
Michael Streit ist ein normaler junger Mann. Der Gemündener ist Zerspanungsmechaniker, mag Snowboarden und schaut Sendungen über Autos an. Mit Handarbeiten hatte der 22-Jährige seit der Schulzeit nichts mehr am Hut. Bis vor Kurzem. Im Dezember hat er die Häkelkunst entdeckt: Er häkelt aber keine Topflappen oder Klopapierrollen-Wärmer für die Hutablage im Auto, sondern coole Mützen. 15 Stück hat er inzwischen gemacht. Und damit ist er nicht alleine.
Wie kommt man als junger Mann zum Häkeln? Im Fernsehen habe er gesehen, wie zwei geschäftstüchtige Skilehrer aus Oberfranken ihre selbst gehäkelten Mützen präsentierten. Da habe er sich gedacht: „Cool, die Mützen sehen echt gut aus.“ So eine wollte der Snowboarder auch. Im Internet hat er sich deshalb eine Mütze bestellt, gehäkelt in Lohnarbeit von fleißigen Omis. Das brachte Streit auf eine Idee: Seine Großmutter häkelt auch „Topflappen und so“. Also hat er „einen ganzen Sack voll Wolle gekauft“ und ihr hingestellt, wie er erzählt.
Seine Großmutter habe ihm auch gern Mützen gehäkelt, sagt er, aber als er mit Sonderwünschen kam, sei es ihr zu anstrengend geworden. Weil der 22-Jährige aber noch weitere Farbkombinationen und Muster im Kopf hatte, hieß es: Selbst ist der Mann. Also hat er sich von seiner Großmutter zeigen lassen, wie man häkelt und los ging's. Jetzt braucht er für eine kurze Mütze zwei, für eine längere drei Stunden. So komme ihm eine selbst gemachte Mütze viel günstiger, als eine fertige, die er sich über das Internet bestellt.
Jetzt hat er Mützen in allen möglichen Farbkombinationen, darunter grün-weiß, dunkelblau-hellblau, blau-leuchtgelb und schwarz-weiß. Mal mit, mal ohne Bommel. Auf seine neueste orangefarbene-weiße Mütze ist er besonders stolz, weil die nicht einfach gestreift ist, sondern Spiralen hat. „Das Einzige, was daran so interessant ist“, so Streit, „ist, die selber zu machen.“ Meistens greift er zur Häkelnadel, wenn er vor dem Fernseher sitzt, auch nach der Spätschicht. Jetzt zählt er beim Fernsehen eben Maschen und häkelt „Runde für Runde“, bis die Mütze fertig ist. Inzwischen habe er schon seine ganze Verwandtschaft damit angesteckt, die nun auch häkele.
Christa Kuschel, Inhaberin von Kuschel's Wollkörbchen in Gemünden, spricht von einem „Wahnsinnstrend“, die die beiden jungen Oberfranken mit ihren „Myboshi“-Mützen losgetreten hätten. „Zwei- bis dreimal waren in den letzten Wochen bundesweit keine Häkelnadeln in den Stärken fünf bis sieben mehr aufzutreiben“, sagt sie. Vor zwei Jahren hätte sie das ganze Schaufenster mit gehäkelten Mützen vollstellen können, da hätte sich keiner dafür interessiert, ist sie sich sicher. In den Herbst- und Wintermonaten hat sie fünf Häkelkurse für je acht Personen gegeben: alle ausgebucht. Es kamen nicht nur Häkelwillige aus Gemünden.
Ihre Erklärung, wie es zu diesem Trend kommt, dass plötzlich überall auf den Pausenhöfen Kinder und Jugendliche mit Häkelmützen herumlaufen, dass junge Männer und Frauen, manchmal sogar Kinder, häkeln lernen wollen, ist das Internet. Einen solchen Trend wie diesen habe sie noch nicht erlebt. Dabei sei die Wolle, die alle für die Mützen wollten, nicht einmal besonders hochwertig, dafür aber recht günstig und in vielen Farben erhältlich – wenn sie nicht mal wieder ausverkauft sei. Denn die Produktion kann derzeit mit der Nachfrage kaum Schritt halten, sagt Christa Kuschel. Das hat auch Michael Streit gemerkt: „Ich habe einen Monat auf die weiße Wolle warten müssen.“
Morgens nach 9 Uhr, wenn die neue Wolle angekommen ist, stehen die Kunden bei Kuschel regelmäßig Schlange. „Jesses Frau Kuschel, bei Ihnen ist ja mehr los als im Supermarkt“, habe sie schon von einer älteren Frau zu hören bekommen. Auch Antonia, die in die sechste Klasse der Mittelschule geht, will jetzt eine solche Häkelmütze. „Das ist schon ein kleiner Trend in der Klasse“, erzählt sie und sucht sich Wolle für ihre Mütze aus. „Das ist gerade überall ein Trend“, sagt ihre Mutter, die zur Häkelnadel greifen darf. Christa Kuschel sieht den Häkelmützentrend in Zusammenhang mit einem generellen Häkel- und vor allem Stricktrend. Und tatsächlich sind Frauenzeitschriften und Hefte über das Landleben voller Strick- und Häkelanleitungen. Nach Kuschels Beobachtung kann ein Trend wie der zur Häkelmütze zwei oder drei Jahre anhalten.