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ERLENBACH
Georg Brückner: Über drei Ecken zum „Pfeifer“
Dorothea Fischer
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:42 Uhr

„Das macht 43 Mark 50.“ Gerechnet wurde im Kopf. Die Ziffern der Registrierkasse stellte man einzeln ein und die Kurbel bediente man mit der Hand. Wenn Georg Brückner aus dem Nähkästchen seines Arbeitslebens plaudert, dann gibt es vieles zu hören, was heute unvorstellbar ist. Der „Brückners Schorsch“, wie ihn viele Kunden kennen, hat 49 Jahre, nämlich sein ganzes Arbeitsleben lang, für den Eisenwarenhändler Gebrüder Liebler gearbeitet, bevor er Anfang dieses Jahres in Rente gegangen ist.

Wenn der Erlenbacher zurückblickt, dann merkt man, dass er seinen Beruf geliebt hat. Besonders angetan hat es ihm die zu seiner Lehrzeit Ende der 1960er Jahre schon historische Registrierkasse. Als sie kurz darauf ausgemustert wurde, kaufte er sie dem Chef ab. Seitdem konnte er sich nicht von dem guten Stück trennen und sie steht in Brückners Keller.

Als 14-Jähriger habe er gar nicht Einzelhandelskaufmann werden wollen, sagt der Rentner und gesteht: „Am liebsten hätte ich eine Ausbildung zum Landmaschinenmechaniker gemacht.“ Doch er wollte sich die Hände nicht schmutzig machen - mit Handschuhen hat zu dieser Zeit keiner gearbeitet, sagt er.

„Bei der Sparkasse hatte ich auch eine Zusage für einen Lehrvertrag.“ Über „drei Ecken“ sei er aber 1968 als Lehrling „beim Pfeifer in der Mitteltorstraße 28 gelandet“. Der „Pfeifer“, das war Walter Pfeifer, der den Eisenwarenhandel zwei Jahre zuvor von Andreas Liebler übernommen hatte. Der zweite Firmengründer Ignaz Liebler war bereits 1944 gestorben. „An Andreas Liebler erinnere ich mich noch“, sagt Brückner. Er habe an besonderen Tagen, wenn viel los war, den Kassendienst gemacht.

Sicherlich auch in den Tagen um den 1. August 1968, den ersten Lehrtag Brückners. „Im Marktheidenfelder Handel haben die Lehrlinge immer schon im August ihre Ausbildung begonnen“, erzählt er. Denn zur Laurenzi-Messe wurde jede helfen Hand gebraucht: „Ich habe damals am verkaufsoffenen Sonntag Luftballons aufgeblasen.“

Als „Stift“ bei Gebrüder Liebler erhielt Brückner 120 D-Mark Lohn pro Monat. Er arbeitete dafür 8,5 Stunden täglich – und das an sechs Tagen in der Woche. Im Sommer wie im Winter fuhr er von Erlenbach nach Marktheidenfeld mit dem Rad zur Arbeit, eine Busfahrkarte war zu teuer. Erst 1972 machte er den Führerschein und fuhr mit dem Mofa.

Der Lehrling besuchte die Berufsschule in Marktheidenfeld. Nach zwei Jahren legte man damals eine Verkäuferprüfung ab. Im dritten Lehrjahr stand verstärkt Buchhaltung auf dem Lehrplan. „Daran hat sich nichts geändert“, sagt der heutige Geschäftsführer Ludwig Franz.

Eine von Brückners Aufgaben war es, an die Fensterläden des Geschäfts am Morgen Eimer zu hängen, in denen die Angebote ausgestellt wurden. „Das Sortiment ähnelte dem von heute: Eisenwaren und Blumenvasen“, schmunzelt der Rentner. Er muss es wissen, war er doch der einzig verbliebene Mitarbeiter der Firma Liebler, der noch mit einem der Firmengründer zusammengearbeitet und der an allen Standorten „geschafft“ hat.

Denn bereits 1972, als das Kaufhaus Udo Lermann seinen Neubau in der Luitpoldstraße bezog, kaufte Walter Pfeifer dessen ehemaliges Domizil am Marktplatz. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere: Dort stapelten sich die Waren in einem schier undurchdringlichen, zumindest für Kunden nicht zu durchschauenden System, in deckenhohen Regalen. In grauen Kitteln bedienten die Verkäufer ihre Kundschaft mit Schrauben und landwirtschaftlichen Geräten. Auch Schlachtkessel, Futterdämpfer, handbetriebene Rübenschnitzler oder Räucherschränke konnte man bis in die 1980er Jahre dort erstehen. Küchen- und Haushaltsartikel verkauften hingegen Damen.

„Heute meint der Kunde, dass er besser Bescheid weiß als der Verkäufer.“
Georg Brückner, fast 50 Jahre Mitarbeiter bei Gebrüder Liebler

Den letzten Kälbermaulkorb, erinnert sich Brückner, habe er Anfang der 1980er Jahre einem Erlenbacher verkauft. Der befand das gute Stück für bestens geeignet, um Schwartenmägen, die er bei der Hausschlachtung produzierte, abzuhängen. Bis etwa 1970 gab es bei Gebrüder Liebler auch Grabkreuze, die vor allem ein örtlicher Bestatter bezog.

Das scheinbare Chaos des Ladens am Marktheidenfelder Marktplatz hatte auch seinen Charme. Doch die Vergrößerung der Verkaufsfläche und Parkplätze vor der Türe – wie es die Zeit erforderte – machten 1998 einen Umzug auf den Dillberg unabdingbar. Bereits vier Jahre später konnte Gebrüder Liebler unter den heutigen Geschäftsinhabern Ludwig Franz, Lothar Rummel und Heribert Schneider den Neubau im Erlenbacher Gewerbegebiet „Dürre Wiese“ beziehen.

War der Kunde früher ebenso König wie heute? Brückner sagt: „Früher kamen die Kunden oft in den Laden, schilderten ihr Problem und haben sich eine Lösung erhofft.“ Heute meine der Kunde, dass er die Lösung selbst schon kenne und besser Bescheid wisse als der Verkäufer.

Obwohl er fast 50 Jahre bei der Firma Liebler gearbeitet hat – eines hat Georg Brückner bei allem beruflichen Ehrgeiz nicht geschafft: sämtliche Artikel zu kennen, die es im Geschäft zu kaufen gibt. Wirklich verwunderlich ist das aber nicht. Geschäftsführer Franz schätzt: Von rund 5000 verschiedenen Waren vor rund 30 Jahren ist das Sortiment auf heute ungefähr 30 000 gestiegen.

Vom Stift zum Rentner: Georg Brückner (2. von rechts) verabschiedete sich im Frühjahr nach 49 Jahren Arbeitszeit bei Gebrüder Liebler in den Ruhestand. Die Geschäftsführer (von links) Ludwig Franz, Lothar Rummel und Heribert Schneider überreichten bei einer Betriebsfeier einen Geschenkkorb.
Foto: Gebrüder Liebler | Vom Stift zum Rentner: Georg Brückner (2. von rechts) verabschiedete sich im Frühjahr nach 49 Jahren Arbeitszeit bei Gebrüder Liebler in den Ruhestand.
 
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