Dass Norwegen ihre Heimat werden sollte, hatte die Lohrerin Ines Overland, geborene Machat, nicht geplant. „Es war eine sehr glückliche Fügung“, sagt sie. Gegangen sei sie „mitten im Leben, als ich 35 und verbeamtete Gymnasiallehrerin für Deutsch und Englisch war.“
Das kam so: Bei der deutsch-norwegischen Hochzeit von Freunden im Juni 2007 begegnete sie dem norwegischen Informatiker Andreas Overland aus Mo i Rana am Polarkreis. Zwei Monate später trafen sie sich bei Freunden in Norwegen wieder. „Zufällig. Doch an diesem schicksalsträchtigen Abend beschlossen Andreas und ich, den Rest unseres Lebens zusammen zu verbringen.“ Das Paar heiratete am 17. Mai 2008 in Lohr.
„Unser Hochzeitstag war gleichzeitig der norwegische Nationaltag und die norwegischen Gäste kamen in Nationaltracht“, erzählt die heute 41-Jährige. Kurz nach der Eheschließung zog sie mit ihrer zehnjährigen Tochter Sara in die Heimat ihres Mannes. Mitgenommen habe sie „geschätzte hundert Meter Bücher“, ihren heiß geliebten Skoda, Fotoalben und ein Keiler-Blechschild von der Lohrer Festwoche.
Eine Großfamilie gewonnen
„Ich habe in Norwegen eine neue Welt und eine neue Großfamilie dazu gewonnen“, sagt sie. „Lebensglück“ nennt sie es und daraus klingt der innige Familienmensch Ines Overland. Mit ihrem Mann, Tochter Sara, dem fünfjährigen Sohn Fredrik und Nesthäkchen Eva Solfrid (3) lebt sie in Lommedalen (zu deutsch: Taschental) in einem roten Holzhaus. „Wie sollte es auch anders sein“, fügt sie an. Sie genieße die faszinierende Natur des Landes und die langen Tage im Sommer, in denen es nur kurz dunkel werde.
Die intensiven Winter und sechs Monate im Jahr Schneeschaufeln nennt sie „ganz normal“. Der Lebensstandard in Norwegen sei höher als der in Deutschland, die Kulturen beider Länder ähnelten einander. Eine Ausnahme: „Hier ist das Essen von Walfleisch erlaubt, doch das verzehrt kaum jemand.“ Die Menschen beschreibt sie als ruhig, besonnen und liebenswert. „Trolle sieht man nicht oft.“
Das Auswandern bezeichnet sie als „eine Herausforderung und eine wunderbare Chance.“ Auswandern öffne den Horizont, es fördere das gegenseitige Verständnis und könne starre Denkmuster und Vorurteile abbauen. „Wer wirklich ankommen will, sollte die Landessprache möglichst schnell lernen.“ Nur so könne man Zugang zu dem Gastland, seinen Menschen und deren Mentalität bekommen und heimisch werden. Für Ines Overland und ihre Tochter Sara war das Erlernen der norwegischen Sprache selbstverständlich. Nach zwei Monaten Büffeln hatten sie es geschafft.
Mit ihren Kindern spricht Ines Overland deutsch, ihre Schüler an der Grundschule (Klasse eins bis sieben) unterrichtet sie in allen Fächern auf Norwegisch. Darüber hinaus gibt sie an einer fortführenden Schule Deutsch und Englisch in der elften bis 13. Klasse. Über ihren Beruf sagt sie: „Die deutsche Lehrerausbildung wird in Norwegen voll anerkannt.“
Höflich und ruhig
Am Anfang habe sie sich umstellen müssen. „Die Menschen hier gehen viel höflicher und ruhiger miteinander um, als ich das von Deutschland gewohnt war.“ Zusammenarbeit werde unter den Lehrern großgeschrieben, ebenso die soziale Komponente in der Erziehung von Schülern. „Man unterrichtet nicht Fächer, sondern erzieht junge Menschen im schönsten Wortsinn.“ Die Schüler ihrerseits übten sich darin, aufeinander einzugehen und Unterschiede als Bereicherung zu sehen. Ob sie manchmal Heimweh habe? „Nein, eher Fernweh“, sagt sie. „Heimat ist für mich nicht an einen Ort gebunden; sie ist da, wo meine Familie ist.“ Zu ihr gehören ihre Schwester Maili Wagner, die mit Mann und Kindern in Ecuador lebt und ihre Eltern Astrid und Götz-Dieter Machat aus Lohr.