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Glasofen
Großvater, Vater und Sohn Andreas Fertig: Drei Pioniere der Landwirtschaft
Aus der Geschichte Main-Spessarts (102):  Die Landwirtschaftsfamilie Fertig gab bedeutende Impulse für Entwicklungen in der Landwirtschaft: Großvater, Vater und Sohn - alle mit dem Vornamen Andreas. Sie zeigten die Bereitschaft, Neues zu wagen.
Das bäuerliche Leben war früher von viel Handarbeit und Armut geprägt. Unser Bild zeigt eine Heuernte im Spessart in den 1920er Jahren.
Foto: archiv schulmuseum | Das bäuerliche Leben war früher von viel Handarbeit und Armut geprägt. Unser Bild zeigt eine Heuernte im Spessart in den 1920er Jahren.
Leonhard Scherg
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:07 Uhr

Es gibt drei gleichnamige Männer aus Altfeld beziehungsweise dem zu Glasofen gehörenden Eichenfürst, die den Titel „Pionier der Landwirtschaft“ verdienen: Großvater, Vater und Sohn Andreas Fertig. Bisher wird diese Ehre nur dem Vater zuteil. Doch der Reihe nach.

Andreas Fertig, der Großvater (1830-1903), von 1862 bis 1899 Ortsvorsteher beziehungsweise Bürgermeister der Gemeinde Altfeld, war Landwirt. Er verstand, dass ein zukunftsfähiger landwirtschaftlicher Betrieb nur mit der Zusammenlegung der zerstückelten Grundstücke möglich war und begann daher, Grundstücke zu erwerben und zu vertauschen. Beim landwirtschaftlichen Bezirksfest in Marktheidenfeld am 21. August 1876 wurde er für sein Faselvieh prämiert. In seine Amtszeit als Ortsvorsteher und Bürgermeister fallen umfangreiche Rodungen von Privatwald und Gemeindewald (1868/69), um die Situation der Bauern zu verbessern.

In seiner Amtszeit wurde nicht zuletzt mit der Umgehung der Eichenfürster Steige in den 1860/70-er Jahren eine bessere Straßenverbindung nach Marktheidenfeld hergestellt, 1873/74 das Schulhaus gebaut und 1875 die Freiwillige Feuerwehr Altfeld gegründet. In dieser übernahm sein Sohn Andreas die Funktion des Adjutanten, des stellvertretenden Kommandanten.

Erste Dampfdreschmaschine 1875 in Altfeld 

Überhaupt war seit den 1880er Jahren vieles bereits von seinem Sohn angeregt und wesentlich unterstützt. So gab es seit 1885 als wichtige Einrichtung für die Landwirte einen Viehversicherungsverein, seit 1888 einen Darlehnskassenverein und seit 1900 einen Pferdeversicherungsverein. 1891 wurde eine Viehwaage angeschafft. 1875 wurde erstmals eine Dampfdreschmaschine in Altfeld eingesetzt.

Von 1881 bis 1903 war Andreas Fertig als Vertreter der Distriktsgemeinden, was in etwa den heutigen kreisangehörigen Gemeinden entspricht, Mitglied des „Landraths“, Vorläufer des heutigen Bezirkstags. Die Allgemeine Zeitung vom 31. Dezember 1898 meldet, dass Andreas Fertig mit der silbernen Verdienstmedaille des Verdienstordens der bayerischen Krone ausgezeichnet werde.

Familienbild um 1875 von links: Anna Barbara Fertig (1832-1907), Andreas Fertig (1854-1925), Andreas Fertig (1830-1904), Johann Georg Fertig (1859-1931), Bürgermeister in Altfeld 1900-1919.
Foto: Repro Leonhard Scherg | Familienbild um 1875 von links: Anna Barbara Fertig (1832-1907), Andreas Fertig (1854-1925), Andreas Fertig (1830-1904), Johann Georg Fertig (1859-1931), Bürgermeister in Altfeld 1900-1919.

Andreas Fertig, der Vater (1854 - 1925), wurde am 11. Mai 1854 in Altfeld geboren. Die moderne Landwirtschaft erlernte er im Betrieb der Eltern, durch Selbststudium und beim Besuch größerer Landwirtschaftlicher Betriebe. Nach dem Militärdienst heiratete er 1879 Apollonia Schreck, die Tochter des Eichenfürster Erbhofbauern Andreas Schreck. Als sein Schwager und sein Schwiegervater 1881 und 1888 verstarben, übernahm er den Schreck-Hof in Eichenfürst (Nr. 1).

1888 wurde er Vorsitzender des 1850 gegründeten landwirtschaftlichen Bezirksvereins, der auf freiwilliger Basis bestehenden, aber politisch geförderten Einrichtung der Landwirte im Distrikt des Bezirksamtes Marktheidenfeld. Er übernahm diese Organisation mit 230 Mitgliedern. 1923 waren 800 Bauern Mitglieder des landwirtschaftlichen Vereins.

Ebenfalls ergriff er 1888 die Initiative zur Gründung eines Darlehnskassenvereins in Altfeld, der sich die bessere Versorgung der Ortsbevölkerung mit Krediten und landwirtschaftlichen Waren zum Ziel setzte, und stellte sich als Rechner bis 1902 zur Verfügung. 1898 führte er eine landwirtschaftliche Warenvermittlung für Kunstdünger und Kraftfuttermittel in Marktheidenfeld ein. 1900 wurde vom Landwirtschaftlichen Verein unter Leitung von Andreas Fertig in der Nähe des Marktheidenfelder Bahnhofes das erste Lagerhaus gebaut.

Für den eigenen Betrieb wurden nach den Erinnerungen seines Sohnes 1894 ein Pferderechen, 1895 ein Heuwender und eine Großmähmaschine angeschafft. 1900 wurde dann eine Getreidemähmaschine erworben, 1908 folgte ein Bindemäher.

Zuchtstation Eichenfürst.
Foto: Repro Leonhard Scherg | Zuchtstation Eichenfürst.

Ebenfalls 1900, gründete er in Eichenfürst unter der „Aufsicht des landwirtschaftlichen Kreisausschusses“ (heute: Regierung von Unterfranken) die „Zuchtstation für das veredelte norddeutsche Landschwein”, die viel beachtete erste Schweinezuchtstation in Bayern, mit der er zahlreiche Preise gewann und Auszeichnungen erhielt. Bei der Gründung des Verbands der unterfränkischen Schweinezüchter 1910 wurde Andreas Fertig zum Vorsitzenden gewählt. Auch für seinen Obstbau und seine Pferde war Eichenfürst zur damaligen Zeit bekannt.

1905 wurde Andreas Fertig, wie sein Vater, in den Landrat, den Vorläufer des heutigen Bezirkstags, und dessen ständigen Ausschuss berufen. Bis 1919 gehörte er diesem Gremium an.

1906 brach im untersten Hof von Eichenfürst (Nr. 4) ein Brand aus und der Hof stand zum Verkauf. Zwei Drittel dieses Hofs mit seinem Grundbesitz wurde von Fertig erworben. Gleichzeitig kam es zur Regelung des Erbes nach dem Tod des Vaters und Andreas Fertig konzentrierte seinen Besitz auf Eichenfürst. Dies ermöglichte zusammen mit dem Erwerb weiterer kleinerer Parzellen eine private Flurbereinigung und eine großflächige Arrondierung des gesamten Besitzes.

Andreas Fertig besaß nun zwei Höfe in Eichenfürst (Nr. 1 und Nr. 3) und eine Gesamtfläche von 96 ha. 1907 errichtete er in einem aufgelassenen Steinbruch an der Kreuzung der Straße von Marktheidenfeld nach Altfeld und der Straße von Glasofen nach Eichenfürst einen neuen Hof, in den er übersiedelte. Sein Sohn erhielt in diesem Zusammenhang den Hof Nr. 1.

Alte Ansicht von Eichenfürst.
Foto: Repro Leonhard Scherg | Alte Ansicht von Eichenfürst.

1907 wurde der „Großgutsbesitzer Andreas Fertig in Eichenfürst“ nicht nur mit dem goldenen Feuerwehrabzeichen ausgezeichnet, sondern erhielt vom Prinzregenten Luitpold beim Zentrallandwirtschaftsfest in München mit anderen wegen Verdiensten um die Förderung der Pferdezucht „die silberne Medaille des Verdienstordens der bayerischen Krone". Ebenfalls vom Prinzregenten wurde er aufgrund seiner Leistungen 1910 zum Ökonomierat ernannt und mit dem Orden der bayerischen Krone ausgezeichnet.

Während des 1. Weltkriegs übernahm ab 1915 der Kreisausschuss von Unterfranken die Vermittlung des Schlachtviehs für den Heeresbedarf. Andreas Fertig war als Kommissionär für den Bezirk Marktheidenfeld und für den dortigen Ankauf zuständig. Der Gewinn wurde für die Förderung der Landwirtschaft verwendet. 1915 veranlasste Andreas Fertig die Gründung des Pferdezuchtvereins Marktheidenfeld. 1920 wurden als berufsständische Organisation die Bauernkammern errichtet.

Mitglied im Kreisrat, heutiger Bezirkstag

Andreas Fertig wurde in die Bezirks- und Landesbauernkammer gewählt und war in Letzterer im Tierzucht, Obstbau- und Brennereiausschuss tätig. 1921 wurde die Süddeutschland Versicherungs AG für die Pferde- und Viehversicherung in Nürnberg gegründet, die bis 1933 bestehen sollte. Dem ersten Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft gehörte auch Andreas Fertig vom „Hofgut Eichenfürst bei Markt Heidenfeld“ an.

Andreas Fertig (1854-1925).
Foto: Repro Leonhard Scherg | Andreas Fertig (1854-1925).

Auch nach dem Ende des Krieges und dem stürmischen Übergang von der Monarchie zur Republik blieb Andreas Fertig seiner Aufgabe, der Entwicklung der Landwirtschaft, treu. Mit dem neuen allgemeinen Wahlrecht wurde er als Vertreter der Bayerischen Volkspartei 1919 in den Kreisrat, heute Bezirkstag, gewählt. Diesem Gremium gehörte er bis 1924 an.

Andreas Fertig, der selbst keine landwirtschaftliche Schule hatte besuchen können, war von der Bedeutung einer guten Ausbildung überzeugt. Die landwirtschaftlichen Winterschulen in Aschaffenburg, Neustadt an der Saale und Marktheidenfeld gehen auf seine Initiative zurück. Als sich der landwirtschaftliche Verein entschloss, sein Lagerhaus zu verkaufen, sollte daher der Erlös für die Ausbildung der landwirtschaftlichen Jugend und eine Landwirtschaftsschule verwendet werden.

Kreislandwirtschaftsschule Marktheidenfeld
Foto: Repro Leonhard Scherg | Kreislandwirtschaftsschule Marktheidenfeld

1920 wurde eine Landwirtschaftsaußenstelle, zuständig für die Bezirke Lohr und Marktheidenfeld in Marktheidenfeld errichtet, die sich ebenfalls für diesen Plan einsetzte. Zu diesem Zweck wurde ein Haus in der heutigen Würzburger Straße erworben und um zwei Lehrsäle ergänzt. Am 15. November 1922 konnte der Unterricht in der Landwirtschaftsschule beginnen. Am 22. Februar 1923 fand die offizielle Einweihung der Schule statt, die von 1923 an vom Kreis, das heißt von der Regierung von Unterfranken, betrieben wurde. Die Landwirtschaftsaußenstelle wurde in diesem Zusammenhang zur selbständigen Landwirtschaftsstelle umgewandelt.

1924 übergab er seinen Betrieb an seinen Sohn Andreas. An Neujahr 1924 wurde Andreas Fertig wurde vom bayerischen Landwirtschaftsministerium zum Landesökonomierat ernannt. Dieser Auszeichnung konnte er sich nur kurz erfreuen, denn er verstarb am 21. Mai 1925.

Andreas Fertig, der Sohn (1880 -1955), wurde am 10. Januar 1880 geboren. Er besuchte 1895/96 die landwirtschaftliche Winterschule in Würzburg und zusätzliche Lehrgänge in Düngerlehre und Obstbau. Er arbeitete im elterlichen Betrieb mit und erhielt 1907 den Hof Nr. 1 in Eichenfürst zur eigenen Bewirtschaftung. Ab 1909 nahm Andreas Fertig regelmäßig am Zentrallandwirtschaftsfest in München, der Kreistierschau in Aschaffenburg, der Bezirkstierschau in Marktheidenfeld und den Ausstellungen der 1885 gegründeten Deutschen-Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) in München, Nürnberg, Stuttgart und Frankfurt teil. 1925 nahm er an der Landwirtschaftlichen Bezirksschau in Marktheidenfeld mit Erfolg teil. In seinen um 1955 niedergeschriebenen Erinnerungen nennt er bis 1936 neun Ehrenpreise, 55 erste und 78 zweite Preise und zwei silberne Medaillen.

Von Pferden auf Benzinmotor umgestellt

1912 stellte er seinen Betrieb vom Göpelantrieb mit Pferden auf einen Benzinmotor um. 1916 sicherte er sich mit Vertrag mit dem Elektrizitätswerkbesitzer Georg Martin die Stromlieferung von der Marktheidenfelder Ziegelei nach Eichenfürst. 1916 wurde zusammen mit dem Vater in der Scheune des Hofs 3 eine moderne Kelterei errichtet. Von 1918 spezialisierte sich Andreas Fertig auf Getreideanbauversuche und die Herstellung von Saatgut. 1920 wurde zur Ergänzung der Kelterei ein Brennrecht erworben. 1938 wurde zusätzlich eine Mosterei errichtet. Mit Süßmost und Schnaps gelang es auch die schwierige Zeit nach 1945 zu überwinden. Während der Süßmost durch moderne Getränke verdrängt und die Mosterei 1952 geschlossen wurde, erwies sich die Brennerei auf Dauer als recht erfolgreich.

In der Nachfolge seines Vaters wurde Andreas Fertig im Schweinezüchterverband und in der Bezirks- und Kreisbauernkammer aktiv.

Die positive Weiterentwicklung des Betriebs wurde ab 1933 und besonders durch den Ausbruch des Krieges beeinträchtigt. Bereits 1937 übergab Andreas Fertig, den Hof an seinen Sohn Otto, der in Weihenstephan ausgebildet worden war. Im Dezember 1955 verstarb Andreas Fertig.

Drei Generationen Andreas Fertig zeigen nicht nur die Anstrengungen und Leistungen einer Familie, sie zeigen die Weiterentwicklung der Landwirtschaft in rund 70 Jahren und die Bereitschaft, immer Neues zu wagen.

Der Hof Eichenfürst besteht weiter, er wurde fortgeführt von Otto und Werner Fertig. Unter seinem jetzigen Besitzer, der nach den berühmten Vorfahren den Vornamen Andreas trägt, hat sich der Hof schon seit den 1990er Jahren als Naturland-Hof auf die Erzeugung von Bioprodukten eingestellt, die unter anderem in einem eigenen Hofladen vermarktet werden. Auf einer Teilfläche des Hofgutes Eichenfürst sowie weiteren Grundstücken wurde ab 1989 der Golfplatz Main-Spessart errichtet.

Zum Autor: Dr. Leonhard Scherg war von 1984 bis 2008 Bürgermeister von Marktheidenfeld, er ist Kreisarchivpfleger für den Altkreis Marktheidenfeld und Rothenfels.

Literatur: Die Erinnerungen von Andreas Fertig (1854 -1925) und Andreas Fertig (1880-1955) im Stadtarchiv Marktheidenfeld. Festschrift zur Landwirtschaftlichen Bezirksschau Marktheidenfeld a. M., Marktheidenfeld 1925.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/

 
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