Erinnerungen, Geschichte und Geschichten sollten gepflegt werden. Das dachten sich auch die Verantwortlichen des Traditionsvereins ESV Bavaria 1893 Gemünden e. V. und luden anlässlich des Fußball-Sportfests in diesem Jahr erstmals ehemalige Spieler des Vereins zu einem „Nostalgie-Abend“ in das Sportheim ein.
Die Resonanz war überraschend positiv, und so konnte Abteilungsleiter Patrick Werner am Samstagabend etwa 50 „Ehemalige“ im Sportheim begrüßen. Sie spiegelten die unterschiedlichen Epochen des Vereins wider. Im Vordergrund standen vor allem die glorreichen Zeiten ab 1958 in der zweiten Amateurliga West, die sportlich wechselvollen Zeiten in den 1970er und 1980er Jahren und die Wiederbelebung des Fußballs in Gemünden durch die aufeinanderfolgenden Aufstiege von 1989 bis 1991. Sie führten den Verein aus den zwischendurch erreichten untersten Klassen wieder nach oben.
Im Beisein der Vorsitzenden Uschi Hartmann und des Ehrenvorsitzenden Robert Nöth konnte Patrick Werner immerhin sieben Fußballgrößen aus der Amateurligazeit willkommen heißen, deren Namen vor allem bei den älteren Fußballfans der Region immer noch hoch im Ansehen stehen: Erwin Braun, Eberhard Kartmann, Walter Lhotzky, Werner Mickschik, Erich Riedmann, Ferdinand Schwarz und Eckhard Weiß, der aus Alzenau angereist war.
Leider sind auch schon einige Spieler der erfolgreichen Mannschaft verstorben. Im Kreis der Kicker fielen daher oft die Namen von Josef, „Seppele“ Stawoski dem begnadeten Techniker und Spielmacher, oder dem legendären Torjäger Horst Herold, um nur zwei zu nennen.
Die Schlagzeilen der Zeitungsberichte und die Kommentierungen belegten die wesentlich größere Bedeutung des Fußballs in der Nachkriegszeit, als zu einem Lokalderby auch gut und gerne 1000 Zuschauer kamen. Und Derbys gab es genug, gegen Lohr, Marktheidenfeld oder Hammelburg und Spiele gegen die großen Vereine vom Untermain, wie Goldbach, Großostheim oder Kickers Aschaffenburg.
Die Überschriften der leicht vergilbten Originalausschnitte, die sich neben handschriftlichen Kommentierungen und Schwarzweißfotos in einem halben Dutzend dicken Aktenordner finden, lesen sich so: „Gemünden wahrt seine Chance“, „Neuling schlägt Tabellenführer“ oder „Horst Herold erschießt Mechenhard“. Horst Herold, zusammen mit seinem Bruder Roland „Rolli“ lange aktiv, war wohl einer der bedeutendsten Stürmer in Gemündens Fußballgeschichte.
Das war in einer Zeit, als die Tore noch aus kantigen Holzbalken bestanden, der Platz mit Sägemehl abgestreut wurde und der eingefettete Ball eine Gummiblase hatte. Horst Herold war ein wichtiger Erfolgsgarant der Mannschaft. Noch mit 37 Jahren war er in der Torschützenliste vorne zu finden. Kein Wunder, dass in den Kommentaren der Zeitungen oft von den „Prachttoren“ und „scharfen Schüssen“ des antrittsschnellen Stürmers die Rede war.
Bei der Präsentation der historischen Fußballtabellen mussten sich vor allem die jüngeren Anwesenden zunächst etwas umstellen, gab es doch zur damaligen Zeit noch zwei Punkte für ein gewonnenes Spiel, Unentschieden wurde nicht gewertet. Lothar Ködel, selbst lange Jahre im Fußballgeschäft aktiv, fiel gleich auf, dass die Gemündener damals oft nach einer mäßigen Hinrunde vor allem in der Rückrunde erfolgreich waren. Trotzdem musste man 1963 in ein Entscheidungsspiel, um den Abstieg in die A-Klasse zu verhindern. Vor 2000 Zuschauern schlug man Marktheidenfeld, in dessen Reihen ein Sigi Held spielte, der spätere Bundesliga- und Nationalspieler.
Bei allem sportlichen Eifer kam die Geselligkeit nicht zu kurz, das war natürlich anders als heute, berichtet Walter Lhotzky. Zu den Auswärtsspielen fuhr man mit dem Bus und es wurde viel gesungen: „Meistens hat der Seuberts Hans mit dem Singen angefangen, wir haben auch nach Niederlagen gesungen.“ Und Erich Riedmann erzählt vom Trainer, dem Berufsschullehrer Hans Ulbrich, der immer erwähnte, er habe „mit dem da drüben nichts zu tun“ (Anm: gemeint war Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender der DDR). „Dem Trainer war das Singen oft zu viel, er hat uns bisweilen ,meine Sängermannschaft‘ genannt.“
Erwin Braun formulierte es drastischer: „Mir höm ach gsunge wenn mer verlorn höm. Das hat dem nit gepasst. Der hat vielleicht gedacht, mir plaache uns enahalb Stund' und hänge im Bus die Schlöppe no.“
Nach dem gemeinsamen Essen folgten Fotos und Filmaufzeichnung und Berichte neueren Datums. Dabei stellten manche Anwesenden fest, dass sich auch die Fußballermode und die Frisuren ändern.
Viele von den in den 1970er und 1980er Jahren aktiven Kickern kommen langsam in das Pensions- und Rentenalter. Gleichwohl können auch sie, wie auch die „Jungsenioren“ aus den 1990ern, viel erzählen von der Faszination Fußball, die, vielleicht anders als früher, aber nach wie vor Menschen begeistert.