
Ein P-Seminar ist ein praktisches Seminar, das Schüler der Oberstufe belegen müssen, es soll sie auf die spätere Berufswelt vorbereiten. Das Seminar „Erinnern“ begann im September 2014 und endete nun mit der Erstellung des Faltblatts. Das Ziel war, an die Nazizeit und die Verbrechen gegenüber der jüdischen Bevölkerung zu erinnern, darum lautete der Titel auch „Wir wollen erinnern“. Das Faltblatt geht auf die in Gemünden verlegten Stolpersteine ein, die Pflastersteine des Künstlers Gunter Demnig, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Es beschreibt die fünf Stolpersteine, gibt kurz die Geschichte der ehemaligen Synagoge wieder und geht auf die Geschichte des St.-Josefshauses ein.
Abschluss des Projekts
Am Seminar nahmen 13 Schüler und Schülerinnen teil. Die Broschüre bildet nun den Abschluss des Projekts, das Stolpersteininitiator Ulf Fischer, Birgit Amann, Initiatorin des Josefshausprojekts, die Stadt und besonders die Tourist-Info unterstützt haben. Bürgermeister Lippert ließ von Tourist-Info-Chefin Jasna Blaic seinen Dank ausrichten. Sie sagte, es sei wichtig, die Menschen für das Thema zu sensibilisieren und es „auf den Tisch zu bringen“.
Der neue Flyer wurde am Mittwoch übergeben und ist nun in der Tourist-Info in Gemünden kostenlos erhältlich. Das Faltblatt kann für „die etwas andere Stadtführung“ genutzt werden, denn eine Karte weist den Weg zu den Steinen und der ehemaligen Synagoge. Das Faltblatt enthält Informationen zu den bisher in Gemünden verlegten Stolpersteinen und zu den Personen, an die sie erinnern. Die Messing-Pflastersteine, die an die Deportierten erinnern, fallen zwar auf, doch können sie nur Geburtsjahr, Sterbedatum und Deportationsort angeben und nicht die Geschichte der Person.
Der neue Flyer erzählt diese Geschichten, so zum Beispiel die von Familie Kahn/Weinberg. Arthur Kahn war 1933 eines der ersten Opfer der Nationalsozialisten, das 1933 in Dachau erschossen wurde. Seine jüngere Schwester Fanny Weinberg und deren Sohn Nathan hingegen wurden erst 1941 deportiert und in Minsk ermordet. Sowohl ihren Brüdern Lothar und Herbert, ihren Eltern als auch ihrem Ehemann glückte die Flucht.
Der Leiter des P-Seminars, Jürgen Endres, stellte heraus, dass „die Endlichkeit der Informationen“ ein besonderes Problem bei der Erstellung des Flyers gewesen sei. Es gab so viele Fragen, beispielsweise, warum Fanny Weinberg alleine zurückblieb, während der Rest der Familie floh, allerdings konnte dies nicht geklärt werden. Ein anderes Problem stellten widersprüchliche Informationen dar. Um den Weg einer Person zu rekonstruieren, mussten verschiedene Melderegister und Volkszählungen berücksichtigt werden.
Kontakt zu den Nachkommen
Begeistert sind die Schüler vom Kontakt zu den lebenden Nachkommen, die sehr kooperativ waren. Eine Schülerin wurde sogar nach Israel eingeladen. Insgesamt leisteten die Seminarteilnehmer sehr viel Recherchearbeit. Zusätzlich veranstalteten sie verschiedene Aktionen, um an die Verfolgung der Juden in der Nazizeit zu erinnern. Die Schüler säuberten die Stolpersteine, organisierten einen Gottesdienst und gestalteten die Gedenkfeier am Josefshaus mit.
Die alternative Stadtführung ist auch für alteingesessene Gemündener interessant, da sie die Stadt aus einem ganz anderen Blickwinkel zeigt.