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GEMÜNDEN
Gutes Volk mit schlechter Regierung
EM eine „Riesenchance“ für die Ukraine: Gala Donschowa freut sich, dass die Welt ihr Heimatland endlich kennenlernen kann.
Foto: Beate Brehm | EM eine „Riesenchance“ für die Ukraine: Gala Donschowa freut sich, dass die Welt ihr Heimatland endlich kennenlernen kann.

Von unserem Redaktionsmitglied

Beate Brehm

 |  aktualisiert: 03.02.2016 16:43 Uhr

Das letzte Mal in der Ukraine war Galina Donschowa vor acht Jahren. Ein dreiwöchiger Urlaub war das damals, mitten im Winter. Die gebürtige Ukrainerin besuchte ihren Bruder in der ostukrainischen Heimatstadt Swerdlowsk, nahe der russischen Grenze. Ein paar Familientreffen, ein paar Tage in Kiew, dann fuhr sie wieder nach Hause. Seit diesem Besuch hat Galina, die in Gemünden nur „Gala“ genannt wird, das Land, in dem sie aufgewachsen ist und studiert hat, nicht wieder gesehen.

Wenn sie heute an ihre Kindheit denkt, erinnert die 48-Jährige sich vor allem an die Gastfreundschaft ihrer Landsleute: „Wenn wir eingeladen waren, war der Tisch immer gut gedeckt“, sagt die Bistro-Wirtin, „egal, wie arm jemand war.“

In diesen Tagen will die Ukraine der ganzen Welt ihre Gastfreundschaft beweisen. Gemeinsam mit Polen ist sie Gastgeberland der Fußball-Europameisterschaft. In vier zum Teil eigens neu gebauten Stadien in Kiew, Donezk, Charkiw und Lemberg finden Spiele statt, und die Ukraine hat viel getan, um genug Hotels, Autobahnen und Schnellstraßen zu bauen. Doch statt um Fußball in der Ukraine geht es zur Zeit in ganz Europa mehr um Menschenrechtsverletzungen unter Präsident Wiktor Janukowitsch.

„Sie ist nicht so eine heilige Maria, wie sie tut.“

Gala Donschowa über Julia Timoschenko

Auch Gala Donschowa kritisiert die ukrainische Regierung dafür: „Ich verfolge nur die deutschen Medien“, sagt sie, und runzelt die Stirn, „aber was ich da höre, ist nichts Gutes.“ Doch für die Opposition und deren Gallionsfigur Julia Timoschenko hat Gala ebenfalls nicht viel übrig. Sie nennt die Ex-Regierungschefin gar einen „Teufel in Rot“. Zwar sei es nicht gut, dass Timoschenko im Gefängnis keine ärztliche Versorgung bekomme, aber „sie ist nicht so eine heilige Maria, wie sie tut“. In ihrer Zeit als Ministerpräsidentin habe sie schließlich viele Millionen unterschlagen. Gala sagt, dass sie sich viele Sorgen um den Zustand ihrer alten Heimat macht: „Viele Leute sind enttäuscht.“

Wenn sie dann aber von der vergangenen Größe der Ukraine redet, strahlt sie richtig. Nahe ihrer Heimatstadt, in Lugansk, stand zum Beispiel einmal eine der bedeutendsten Lokomotivfabriken. In Kiew fuhr um 1900 die erste elektrische Trambahn der Welt. „Es ist eben ein gutes Volk mit einer schlechten Regierung“, sagt Gala. Ein Boykott der ukrainischen Fußballspiele, wie er zum Teil gefordert wurde, hätte Gala deshalb furchtbar gefunden: „Beinahe hätten wir die Spiele an Polen verloren.“

Dabei sei die Europameisterschaft eine Riesenchance. Endlich, so hofft Gala, werde die Welt die Ukraine kennenlernen. Die Deutschen zum Beispiel wüssten viel zu wenig von ihrem Heimatland – zum Beispiel, dass es viele deutsche Wörter in der ukrainischen Sprache gebe: „Zucker“, „Humor“ oder das typisch deutsche „Butterbrot“. Gala schwärmt besonders vom Wandern und vom Wintersport in den Karpaten, vom Sightseeing in Kiew.

„Wenn du Abenteuer willst, geh in die Ukraine.“

Gala Donschowa über ihr Heimatland

Sie findet es gut, dass die ukrainische Regierung im Vorfeld der EM viel Geld in die Hand genommen und Hotels gebaut hat. „Wenn du Abenteuer willst, geh in die Ukraine“, sagt sie. Als Gala das letzte Mal in Kiew war, hat sie auch das Stadion gesehen, in dem in wenigen Wochen das Finale ausgetragen wird. Sie weiß, dass das Fußballfieber in diesen Tagen auch in der Ukraine ausbricht: „Wenn ein Spiel im Fernsehen kommt, arbeitet in der Ukraine kein Mensch. Alle sitzen vor Fernsehern und Leinwänden.“

Galina Donschowa ist seit über 20 Jahren in Deutschland. Seit zwei Jahren betreibt sie in der Obertorstraße ein Bistro. Im Biergarten vor dem Geschäft hat sie extra für die EM Großbildschirme aufgestellt. „Ich schaue jedes Spiel“, sagt sie. Sollte es ein Spiel Ukraine gegen Deutschland geben, will sie den Deutschen die Daumen drücken. „Ich bin keine ukrainische Patriotin“, sagt sie. Schließlich lebe sie hier, habe hier Arbeit, Wohnung und, so betont sie lachend, „zahle meine Steuer“.

 
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