
Sprache: So wichtig! Mit dem richtigen Framing setzt sich das gewünschte Narrativ durch. So reden heute manche, wenn sie sagen wollen, dass die Wortwahl zu Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft beiträgt. Das gilt ganz besonders in der Politik.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder beispielsweise hat sich lange geweigert, einen Stufenplan zu Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen vorzulegen. Kürzlich hat er genau das getan, aber weil er die von Politikern hochgeschätzte Glaubwürdigkeit nicht verlieren will, kann er's nicht "Stufenplan" nennen. Stattdessen sagt er "Öffnungsmatrix". Der Maggus aus Nemberch sagt "Öffnungsmatrix", zwecks der Glaubwürdichkeit.
Diese hohe Schule des Politiksprechs findet auch in Main-Spessart ihre Anhänger – in verschiedenen Abstufungen. Als Klassenprimus tut sich Lohrs Bürgermeister Mario Paul hervor. Kein Wunder, der Mann hat studiert und promoviert und deshalb spricht er nicht einfach von Bahnhöfen, neinnein. "Mobilitätsdrehscheiben" nennt er sie und wir erkennen, dass der Grüne Unterfranke die gleichen Tricks und Kniffe beherrscht wie der Christsoziale Mittelfranke. Die Mischung aus einem allgemein verständlichen Begriff und einem Fremdwort sorgt für perfekte Politsprache. Öffnungsmatrix, Mobilitätsdrehscheibe – so läuft das.
Sprache neu denken
Auf einer anderen Ebene operiert die Landrätin. Auch sie hat so ihre Lieblingsfloskeln. Vermutlich hat Sabine Sitter im vergangenen Jahr keinen Begriff so oft verwendet wie "Güterabwägung", aber nun, was soll sie auch sonst sagen? Schließlich ist tatsächlich abzuwägen zwischen Schutz der Gesundheit und Sorge um die Wirtschaft. Aber "neu denken", die Kernvokabel ihres Wahlkampfs (die klingt, als sei sie von einer Werbeagentur erfunden), muss sie nun wirklich nicht mehr zwingend in jedem zweiten Satz unterbringen. Egal, um was es geht – ÖPNV, Schule, Gesundheitsversorgung – alles muss immer "neu gedacht" werden. Ein klarer Fall von fortgeschrittenem Polit-Deutsch. Ungeübte würden hausbackene Begriffe wie "Ideen" oder "Konzepte" verwenden; in der Master Class wäre dagegen von "Denknovellierung" oder "Gedankenfindungsoptimierung" die Rede.
Je länger einer oder eine im Geschäft ist, desto verquaster wird die Sprache. Karlstadts Bürgermeister Michael Hombach, noch kein Jahr im Amt, ist auch für den Normalbürger noch problemlos zu verstehen. Bei ihm gibt's keine Matrizen und ein Bahnhof ist noch ein Bahnhof. Wenn er seiner freien Rede einen Anstrich von offiziöser Bürgermeisterlichkeit geben will, dann gelingt ihm das mit einer ebenso simplen wie universell einsetzbaren Floskel. Beispielsweise fordert er die Stadtratsmitglieder nicht einfach auf, über eine Straßensanierung abzustimmen, sondern über die "Sanierung als solches". Gerne auch über die "Sanierung der Straße als solches". Besonderer Kniff dabei: "als solches" bleibt stets unverändert, egal, worauf sich das Wörtchen bezieht. In gewissen Kreisen (zum Beispiel der Karlstadter Redaktion) hat sein Podcast "Karscht auf Sendung" deshalb schon den Kosenamen "Karscht als solches" erhalten.
Wahrscheinlich kann der Politiker als solches gar nichts dafür. Wer ein Amt übernimmt, muss – ob er oder sie will oder nicht – seine oder ihre Sprachmatrix neu denken, zwecks der Überzeugungskraft. Ein echtes Kommunikationskonundrum.