Es sieht aus, als wäre ein Todesurteil vollstreckt worden. Pfaffenhütchen, eine der häufigsten heimischen Straucharten, haben kein einziges Blatt mehr an den Zweigen und sind überzogen von gespenstisch anmutenden Gespinsten. Es sind keine Spinnennetze, sondern Geflechte einer Schmetterlingsraupe, jener der Pfaffenhütchen-Gespinstmotte.
Unserem Leser Christian Keller ist ein solcher Strauch beim Spazierengehen in den Hofstettener Streuobstwiesen aufgefallen. Das Phänomen ist seit einigen Jahren vielerorts im Frühjahr zu beobachten, was offenbar auch mit dem Klimawandel zu tun hat: "Vor allem in trockenheißen Frühsommern fressen die Raupen die Pfaffenhütchen oft ratzekahl", erklärt der Naturschutzbund Deutschland (Nabu).
Warum Zeichner und Schuster etwas von dem Strauch hatten
"Aus ihm wurden früher unter anderem Orgelpfeifen, Schuhnägel, Stricknadeln und Spindeln hergestellt. Zudem ließ sich aus dem Pfaffenhütchen eine besonders hochwertige Holzkohle gewinnen, die als Zeichenkohle verwendet wurde", beschreibt der Nabu den Strauch, der im Herbst durch seine purpurrot-orangenen Früchte, die wie Birette aussehen, und die nicht minder attraktive Laubfärbung auffällt.
Des Nachtfalters junge Raupen, gerade mal einen Millimeter groß, überwintern an jungen Zweigen, fressen im Frühjahr dann von innen heraus Blattknospen an. Nachdem sie gemeinschaftlich ein erstes Gespinst angelegt haben, wandern die jetzt schon einen Zentimeter großen Larven zum Triebende und fangen an, die Zweige kahlzufressen. Im Laufe des Juni verpuppen sich die Raupen und Anfang Juli schließlich schlüpfen die Falter. Die meisten der bei uns vorkommenden Gespinstmottenarten haben weiße Vorderflügel mit schwarzen Punkten.
Unwillkommener Stress – mehr aber nicht
"Für die Gehölze ist das zwar unwillkommener Stress", schreibt der Nabu über den Kahlfraß. "Aber im Normalfall treiben sie später ein zweites Mal aus und im Sommer sieht alles wieder weitgehend normal aus." Das Pfaffenhütchen ist nicht der einzige Strauch, der von Gespinstmotten heimgesucht wird. In Mitteleuropa soll es gut 70 verschiedene Arten geben, jede von ihnen speizialisiert auf bestimmte Baum- oder Straucharten, beispielsweise Traubenkirsche, Weißdorn, Schlehe, Pappeln, Weiden und gelegentlich auch Obstbäume.
Der Falter und seine Raupen sind also vergleichsweise harmlos. Der Mensch indes sollte sich seinerseits vor dem Pfaffenhütchen selbst in Acht nehmen: Denn alle Pflanzenteile enthalten Giftstoffe – vor allem die Samen. "Der Genuss der Früchte kann zu Kreislaufstörungen, Fieber und Koliken führen", warnt der Nabu. Die Giftwirkung trete frühestens nach zwölf Stunden auf. "In Extremfällen kann es beim Verzehr von 30 bis 40 Samen zu tödlichen Lähmungen kommen."