
Schauspielerin, Autorin, Politikerin: Barbara Rütting hat schon immer den Mund aufgemacht, sich für den Schutz jeglichen Lebens eingesetzt. Erst fand sie ihre politische Heimat bei den Grünen, nun ist sie in der V-Partei. Im Gespräch erzählt die 89-jährige Bundestagskandidatin, was sie antreibt, wofür es sich zu leben lohnt und wie sie sterben will.
Frage: Frau Rütting, viele Menschen kennen Sie als Schauspielerin und Buchautorin. Aber Sie sind Ihr Leben lang politisch aktiv. Wie kam das?
Barbara Rütting: Ich habe schon sehr früh gemerkt, dass ich mich verändern muss, damit die Welt sich verändert. Als ich sieben Jahre alt war, hat mir meine Mutter – sie war Religionslehrerin – von der Kreuzigung erzählt. Ich fand das so entsetzlich, dass ich sagte: In einer Welt, in der Menschen so etwas machen, möchte ich nicht leben. Schon damals wollte ich die Welt ändern. Und ich habe gefühlt: Auch ich trage Verantwortung. Das wurde meine Lebensaufgabe.
Sie haben dann oft den Mund aufgemacht, wenn Ihnen etwas ungerecht vorkam, haben an Demos und Blockaden teilgenommen, sich aus Protest die Haare abrasiert. Rückblickend: Haben Sie damit etwas erreicht?
Rütting: Wenn ich mir ansehe, was im Großen passiert, hat es nichts gebracht. Vieles ist schlechter geworden. Tierversuche und Massentierhaltung haben zugenommen. Aber im Kleinen hat sich viel verändert. Am Vegetarier- und Veganerboom habe ich mit meinen über 20 Büchern zum Thema entscheidend mitgewirkt.
Dann sind Sie also nicht frustriert?
Rütting: Ich habe ungeheure Glücksgefühle! Das ist wie mit dem Glas: halb voll oder halb leer. Für mich ist es halb voll. Mir hat mal ein Eisenbahner geschrieben, der Labortiere umladen musste: „Frau Rütting, wenn ich meinen Mund aufmache, verliere ich meinen Job. Aber wenn Sie als Prominente Ihren Mund aufmachen, hört vielleicht einer hin.“ Ich werde also meinen Mund aufmachen, bis ich tot umfalle, obwohl ich das gar nicht gerne mache. Aber ich mache es für die Sache.
Sie haben den „Marsch durch die Institutionen“ angetreten und sich für die Grünen in den Landtag wählen lassen. Dachten Sie, dort mehr bewegen zu können?
Rütting: Am Anfang schon. Ich dachte, ich hätte ein Forum, in dem ich mehr bewirken könnte. Das hat sich als Irrtum herausgestellt. Die Grünen waren nie das, was sie behauptet haben zu sein. Ich war dort absolut unbeliebt. Die wollten mich zwar als Zugpferd haben, aber dann sollte die alte Schachtel die Klappe halten. Sechs Jahre lang habe ich das durchgehalten; dann war ich kaputt. Im Gegensatz dazu ist die V-Partei viel konsequenter. Dort werde ich anerkannt und geliebt für das, was ich bin.
Also haben Sie die Hoffnung, mit der V-Partei etwas zu erreichen?
Rütting: Eigentlich hatte ich mit der Politik abgeschlossen, wollte Klavierstunden nehmen und meinen Garten genießen. Aber ich glaube, dann wäre ich unglücklich. Dann hätte ich das Gefühl dem Eisenbahner gegenüber, ich hätte nicht durchgehalten. Ich muss das machen: „Hier stehe ich; ich kann nicht anders.“
Angenommen, Sie würden in den Bundestag gewählt: Würden Sie ernst machen und nach Berlin gehen?
Rütting (lacht): Fragen Sie mich das, wenn es so weit ist. Im Moment steht es ja noch nicht zur Debatte.
Haben Sie denn keine Angst, sich als Prominente von der V-Partei vor den Karren spannen zu lassen?
Rütting: Nein, wenn überhaupt, dann spanne ich mich selbst davor. Aber hier sehe ich mich eher als Anschieberin oder als Steigbügelhalterin, damit es jemand besser machen kann als ich.
Was sind die Ziele der V-Partei, die Sie unterstützen?
Rütting: Vor allem Verantwortung. Ich finde es sehr schlimm, dass Menschen so wenig Verantwortung empfinden. Es heißt oft: „Der Staat soll doch. . .“ – Aber der Staat sind wir alle. Erst einmal muss ich mich doch selbst einsetzen. Ich bin ein kleines, aber wichtiges Glied eines großen Ganzen. Und wenn ich Verantwortung trage, fühle ich mich auch glücklich. Bei der V-Partei finde ich außerdem meine Themen wieder: gesunde Ernährung, Friedensarbeit, Verbraucher- und Tierschutz.
Wie tolerant sind Sie: Ist es für Sie ein Problem, wenn jemand auf Fleisch nicht verzichten will?
Rütting: Das ist kein Problem für mich. Ich habe auch Fleisch gegessen und Pelzmäntel getragen – heute unvorstellbar. Mein Anliegen ist auch: Veganer, beschimpft nicht die anderen als Mörder. Da ist vielleicht jemand noch nicht so weit, wie ich zu sein glaube. Dafür habe ich Verständnis. Ich kämpfe nicht; ich versuche zu überzeugen.
Aber wenn Menschen unsere Grundrechte nicht achten, dann finde ich das ungeheuerlich. Meine Toleranz hört dort auf, wo von anderen Intoleranz geübt wird. Im Moment sehe ich solche Tendenzen.
Sie treten wie die V-Partei für ein Sterbefasten ein – also dafür, dass Menschen selbst über ihren Tod entscheiden dürfen, indem sie aufhören zu essen und zu trinken. Warum?
Rütting: Ich habe Menschen kennen gelernt, die sterben wollten, aber das nicht durften. So wie meine Mutter: Sie ist jahrelang im Bett gelegen. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass das geändert wird, und darum war es mir ein großes Anliegen, die Patientenverfügung bekannt zu machen. Für mich selbst habe ich alles geregelt. Ich möchte mein Leben in Freiheit gestalten und dann auch bestimmen, wie ich gehen kann.
Wie kamen Sie ursprünglich in den Spessart?
Rütting: Mit hat jemand vor etwa 20 Jahren die Naturklinik in Michelrieth zum Heilfasten empfohlen. Dann bin ich in meiner Zeit im Landtag oft hierher gekommen, um mich wieder aufrichten zu lassen, auch als ich einen Burnout hatte. Inzwischen habe ich ein Haus in der Nähe der Klinik gekauft und bin sehr glücklich über diesen Entschluss.
Was gefällt Ihnen hier?
Rütting: Mir gefällt, dass so viele Menschen in Michelrieth vegetarisch leben; damit kann ich mich gut identifizieren. Ich habe noch nie so viele liebe Menschen getroffen. Und weil ich das immer wieder gefragt werde: Ich gehöre gar keiner Religionsgemeinschaft an. Es interessiert mich auch nicht übermäßig, ob ich wiedergeboren werde oder nicht. Hier und jetzt lebe ich, und hier will ich so anständig wie möglich mit anderen Lebewesen umgehen.
Barbara Rütting
Die Schauspielerin, Autorin und Politikerin ist am 21. November 1927 in dem Dörfchen Wietstock, südlich von Berlin, als Waltraut Goltz in eine Lehrerfamilie hineingeboren worden. Sie wollte Ärztin werden, ging aber nach Kriegsende noch vor dem Abitur als Dienstmädchen nach Dänemark. Dort wurde sie Fremdsprachenkorrespondentin und bewarb sich mit 25 Jahren beim Film – eine Flucht aus der harten Realität der Nachkriegszeit in eine Traumwelt, wie sie sagt.
Schon für ihren zweiten Streifen, „Die Spur führt nach Berlin“, wurde sie mit dem Preis für die beste deutsche Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet. Es folgten Filme wie „Neues vom Hexer“ mit Klaus Kinski, „Operation Crossbow“ mit Sophia Loren und „Stadt ohne Mitleid“ mit Kirk Douglas. Parallel stand Rütting in vielen starken Frauenrollen wie „Mutter Courage“ auf bedeutenden deutschen Theaterbühnen.
Als Autorin schrieb Rütting über 20 Bücher, einen Roman, vegetarische und vegane Kochbücher, Gesundheitsratgeber und Kinderbücher.
Als Mitglied der Grünen zog sie 2003 in den bayerischen Landtag ein. Am 2. April 2009 legte sie nach parteiinternen Differenzen und gesundheitlichen Problemen ihr Mandat nieder. Kurz darauf quittierte sie ihre Parteimitgliedschaft, weil sie den Grünen eine Abkehr vom Pazifismus und mangelnden Tierschutz vorwarf. Anfang 2017 trat Rütting in die neue V-Partei³ ein. Diese definiert sich über die drei V wie Veränderung, Vegetarier und Veganer.
Die 89-Jährige war zweimal verheiratet und lebte anschließend viele Jahre in einer festen Beziehung. Aus erster Ehe stammt der Nachname Rütting. Heute wohnt Barbara Rütting in Marktheidenfeld-Michelrieth. abra
ONLINE-TIPP
Die Redaktion hat ein Video von Barbara Rütting gedreht. Darin erklärt die Kandidatin der V-Partei, was sie als Erstes in Angriff nehmen würde, sollte sie in den Bundestag gewählt werden. Das Video im Internet: www.mainpost.de/main-spessart