
Eine Tochter aus gutem Hause, gescheit, fromm und wohltätig - Stoff für eine Legende. Ob die heilige Gertraud wirklich so war? Wie man sich diese Frau vorzustellen hat, berichtete Jürgen Emmert in seinem Vortrag am Dienstag in der Alten Turnhalle in Lohr.
Der kommissarische Leiter des Kunstreferats der Diözese Würzburg ist von der Heiligen seit seiner Kindheit geprägt, denn Gertraud ist auf einem großen Bild im Hochaltar seiner Heimatkirche in Karsbach dargestellt. In Neustadt soll die Heilige das Kloster gegründet haben, deshalb gehörte der Vortrag zum Jubiläumsprogramm »1250 Jahre Neustadt«.
Um es vorwegzunehmen: »Die Anwesenheit der historischen Gertraud kann man für Neustadt ausschließen«, sagte Emmert. Schade, aber diese Erkenntnis ist den historischen Tatsachen geschuldet. Denn zwischen dem Leben der Heiligen und der Klostergründung in Neustadt 769 liegen über 100 Jahre.
Ein Mönch, der sie vielleicht persönlich kannte, schrieb die Vita der Heiligen rund 20 Jahre nach deren Tod auf. In der Fachwelt gilt als gesichert, dass Gertraud 626 in Nivelles (heute Belgien) zur Welt kam und um 659 starb, das heißt, sie wurde nur 33 Jahre alt.
Kindheit am Königshof
Ihr Vater, Pippin der Ältere, war ein hohes Tier im Reich der Merowinger und es ist anzunehmen, dass Gertraud ihre Kindheit zumindest teilweise am Königshof verbrachte. Sie verkehrte also in exklusiven Kreisen, konnte lesen und schreiben und führte ein standesgemäßes Leben.
Als ihre Mutter starb, wurde Gertraud zur Chefin des Klosters in Nivelles, wird aber nie als Äbtissin bezeichnet, wie Emmert betonte. Nivelles war eine Durchgangsstation für irische Pilger auf dem Weg nach Rom und womöglich ergab es sich daraus, dass Kilian, der Frankenheilige, nach Würzburg kam und dort den christlichen Glauben predigte.
Kilian gilt als irischer Wandermönch, der mit seinen Gefährten Kolonat und Totnan um 689 in Würzburg ermordet wurde. Sagt zumindest die Legende. Immerhin ist es denkbar, dass auf diese Weise ein Band zwischen Nivelles und Würzburg bestand und die heilige Gertraud tatsächlich in Franken war.
Auch in Karlburg soll sie nämlich ein Kloster gegründet haben und das würde zeitlich besser passen als Neustadt. Für Emmert ist es jedenfalls »in den Bereich der Wahrscheinlichkeit gerückt«, dass die historische Gertrud zeitweise in der hiesigen Region war. Das Kloster in Karlburg müsse von einer »hochgestellten Persönlichkeit aus dem Umfeld der Karolinger« gegründet worden sein.
Fehler in Überlieferung
Dann ist in der Überlieferung ein Fehler passiert, weil die Menschen schon früher mit den Jahreszahlen durcheinander kamen - ob absichtlich oder unbewusst, sei dahingestellt. Um 880 taucht Gertraud ausgerechnet in einer Lebensbeschreibung des heiligen Kilian erstmals in einer fränkischen Quelle auf, diesmal jedoch als Tochter von König Pippin dem Jüngeren.
Damit wäre Gertraud eine Schwester Karls des Großen gewesen und nur zu gerne griff man das in Neustadt und der ganzen Region auf. Was für eine tolle Geschichte, zumal sich das Kloster Neustadt später oft auf Karl den Großen berief, als es sich gegen das Bistum Würzburg behaupten musste.
In diesem Zusammenhang wurde Gertraud immer mehr zur Gründerin des Klosters Neustadt hochstilisiert - wohl in einer Mischung aus Dichtung und Wahrheit. Für Emmert steht fest, dass Gertraud schon bald nach ihrem Tod als Heilige verehrt wurde. Das warf nicht zuletzt ein mildes Licht auf ihre Familie, die Karolinger.
Hinzu kam dann ihre wachsende Bedeutung als Volksheilige. Der Getraudentag am 17. März wurde früher vielerorts in Mainfranken gefeiert und Emmert hält die Heilige »nach wie vor für topaktuell«. Gertraud sei eine Leitfigur von internationalem Rang, wie ihre Verehrung in ganz Europa zeige.