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MAIN-SPESSART
Heimat für 60 Schiffe
Marktheidenfeld zählt zu den bedeutendsten Binnenschiffstandorten bundesweit. Aber auch Schollbrunn mitten im Spessart ist Heimathafen.
Von unserem Mitarbeiter Joachim Schwamberger
 |  aktualisiert: 10.02.2011 17:49 Uhr

Schollbrunn eine Hafenstadt? Auf 412 Meter Meereshöhe? Weitab von jedem schiffbaren Gewässer? Tatsächlich! Zwei Tankschiffe sind hier mit Heimathafen gemeldet, wie es im Schifferdeutsch heißt. Schollbrunn steht nicht nur in den amtlichen Papieren, wenn vom Heimathafen die Rede ist – sondern auch sehr gut lesbar auf dem Heck der Schiffe. Das schreibt das Gesetz so vor.

Hermann und Björn Stahl sind Eigner des Tankschiffs „Main-Spessart“; die „Franken“ gehört Axel Stahl. Beide Schiffe fahren hauptsächlich auf dem Rhein und befördern in der Regel leichtes Mineralöl.

Auch Marktheidenfeld ist eine Hafenstadt. Klar doch, liegt ja auch am Main. Aber staunen macht etwas anderes: Marktheidenfeld ist einer der bedeutendsten Binnenschiffstandorte bundesweit. Nicht nur „Hädefelder“ Partikuliere – so nennt man selbstständige, selbst fahrende Binnenschiffer – haben hier ihren Firmensitz. Marktheidenfeld gehört zu den größten amtlichen Heimathäfen in ganz Deutschland. Rund 60 Schiffe sind hier gemeldet, darunter auch die der Marktheidenfelder Bernd Ludwig und Ernst Reinhart. Sie sind der Mainschifffahrtsgenossenschaft MSG in Würzburg (mit Filiale in Dorfprozelten) angeschlossen.

Die Firma Binnenschifffahrts-Verwaltungs-Gesellschaft (BVG) der Familie Hochbein in der Oberen Gasse betreut allein insgesamt 54 Partikuliere. Die meisten stammen aus Deutschland und aus Holland, der Rest aus der Schweiz, aus Rumänien oder zum Beispiel Belgien. Die BVG erledigt die gesamte kaufmännische Verwaltung für die Eigner.

Die Transportvermittlungs- und Handelsgesellschaft THG ist ebenfalls ein Zweigunternehmen der Familie Hochbein und vermittelt als Makler neue und gebrauchte Binnenschiffe. „Nicht jeder gute Binnenschiffer ist auch ein guter Verwalter“, erzählt BVG-Geschäftsführer Christian Hochbein. Das Angebot der BVG umfasst zum Beispiel neben der kompletten Abrechnung, Lohnbuchhaltung oder Versicherung auch die Finanzierung.

Dabei treten besonders die regionalen Banken als Geschäftspartner auf. „Die legen Wert auf die Regionalbindung und arbeiten lieber mit einem Unternehmen wie dem unseren zusammen, weil wir vor Ort und schon lange mit ihnen geschäftlich verbunden sind“, erklärt Hochbein.

„Manche der Schiffe oder ihre Besitzer haben Marktheidenfeld noch nie gesehen“, sagt Hochbein. Notwendig ist das auch nicht. Doch sie machen Marktheidenfeld bekannt. Den Namen der Stadt tragen sie über die Flüsse, denn die Nennung des Heimathafens auf dem Schiff ist vorgeschrieben. Die Schiffseigner bezahlen ihre Steuern in die Stadtkasse und haben ansonsten wenig mit der Kommune zu tun.

Hochbein: „Die Stadt hat solche Steuerzahler sehr gern, denn sie stellen keinerlei Forderungen an die Kommune. Dafür kommt sie ihnen auch dann und wann entgegen, wenn die Erlöse einmal nicht so arg reichlich fließen und die Steuer-Rate einmal gestundet werden soll.“

Aber mancher Schiffseigner legt durchaus regelmäßig in Marktheidenfeld an und einige haben hier auch ihren Wohnsitz genommen. So etwa John von Maren aus Holland und seine Frau Linda. „Die beiden haben im September 2008 in Marktheidenfeld geheiratet, leben hier – und erwarten demnächst Zwillinge“, freut sich Hochbein.

Christian Hochbein schätzt, dass es rund 2500 Binnenschifffahrtsbetriebe in Deutschland gibt. Die meisten sind am Wohnort ihres Besitzers gemeldet. Die größten Heimathäfen dürften Europas größter Binnenhafen in Duisburg, Elsfleth mit rund 60 Meldungen und Datteln im deutschen Kanalgebiet in Norddeutschland mit etwa 40 sein.

Die Situation auf dem deutschen Binnenschiff-Sektor sieht der studierte Diplom-Kaufmann Christian Hochbein nicht sehr rosig. Verbuchten im Jahr 2008 sowohl die Tank- als auch die Trockengut-Frachter noch solide Ergebnisse, ist der Markt 2009 – gerade bei den Frachtern – dramatisch eingebrochen . . . Im vergangenen Jahr kämpften selbst die Tanker ums Überleben.

Das mag ein Grund sein, weshalb sich immer weniger junge Schiffer entschließen, sich selbstständig zu machen oder den elterlichen Betrieb als Nachfolger zu übernehmen. „Für die so genannten Schiffsjungen, also die Beschäftigten, sind die Arbeitskonditionen auf einem Binnenschiff aber ziemlich attraktiv“, informiert Hochbein. „Die Gehälter sind recht hoch, an Bord muss man sich nicht um Unterkunft und Verpflegung kümmern und der Arbeitsrhythmus liegt in der Regel bei 14 Tagen Dienst und 14 Tagen frei.“ Die Branche suche trotzdem händeringend nach Arbeitskräften.

Eine erfreuliche Ausnahme ist die Schifffahrtsgesellschaft Rudloff – mit Heimathafen Eußenheim. Walter Rudloff ist stolz auf seinen Sohn Jens. „Der hat alle Patente, absolviert jetzt noch einige Zusatzkurse und wird dann unsere Firma übernehmen“, erklärt der Vater, der sein Unternehmen in absehbarer Zeit erweitern möchte. Dass sich immer weniger Schiffer selbstständig machen wollen, sieht er in bürokratischen und anderen administrativen Hindernissen begründet. „Dabei ist die Zahl der Schiffsjungen in der jüngeren Vergangenheit wieder angewachsen. Auch viele Mädchen – wenn das auch eigenartig klingt – sind Schiffsjungen, nämlich rund 30 Prozent.“

Unisono machen Hochbein und viele Partikuliere darauf aufmerksam, dass ein Binnenschiff wegen seiner riesigen Frachtkapazität das umweltfreundlichste Transport-Verkehrsmittel ist. „Aber wir haben, weil wir so wenige sind, halt keine so starke Lobby in der Politik wie Speditionen oder die Bahn . . .“

Daten & Fakten

Die BVG – Binnenschifffahrts-Verwaltungs-Gesellschaft mbH – wurde 1977 von Dr. Hans-Gerd Hochbein in Marktheidenfeld ins Leben gerufen. Er trat als Investor auf, denn er war Manager in verschiedenen anderen Unternehmen. Die BVG beschäftigt sich zum Beispiel mit der kaufmännischen Abwicklung der Geschäfte für die Schiffseigner, der Lohnbuchhaltung, der Zollabwicklung und anderen fachbezogenen Tätigkeiten. Sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon einer in der Filiale in Dessau, sind bei der BVG beschäftigt. Seit 2001 ist Diplom-Kaufmann Christian Hochbein der Geschäftsführer.

Die THG – Transportvermittlungs- und Handels-Gesellschaft – hat wie die BVG ihren Firmensitz in der Oberen Gasse 24 in Marktheidenfeld. Es gibt sie seit 1976. Geschäftsführerin seinerzeit war Wilma Hochbein, heute ist es ihr Sohn Christian Hochbein. Er ist auch 50-prozentiger Teilhaber einer Schiffswerft im niederländischen Groningen. Die THG tritt als Maklerfirma für Binnenschiffe auf und kümmert sich bei Bedarf auch um die Finanzierung. Bisher hat die THG fast 250 Schiffe vermittelt. Bei dem Unternehmen sind fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, alle haben ihren Arbeitsplatz in Marktheidenfeld.

 
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