Die Sorgen des Kalten Krieges waren in den bunten Siebzigern allgegenwärtig. Viele junge Menschen wollten raus, aus der Spirale der Aufrüstung zwischen Ost und West. Ihre Verweigerung des Wehrdienstes sorgte für erbitterte Diskussionen. Bundestagsabgeordneter Hans-Josef Fell war Anfang der 1970er Jahre der erste gerichtlich anerkannte Wehrdienstverweigerer Unterfrankens.
Hans-Josef Fell: Heute wird es als selbstverständlich hingenommen. Die Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Zivildienst war eine große Errungenschaft. Wir sollten uns daran erinnern, dass es in vielen anderen Staaten der Welt ausschließlich die Wehrpflicht gibt. Weg von gewalttätigen zu friedlichen Konfliktlösungen, war ein großes Thema der 68er Generation. Friedlich ganz nach Mahatma Gandhi, wie es in der deutschen Wiedervereinigung gelebt wurde. Für mich ist Gandhi großes Vorbild. Deshalb war für mich klar, Wehrdienst wollte ich nicht leisten.
Ich hatte ja das Bild der Militärs vor Augen. Da kamen nicht immer positive Meldungen rüber. Es gab auch in Hammelburg Skandale mit würdelosen Schleifermethoden und in den Neunzigern den Videoskandal. Manches wusste ich aus Erzählungen von Soldaten.
Fell: Sie zog sich Jahre hin. Es gab zwei Anhörungen, dann ging es vor Gericht. In der Ersten wurde ich abgelehnt mit der Begründung, ich würde mich nicht sozial engagieren. Dies fand ich aber nur in der schriftlichen Begründung, was mich maßlos ärgerte. Ich arbeitete damals schon in Jugendverbänden mit. Also konzentrierte ich mich in der zweiten Anhörung darauf, mein soziales Engagement darzustellen. Daraufhin hieß es, soziales Engagement spiele keine Rolle. Dies könne ich bei der Bundeswehr auch leisten. Die hatten nicht einmal die Begründung aus der ersten Ablehnung gelesen.
Fell: Mitten im Studium bekam ich meinen Einberufungsbefehl. Ich war wild entschlossen, keinen Wehrdienst zu leisten. Glücklicherweise hatte ich meine Gerichtsverhandlung davor. Das bedeutete ein sehr intensives Ausquetschen über meine Gedankenwelt und die ethische Motivation. Dies hat meine tiefgründige Betrachtung gestärkt. Dann wurde ich als Erster in ganz Unterfranken anerkannt.
Fell: Vorreiter zu sein, hat mich ein bisschen stolz gemacht. Von meinem Abiturjahrgang haben unter dem Eindruck der Diskussion um die Gewaltfreiheit alle verweigert. Zum Teil sind sie gleich anerkannt worden, andere haben das Gerichtsverfahren gescheut und sind doch eingerückt. Ich hielt als Einziger durch. Ich habe einen Prozess gewonnen gegen die Bundesrepublik. Das hat mir später Mut gemacht, nicht alles zu schlucken.
Fell: In meinem Freundeskreis war das sehr anerkannt. Spezifisch war mein Elternhaus. Die Main-Post hat auch berichtet über das erste Gerichtsverfahren in Unterfranken. Als letzter Satz stand dann da: Kuriosum am Rande, der Vater des Klägers ist Bürgermeister der größten Garnisonsstadt in Bayern. Dieser Satz beleuchtet die Diskussion zu Hause. Mein Vater war nicht glücklich. Meine Mutter stand gleich zu mir, auch wenn es ihr lieber gewesen wäre, ich hätte nicht verweigert. Mein Vater geriet politisch unter Druck. Die Militärs haben das nicht verstanden, und die CSU-Parteifreunde haben ihn kritisiert wegen des angeblich missratenen Sohnes. Aber letztlich hat auch mein Vater zu mir gestanden.
Fell: Es gab viel früher Kundgebungen: Militärdemonstrationen, Aufmärsche, Vereidigungen auf dem Marktplatz. Ich fragte mich, muss man das Militär so zur Schau stellen? Damals gab es kleinere Demonstrationen am Rande, an denen ich mich beteiligt habe. Die waren verschwindend gering. Es wurde versucht, sie im Keim zu ersticken. Sie passten nicht in das schöne Bild des Marktplatzes und der Soldaten.
Fell: Fünf, sechs Jahre nach meiner Anerkennung gab es die großen Demonstrationen der Friedensbewegung. Teilweise auch am Lager. Ich habe anderswo demonstriert gegen die militärische Gewalt mit Blick auf das Fulda-Gap, den vorgeschobenen militärischen Posten des Ostblocks. Dort gab es höchste militärische Präsenz von Ost und West.
Fell: Ja, sehr deutlich. Das begann in den neunziger Jahren. Da war ich als Stadtrat viel oben bei der Bundeswehr. Ich habe einen deutlichen Wandel gespürt, wie man mit Konflikten umgeht. Vor allem beeinflusst durch Ernennung zum UN-Standort mit Ausbildung für Peacekeeping-Einsätze. Dort hat man den gleichen Grundsatz, wie ich ihn stets hatte: Gewalt nicht immer mit Gewalt zu beantworten. Es wird viel getan, um Sprachen der Einsatzländer zu lernen, die Kultur zu begreifen, Menschen zu helfen, ihre Konflikte und die Ursachen zu verstehen und bei Gewaltausbrüchen zu deeskalieren.
FELL: Ich habe das in der Bundestagsfraktion immer wieder vorgebracht. Da sind die Meinungen stellvertretend für die Gesellschaft aufeinandergeprallt. Es gab die totalen Ablehner der Militäreinsätze, zu denen ich mich einst zählte. Durch mein Wissen habe ich zu verdeutlichen versucht, dass Militäreinsätze unter UN-Mandat nicht mit Krieg gleichzusetzen sind. Bitterbös habe ich erfahren, dass es nicht immer ohne Waffen geht. Etwa in Srebrenica, als UN-Soldaten keinen Schießbefehl hatten und fast 10 000 Menschen unter den Augen der Schutztruppen umgebracht wurden. Da findet Gewaltfreiheit ihre Grenzen.
FELL: Das Gleichgewicht der Kräfte war keines. Amerika ist heute noch die am höchsten gerüstete Nation. In der Kubakrise gab es die großen Ängste vor einem weltweiten Atomkrieg. Aus Sorge vor der Bombardierung mit Atombomben haben die Kubaner die Russen zur Hilfe gerufen. Das war alles sehr erschreckend. Schon wegen des Geldes konnte es so nicht weitergehen, weil Bildung und soziale Gerechtigkeit unter die Räder kamen. Es ist toll, dass der Eiserne Vorhang gefallen ist. Dieses historische Ereignis berührt mich sehr, auch wenn es uns nicht ganz von der Hochrüstung weggebracht hat. Rüstungsexporte aus Deutschland bereiten uns Kopfzerbrechen. Die Diskussion ist nicht zu Ende, aber auf niedrigerem Niveau als damals in den Siebzigern.