Groß war die Freude Anfang des Jahres im Marktheidenfelder Stadtteil Glasofen, als bekannt wurde, dass der "Evangelische Hochzeitszug aus der ehemaligen Grafschaft Wertheim" nach Mitteilung des Bayerischen Finanz- und Heimatministeriums in das bislang knapp 70 Traditionsformen umfassende Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde. Damit ist der Gesang- und Trachtenverein mit seiner Gruppe "Die Glasf’lder" der erste, dem das im Landkreis Main-Spessart auf dem Gebiet der Brauchtumspflege gelungen ist.
Grund genug, das nun schon weit vor der offiziellen Verleihung einer Urkunde im neuen Bürgerhaus gebührend zu feiern. Man bot bei Kaffee und Kuchen im modernen Ambiente des Saales auf, was nur möglich war. Viele Gäste aus der Politik und der unterfränkischen Traditionspflege waren gekommen.
Tanzdarbietungen kamen sehr gut an
Musikalisch rahmte das Sextett "Soufflé" aus Ochsenfurt den Sonntagnachmittag mit vortrefflich gespielten Volksweisen. Die Chorgemeinschaft der beiden Gesangvereine aus Glasofen und dem benachbarten Stadtteil Marienbrunn gab unter ihrer neuen Dirigentin Olga Bohn Kostproben ihres Könnens.
Selbstverständlich wurde auch getanzt. Zunächst trat die Kindertanzgruppe, geleitet von Gaby Matschiner, Silvia Wolf und Sandra Fleischmann mit der Sternpolka und einem Rheinländer vor das Publikum. Auf dem Akkordeon begleitete Rudi Schäfer, auch als später die Tanzgruppe der Erwachsenen mit ihrem Leiter Adrian Götzelmann die Gäste mit schwungvollen Vorführungen begeisterte. Im Bereich vor dem Saal berichtete eine Ausstellung von der Tracht in Glasofen
Mit Grußworten gratulierten die Vizepräsidenten des Bezirkstags Unterfranken Eva-Maria Linsenbreder, der stellvertretende Landrat Christoph Vogel, Marktheidenfelds Bürgermeister Thomas Stamm und der Landtagsabgeordnete Thorsten Schwab. Alle dankten den Verantwortlichen für die große Mühe beim Anerkennungsverfahren und hoben die besondere Bedeutung solcher Traditionen für die Identität und das Selbstbewusstsein in Unterfranken hervor.
Anerkennungsverfahren war sehr aufwändig
Besondere Ehrungen erfuhren Ursula Wehner vom Grafschaftsmuseum in Wertheim und Armin Griebel von der Forschungsstelle Volksmusik in Ochsenfurt, die das Glasofener Bewerbungsverfahren aus wissenschaftlicher Sicht begleiteten. Hervorgehoben wurde vor allem das Engagement von Lisa und Heinz Matschiner, die das komplizierte Anerkennungsverfahren zielstrebig vorangetrieben hatten und auch für große Teile der Feier verantwortlich waren.
Anneliese Schäfer, die dem Gesang- und Trachtenverein seit 55 Jahren angehört, als Sängerin aktiv geblieben ist und lange Jahre in der Volkstanzgruppe mitwirkte, wurde zum Ehrenmitglied ernannt. Am Rand der Veranstaltung wurde das mit Unterstützung der Bürger-Kultur-Stiftung beschaffte Duplikat der gestickten, historischen Vereinsfahne aus dem Jahr 1953 der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit diesem kann man künftig an Festzügen und Veranstaltungen teilnehmen, ohne um das wertvolle und empfindliche Original bangen zu müssen.
Im Kern des Programms schilderte Heinz Matschiner die umfangreiche Arbeit, die zwischen der Anregung der Leiterin städtischen Kulturarbeit Inge Albert im Jahr 2021 bis hin zur erfolgreichen Anerkennung lag. Um die Ziele des Immateriellen Kulturerbes nach den Vorgaben der Unesco zu erfüllen, bedurfte es mancher Überlegung, weiterer Forschung, neuer Kontakte, Besuche von Tagungen und kontinuierlichem Austausch mit den Verantwortlichen und Fachleuten, vor allem aber viel Papier. Die Gäste staunten über den überbordenden Aufwand, mit dem allerdings auch manche neue Erkenntnis gewonnen worden sei.
"Hoher Kranz" für die Braut
Was die Pflege der Tracht im Einzelnen bedeutet, erklärte Lisa Matschiner an ausgewählten Beispielen, denn für den kompletten Hochzeitszug wäre selbst das neue große Bürgerhaus als Bühne zu klein gewesen. Nach dem stolzen Hochzeitslader mit dem blumengeschmückten Silberknaufstock traten mit dem Bräutigam und der Braut unter der Flitterkrone, dem "hohen Kranz", die beiden zentralen Figuren in den Blickpunkt. Hinzu kamen die beiden Brautführer oder die männlichen Gäste unter dem Dreispitz auf dem Kopf mit schwarzem Kamisol oder Radmantel. Die Braut wurde von Brautjungfern mit dem "Hohen Kranz" begleitet. Die weiblichen Gäste trugen dagegen besondere Hauben der Kirchen- und Abendmahlstracht.
Alte Techniken neu erlernt
Außerdem wurde neben der Sonntagstracht auch die Alltagstracht mit den grünen Männerkitteln gezeigt. Weitere Aspekte waren die Burschentracht mit einer Mütze aus Steinmarderfell oder die Tanztracht. Lisa Matschiner machte deutlich, dass viele Familien im Dorf und in der Umgebung, vor allem aber die Frauen viel Arbeit, Mühe und Geld in die Vervollständigung der Tracht investierten. Alte Handarbeitstechniken wurden im Rahmen so genannter Spinnstuben wieder erlernt. Man bestickte teils fremd klingende Kleidungsstücke und Accessoires wie Brustis, Geldkatzen, Staucherli, Hauben oder Halsschmuck aus Glasperlen. Dies alles sei ein Bekenntnis zur Heimat, in der der man sich wohlfühle.