Staustufe Harrbach, Dienstag 10.40 Uhr. Die drei Wehrtrommeln sind bereits hochgezogen. Kein Wasser läuft mehr drüber. Der Main aber bringt weiterhin Nachschub – jede Sekunde 109 Kubikmeter. Ein Teil des Wassers strömt zunächst in die Schleusenkammer, in der gerade zwei Schiffe auf die Weiterfahrt Richtung Karlstadt warten. Das meiste presst sich durch die Turbine des Wasserkraftwerks. Dann aber wird auch diese gestoppt.
Mit Spannung beobachten Heinrich Schoppmann, der Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamts (WSA) Schweinfurt, und sein Team sowie Gerald Steinmann von der Fachhochschule in Würzburg, was passiert. Klar, der Wasserspiegel im Oberwasser steigt, der im Unterwasser fällt, aber wie stark und wie schnell? Das gilt es über diesen "Naturversuch", wie es Schoppmann nennt, herauszufinden. "Es handelt sich um eine Notfallübung, falls mal was passiert", sagt er.
Wäre die Schifffahrt gefährdet?
Sollte es im Kraftwerk zum plötzlichen Stillstand kommen, während die Wehrtrommeln hochgezogen sind, so würde der Bereitschaftsdienst gerufen. Rund um die Uhr das ganze Jahr über wäre binnen einer Stunde jemand da. Sollte es auch bei den Wehrtrommeln eine Störung geben, so könnten diese mit Handkurbeln bewegt werden. Die komplette Technik aus der Zeit um 1935, als die Staustufe gebaut wurde, ist noch original und funktionstüchtig, selbst die Elektromotoren.
Wäre der Stau selbst im sechs Kilometer flussaufwärts liegenden Karlstadt spürbar? Würde der Pegel im Unterwasser so tief sinken, dass eine Wahrschau – also eine Warnung – an die Schifffahrt erfolgen müsste? Das sind Detailfragen des Versuchs. Theoretisch könnte der Pegel bis Karlstadt 30 Zentimeter steigen, hatte Schoppmann überschlagen. Da aber die Trommeloberkante zu Beginn des Versuchs nur 16 Zentimeter über dem Wasserspiegel liegt, ist abzusehen, dass das nicht passieren wird.
Tatsächlich schwappen nach nicht einmal einer Viertelstunde die ersten Wellen über die Wehrtrommel. WSA-Mitarbeiter Dominik Eck ermittelt an der Trennmauer zwischen Schleuse und Staustufe circa 20 Zentimeter Anstieg. Später werden es dort im Maximum 31 Zentimeter. In Karlstadt sind es rund zehn Zentimeter. Stärker bemerkbar macht sich der Versuch im Unterwasser. Direkt nach dem Wehr beträgt der "Sunk" rund 50 Zentimeter. Das ist zwar ungünstig für die Schifffahrt, aber noch nicht kritisch. Garantiert ist eine Fahrrinnentiefe von 2,50 Metern. Tatsächlich aber ist der Main auch hier schon auf 2,90 Meter ausgebaggert. Das WSA würde die Schifffahrt sicherheitshalber stoppen – so wie das vor dem Versuch auch geschehen war.
Unspektakulär, aber wichtig
Schoppmanns Fazit: "Ein Störfall wäre harmlos, wir müssten nicht in Hektik verfallen." Auch Steinmann hält das Ergebnis für unspektakulär, findet es aber wichtig, das einmal getestet zu haben.
Im Kraftwerk kann die Turbine nach einer Stunde wieder ihren Betrieb aufnehmen. Zügig setzt sie sich in Bewegung. Ein paar Dinge sind dort noch zu erledigen, beispielsweise die Frequenz an die des Wechselstroms im Netz von 50 Hertz anpassen. Bei einem Höhenunterschied von rund 4,50 Metern liefert der Generator rund 1000 Kilowatt. Der Wasserablauf entspricht an diesem Tag etwa dem Jahresdurchschnitt.
Nur einen hat der Versuch völlig aus dem Konzept gebracht: Ein Biber suchte offenbar den Weg ins Oberwasser. Doch die Herren des WSA störten seinen Weg. Erstaunlich lange ließ sich das normalerweise scheue Tier beobachten. Dann begab er sich doch zurück ins Unterwasser.