
Seit mehr als fünf Jahrzehnten beschäftigt sich der Hobbyhistoriker Gundolf Weismantel mit der Geschichte seines Heimatortes. Ab 2010 verstärkte der 78-Jährige seine Forschungen und Recherchen in Fachliteratur und Archiven, bevor er vor vier Jahren die Ergebnisse wie ein Puzzle zusammenfügte. Jetzt legt er ein chronikalisches Geschichtslesebuch mit dem Titel "Das Condominatsdorf Obersinn – von der ersten urkundlichen Erwähnung bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts" vor.
Weismantels Triebfeder sind das Interesse an der "uralten" Historie seines Heimatortes und auch die Tatsache, dass bislang noch nichts Vergleichbares existiert. Mittelpunkt ist neben der ersten urkundlichen Erwähnung besonders die Condominatsherrschaft, als mehrere Herren gleichzeitig das Dorf rund 350 Jahre lang befehligten und "den Zehnt" abknöpften.
Den Alleinautor trieben besonders die Fragen um, wie die Siedlung Obersinn wohl im 14. Jahrhundert ausgesehen haben mag, wie die Menschen gelebt haben oder wie die Behausungen ausgesehen haben. Er macht weiter deutlich, dass in seinem Beitrag zur Lokalhistorie geschichtswissenschaftliche Kriterien eher in den Hintergrund traten und manche Dekaden und Feststellungen mittels Hypothese festgelegt sind. In dieser Zeit gab es nur wenige Menschen, die überhaupt lesen und schreiben konnten, und so sind auch für Obersinn genaue Aufzeichnungen Fehlanzeige.
Name "Obern Sinne"
Die erste urkundliche Erwähnung legt der Verfasser auf das Jahr 1308 fest. Einträge aus dem "Lehensbuch I" unter Andreas von Gundelfingen, dem damaligen Bischof von Würzburg, lassen dieses Jahr zu, und das Dorf trug den Namen "Obern Sinne". Die rund 40 Bürger waren arme Bauern, die den kargen Bergfeldern des Tales ihr Brot abtrotzten. Die harte Arbeit zehrte an der körperlichen Substanz, sodass Männer nur 40 bis 50 Jahre alt wurden. Die Frauen wurden, wenn sie nicht bereits im Kindsbett starben, etwas älter.
Die Ehe war von den Vätern abgemacht, von der Herrschaft abgesegnet und diente nur dazu, Kinder zu zeugen und die Familie fortzusetzen. Dabei ging es kaum um eine Liebesgemeinschaft. Vielmehr hatten die Ehen auch das Interesse der Besitzerweiterung zum gegenseitigen Vorteil. Eine hohe Kindersterblichkeit, eine lieblose Kindheit und so früh wie möglich in die Arbeit integrieren, lautete die Lebensdevise.
"Blutzehnt" abgeführt
Die damaligen Herren waren die Reichsfürsten des Hochstifts Würzburg, an die der "Zehnt" abzuführen war. Später folgte die Condominatsherrschaft, in welcher die Nachfolger "derer von Steckelberg, derer von Hutten, derer von Thüngen, die Mainzer oder das Juliusspital sich des "Zehnten" bedienten. Während anfangs beim "Zehnt" jede zehnte Getreidegarbe vom Adelsgeschlecht abgeholt wurde, folgten später die Gartenfrüchte Erbsen und Bohnen und wurde später mit dem "Blutzehnt" über Hühner und Lämmer ergänzt.
Der Bogen von Weismantels 150 Seiten starkem Geschichtslesebuch spannt den Bogen bis in die Zeit der Säkularisation im Jahr 1808, als das Obersinner Obrigkeitenkarussell im Strudel der Reichsauflösung sein Ende fand.
Gemeinde ist Herausgeber
Der Markt Obersinn gibt das lesenswerte Geschichtsbuch heraus, erklärte Bürgermeisterin Lioba Zieres. Der Autor verzichtet auf ein Honorar, und der Erlös kommt der Gemeinde zugute. "Ich möchte meinem Heimatort ehrenamtlich etwas zurück geben", sagte Weismantel. Coronabedingt kann die Druckerei Weihnachten leider nicht mehr liefern. Trotzdem kann jetzt im Rathaus zum Preis von 14,95 Euro ein Geschenkgutschein zum Fest erworben werden. Der eigentliche Verkauf soll ab Februar möglich sein.