
Als Kathrin Hock ein Foto auf ihrem Handy öffnet, trifft sie der Schlag. Das Grab ihres Mannes: abgeräumt. Alles, was Hock in den vergangenen 25 Jahren auf vielen Auslandsreisen als Souvenirs gesammelt hat, Pflanzen, Steine, Gegenstände, die sie mit ihrem Mann verbindet, der vor fast genau 25 Jahren verstorben ist: weg. Für die 56-Jährige steht fest: "Das ist Grabschändung. Ich verstehe nicht, wie man so etwas machen kann."
Die Lohrerin arbeitet unter der Woche beim THW in Stuttgart, an den Wochenenden ist sie eigentlich immer in ihrer Heimat Lohr – dort, wo sich auch die letzte Ruhestätte ihres Mannes Udo befindet. Am Samstag, 21. Oktober, sei zumindest bis 13.30 Uhr das Grab auf dem Lohrer Hauptfriedhof noch in seinem ursprünglichen Zustand gewesen. Zugegeben, kein Standardgrab für Lohrer Verhältnisse, sagt Hock selbst. Aber genau so habe sie – und auch ihr Mann – es gewollt.
"Mein Mann wollte kein 08/15-Grab. Genau so hat er es mir damals gesagt. Er hat alles noch geregelt vor seinem Tod und wir haben viel darüber gesprochen. Er wollte eine Blumenwiese, er wollte, dass es aussieht, wie in der Provence, wie in unseren Urlauben, mit Lavendel und Rosenstöcken." Kathrin Hock stockt der Atem. Nach 25 Jahren ist die Trauer gewaltig mit einem Schlag zurück.
Die Grabstätte wurde kahl hinterlassen, alles abgeräumt

Ende Oktober erhält sie von ihrer Schwester das Foto vom Grab: die Grabstätte kahl, alle Pflanzen weg. Auf der blanken Erde stehen noch ein paar Überbleibsel der Souvenirs, die Hock so viel bedeutet haben. Später erfährt sie von Bekannten, dass das Grab bereits vier Tage lang so aussah.
Sie stellt Strafantrag bei der Polizei Lohr. Sie vermutet zu wissen, wer Hand an das Grab gelegt hat. "Ich habe erfahren, dass schon zwei Wochen vorher ein Arbeitskollege eines Freundes meines Schwagers geäußert haben soll, dass das Grab seiner Meinung nach schlecht und ungepflegt aussehe. Und dass er es bereinigen wolle", sagt Hock. Im Nachhinein habe dieser Arbeitskollege, ein alter Schulfreund ihres Mannes, laut ihrem Schwager bestätigt, dass er das Grab nun "bereinigt" habe.
Udo Hock starb in jungen Jahren
"Ich kenne ihn nicht einmal. Er hätte leicht mit mir Kontakt aufnehmen und sprechen können", sagt Hock. Über die Tat ist die Lohrerin geschockt. "Ich habe das Grab bezahlt. Ich habe das Verfügungsrecht und niemand sonst", sagt sie. Die Zeit, als ihr Mann viel zu früh mit 32 Jahren an einem Hirntumor starb, sei schlimm genug gewesen. Sie selbst war schwanger zu dem Zeitpunkt.
Ihr Mann erhielt die Diagnose mit einer Lebenserwartung von drei Monaten. "Aber er wollte unbedingt unser Kind noch sehen und er hat noch eineinviertel Jahre gelebt", erzählt Hock, die im Alter von 31 Jahren Witwe mit einem jungen Kind war. Viele Jahre mit viel Schmerz folgten. Eine Art ihrer Trauerbewältigung: das ungewöhnliche Grab. "Von jedem Urlaub habe ich Steine mitgebracht; Dinge, von denen ich wusste, sie würden ihm gefallen. Ich habe Lavendel aus der Provence angepflanzt, Blumenzwiebeln aus der ganzen Welt mitgebracht."
Efeu sollte Aussehen wie auf Pariser Friedhof
Eine Grabsäule mit abgebrochener Spitze steht auf dem Grab, Rosenbüsche und Buchsbäume waren auch dort. Und ganz viel Efeu. Auch wenn der wild aussehen mag: 20 Jahre habe Hock diesen Efeu so kultiviert, dass es aussehe wie auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise. "Und dann kommt jemand, der das alles als hässlichen Dreck verurteilt und es einfach weg macht. Das ist eine absolute Übergriffigkeit", sagt die Lohrerin. Der Efeu wurde abgeschnitten, der Grabstein offensichtlich bei den Arbeiten beschädigt, Pflanzen, Steine und Dinge, die die 56-Jährige aus der ganzen Welt zusammengetragen hat, wurden entsorgt.
"Dort war nichts, was gegen die Friedhofssatzung verstößt", betont Hock. In 25 Jahren sei es zwei Mal vorgekommen, dass die Stadt sie angeschrieben habe, damit sie etwas bereinige. "Das war, wenn ich länger mit dem THW im Einsatz war, zuletzt im Ahrtal. Und ich bin dem Schreiben dann sofort nachgekommen", sagt die Lohrerin.
Grabstreitigkeiten kommen immer wieder vor
Roman Schramm, stellvertretender Leiter der Lohrer Polizeiinspektion, bestätigt, dass in dem Fall wegen Störung der Totenruhe, Sachbeschädigung und Diebstahl ermittelt wird. Grabstreitigkeiten seien oft keine einfachen Angelegenheiten und häufig hätten sie eine jahrelange Historie. So gebe es auch unter Familien öfter mal Streit wegen der Grabgestaltung. Das fange schon da an, wenn ein Unberechtigter Pflanzen oder Blumen entsorgt und neue aufs Grab stellt, meist sogar in guter Absicht.
Auch sei die Grabpflege nicht automatisch mit dem Grabkauf verbunden, sondern über eine Verfügung festgelegt. In manchen Testamenten werde hier sogar auf Jahre aufgeteilt, wer wann die Grabpflege übernehmen soll. Auch das führe nicht selten zu Unstimmigkeiten.
Wer befugt und berechtigt ist, das Grab zu pflegen, welche Hintergründe die plötzliche Umgestaltung hat, das sei in diesem Fall nun bei den Ermittlungen herauszufinden. Dabei ist Schramm ganz deutlich: "Niemand hat zu bewerten, wie andere Gräber gestaltet sind. Das ist ganz individuell. Und nur wer die Verfügung hat, hat das Recht, das Grab zu gestalten", sagt der stellvertretende Inspektionsleiter.
Witwe will Grab wieder so herrichten, wie es war
"Ich will alles so wieder aufbauen, wie es war", sagt Hock, auch wenn sie die Dinge, die sie 25 Jahre gesammelt hat, nicht wiederbringen könne. Dass es bislang keinerlei Entschuldigung gegeben habe, könne sie auch nicht verstehen.
Nun habe sie einen Hinweis an die Grabstätte gemacht, der besagt, dass dieses Grab in ihrer Verfügung liegt und nur sie es gestalten darf.
