlatten zu durchfahren und beim Langsamfahren auf Zeit brauchte es große Fahrkunst.
Junge Leute waren bei dem Heinkel-Treffen eher die Seltenheit. Zwar wurde ein Mitt-Zwanziger gesichtet – bemerkenswerterweise mit dem Heinkel-Logo als Tattoo – die meisten Fahrer sind aber eher ältere Semester. Sie gehören zu denen, die sich nach dem Krieg kein Auto leisten konnten, aber mit dem robusten „Tourist“ bestens bedient waren. Der Roller fährt mit einem Ein-Zylinder-Viertakt-Motor, der auf 100 Kilometern unter drei Liter Benzin verbraucht.
Extra aus Argentinien angereist
Die weiteste Anreise innerhalb Deutschlands nach Karbach hatte ein 83-jähriges Club-Mitglied aus Flensburg. Er war die 840 Kilometer in drei Tagen auf dem Roller gefahren. Auch aus den Niederlanden und aus Tschechien waren Roller vor Ort. Den mit Abstand weitesten Weg hatte aber ein stolzer Besitzer von fünf Heinkel-„Kabinen“ auf sich genommen: Er war aus Argentinien gekommen, weil er sich Hilfe holen wollte, um alle fünf zu restaurieren.
Gespanne waren auch zu sehen, denn sehr beliebt waren seinerzeit die Seitenwagen der Firma Steipp für den „Tourist“. Ein Gespannbesitzer aus Südhessen, der stolz auf seine offizielle Plakette „100 000 Kilometer“ an seinem Roller hinwies, hat sogar einen Rückwärtsgang hinzugebaut, das Getriebe hatte er aus einem Heinkel-Kabinenroller ausgebaut.
„Tatü-Tata“ ist noch intakt
Mit Geschichte(n) der einzelnen Roller könnte man spannende Bücher füllen. Ein Club-Mitglied aus Mittelfranken hat einen der 20 „Tourist“-Roller, die die Polizei der Stadt München jahrelang im Einsatz hatte, erwerben können. Die Beschaffung der gesamten Zusatzausstattung, die damals verloren gegangen war, dauerte mehrere Jahre. Der Schriftzug „Polizei“ und das vorne sitzende Blaulicht müssen bei Überlandfahrten natürlich überdeckt werden – und das noch intakte „Tatü-Tata“ bleibt in der Garage.
Aus dem Hunsrück war ein „Tourist“ gekommen, der jahrelang bei der Bundespost im Einsatz war, vornehmlich im Telegrammdienst. „Servicewüste Deutschland“ war damals noch ein Fremdwort, denn der Roller hatte statt eines Gepäckfachs am hinteren Teil einen Briefkasten mit dem Vermerk „Leerung täglich“.
Junge Frau wird neidvoll auf ihren Roller angesprochen
Ein Clubmitglied aus Büchold hatte eine Anhänger-Kabine mit nur einem Reifen angekoppelt. Ein Fahrer aus Würzburg baut gerne einen Original-Kindersitz zwischen Fahrersitz und Lenker, mit Steigbügeln für die Füßchen, dazu. Und eine junge Dame aus Kaufbeuren bekam ihren „Tourist“ vom Vater zum Geburtstag geschenkt und meint, dass sie sehr häufig auch ein bisschen neidvoll auf den Roller angesprochen werde.