Für ein soziales und solidarisches Europa sind am 1. Mai auch in Lohr Gewerkschafter auf die Straße gegangen. Markus Deissler, Gewerkschaftssekretär der IG BCE Mainfranken, forderte vor rund 100 Teilnehmern der Kundgebung auf dem Marktplatz eine Wende bei der Europawahl gegen ein »Europa der Wirtschaft, das die Menschen schutzlos dem Toben der Marktkräfte ausliefert«.
Es ist nach den Worten Deisslers »höchste Zeit für ein Europa, das die Lebensbedingungen aller Menschen verbessert statt auf Teufel komm' 'raus zu deregulieren und zu sparen«. Darauf weise das Motto des DGB zum 1. Mai hin: »Europa, jetzt aber richtig«. Nötig sei ein Kurswechsel zu einem Europa, das die Menschen schütze.
Die EU sei in keiner guten Verfassung. Ein Viertel der EU-Bürger sei von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Deissler kritisierte einen Wettbewerb um die niedrigsten Steuersätze in der EU, einzelne Mitgliedsstaaten hätten sich zu Steueroasen entwickelt. Die EU brauche eine einheitliche Steuerpolitik, Gewinne müssten am Ort ihrer Entstehung versteuert werden.
Besser mit Tarifvertrag
Die Gewerkschaften haben laut Deissler allen Grund, stolz zu sein auf die letzte Tarifrunde. Die Löhne seien branchenübergreifend um durchschnittlich rund drei Prozent gestiegen. Ferner sei bei der Arbeitszeit der Einstieg in völlig neue Regelungen für mehr Flexibilität und Selbstbestimmung geschafft worden. Das bedeute: Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt werde, stünden besser da.
Allerdings gehe ihre Zahl immer weiter zurück. In Bayern fielen nur noch 53 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse unter einen Tarifvertrag. Zur Jahrtausendwende seien es noch 83 Prozent gewesen. Der Gewerkschaftssekretär sprach von einer »skandalösen Tarifflucht der Arbeitgeber«. Die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen durch den Staat müsse daher erleichtert werden, forderte er.
Bezahlbare Wohnungen seien, so Deissler, »in Bayern mittlerweile Mangelware geworden«. Die Mieten stiegen nicht nur in den Ballungsräumen unverhältnismäßig an, in den letzten fünf Jahren um über 25 Prozent. Das Vorhaben der bayerischen Staatsregierung, 10.000 bezahlbare Wohnungen bis 2025 bauen zu lassen, »reicht hinten und vorne nicht«.
Die Schaffung von Wohneigentum bleibe für Beschäftigte mit kleinem und mittlerem Einkommen ein Traum. Der Gewerkschaftssekretär forderte »50.000 belegungsgebundene Wohnungen pro Jahr«.
Eine ehrliche Diagnose kommt nach den Worten von Mario Paul zum Ergebnis, dass für die EU in ihrer jetzigen Verfassung viele offene Fragen und hausgemachte Probleme zu diagnostizieren sind. Der Lohrer Bürgermeister verwies unter anderem auf die fehlende gesamteuropäische Antwort auf weltweite Migrationsbewegungen, die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen Mitgliedsstaaten und den Brexit. Antworten auf den Klimawandel und den rasanten Umbruch durch die Digitalisierung sowie eine gemeinsame Sicherheitspolitik stünden ebenso noch aus.
Das dürfe aber nicht bedeuten, den Kopf in den Sand zu stecken. Der 1. Mai stehe »gerade nicht für Resignation, wenn's mal schwierig ist«, so Paul. Vielmehr stehe der 1. Mai für Aufbruch, für Solidarität und für die Gewissheit, »gemeinsam mehr erreichen zu können als allein«. Es brauche einen großen Einsatz, »um die europäische Idee in die Zukunft zu führen«.
Viele Vorzüge
Der stellvertretende DGB-Kreisvorsitzende Stefan Rümmer (Karlstadt) bezeichnete die Europawahl als »eine der wichtigsten Wahlen im 21. Jahrhundert«. Es gelte die vielen Vorzüge deutlich zu machen, »die die EU für uns bringt«. Für den 23. Mai kündigte Rümmer einen »Europaspaziergang« des DGB in Karlstadt an, bei dem gezeigt werden soll, welche Vorhaben mit EU-Mitteln gefördert wurden. Treffrpunkt ist um 18 Uhr am Marktplatz.