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Marktheidenfeld
Französische Rokoko-Malerei und deutsche Dichtkunst
Dr. Leonhard Scherg bot zum 275. Jubiläum der Erbauung des Franck-Hauses Vertrautes und Neues.
Foto: Martin Harth | Dr. Leonhard Scherg bot zum 275. Jubiläum der Erbauung des Franck-Hauses Vertrautes und Neues.
Martin Harth
Martin Harth
 |  aktualisiert: 11.10.2020 02:10 Uhr

Das Franck-Haus in Marktheidenfeld wurde vor 275 Jahren erbaut. Grund genug, dass die Volkshochschule und der Historische Verein zu einem Vortrag über das stadtgeschichtliche Schatzkästlein einluden, das seit 1998 als Kulturzentrum auf sich aufmerksam macht.

Aufgrund der Corona-Pandemie konnte Altbürgermeister Dr. Leonhard Scherg seine alten und neuen Erkenntnisse über das einmalige Baudenkmal nicht vor Ort im barocken Festsaal vortragen. So begrüßte Vhs-Geschäftsführerin Monika Oetzel knapp 30 interessierte Zuhörer im großzügigeren Vortragssaal des Alten Rathauses.

Zunächst berichtete Leonhard Scherg Vertrautes über das barocke Palais des Weinhändlers Franz Valentin Franck aus Erfeld bei Walldürn, der 1726 in eine vermögende Marktheidenfelder Familie einheiratete. Eng untereinander verknüpft war damals die Marktheidenfelder bürgerliche Elite, die Führungsämter wie die jeweiligen Schultheißen untereinander ausmachte. 

Handfester Bauskandal

Bekannt war auch, dass Bauherr Franck mit seinem Anwesen 1745 für einen handfesten Bauskandal gesorgt hatte. Ein Überbau in die Untertorstraße hinein hatte aber nicht den zunächst geforderten Rückbau und Abriss zur Folge. Unter Vermittlung des Amtmanns im benachbarten Homburg einigte man sich auf eine tragbare Strafzahlung und ließ die Sache dann auf sich beruhen. Dass dies in Marktheidenfeld in späterer Zeit Schule gemacht hätte, fügte der frühere Bürgermeister Scherg schmunzelnd an.

Neues hatte der Historiker vor allem zur Ausstattung des Festsaals im ersten Stock zu berichten. Der heutige Zustand mit den Deckengemälden, Stuckarbeiten und Wandbehängen wurde in zwei Abschnitten hergestellt. Die ursprüngliche Ausstattung aus der Erbauungszeit wurde später, wohl deutlich nach 1760, erheblich verändert, als an den Wänden so genannte Leinwandtapeten angebracht wurden. Sie waren eine kostengünstigere Alternative zu Wirkteppichen, Gobelins, und erfreuten sich damals großer Beliebtheit.

In Marktheidenfeld hat sich neben Scherg vor allem auch Valentina Harth, die als Gästebetreuerin im Franck-Haus beschäftigt ist, mit diesen besonderen Kunstwerken auseinandergesetzt. So gelang es, die Bildvorlagen für die galanten Szenen an den vier Wänden der französischen Künstler Jean-Antoine Watteau (1684-1721) und dessen Zeitgenossen Nicolas Lancret (1690-1743) vollständig zu entschlüsseln. Damit habe schon einmal Malerei von europäischem, höfischem Rang ihre Wirkung nach Marktheidenfeld entfaltet, stellte Scherg nicht ohne Stolz fest.

Aber wie kamen die Kunstwerke in die Stadt? Darüber wurde bislang viel gerätselt. Der Vergleich mit anderen erhaltenen Leinwandtapeten führten zur Annahme, dass die großen Wandgemälde aus der Werkstatt des Frankfurter Fabrikanten, Malers und Kupferstechers Johann Andreas Benjamin Nothnagel (1729-1804) stammen könnten.

Frankfurter Elle

Nothnagel hatte 1750 eine Tapetenfabrik in Frankfurt am Main übernommen. Viele Herrscher- und Bürgerhäuser von Rang bezogen bei ihm ihre Tapeten. Er handelte auch mit anderen Luxuswaren, was durch zeitgenössische Kataloge belegt werden kann. Darin finden sich auch Beschreibungen von Tapeten, wie sie im Franck-Haus hängen. Außerdem entsprechen die Tapetenbahnen mit 82 Zentimetern Breite genau eineinhalb Frankfurter Ellen. Die Maße waren zu dieser Zeit regional höchst unterschiedlich und liefern so einen markanten Hinweis auf die Herkunft.

Die Fabrikation von Nothnagel hat es Leonhard Scherg endgültig angetan, und seine Fabulierkunst, die er einst schon in Bezug auf die "Sektwiege" Franck-Haus spielen ließ, erneut entfacht. Schließlich zählte die Familie Goethe in Frankfurt zu Nothnagels Kunden. In den autobiographischen Notizen, die Johann Wolfgang von Goethe unter dem beziehungsreichen Titel "Dichtung und Wahrheit" veröffentlichte, beschrieb der Frankfurter seine Eindrücke von Nothnagels Tapetenfabrik. Der Künstler hatte Goethe grundlegend in die Öl-Malerei eingeführt, und der Dichter hielt fest, dass er einmal selbst einige Malstriche auf einer Leinwandtapete ausgeführt hatte.

Augenzwinkernd stellte Leonhard Scherg deshalb fest, dass der Dichterfürst nach seiner "festen Überzeugung" natürlich höchstpersönlich Hand an die Tapeten für das Franck-Haus angelegt habe. Neben der französischen Rokoko-Malerei halte so auch die Weltliteratur Einzug ins "Blaue Wunder" Franck-Haus und nach Marktheidenfeld.

Wenn sich genügend Interessenten bei der Volkshochschule melden,Tel.: (09391) 9181996, wird Leonhard Scherg seinen Vortrag an einem weiteren Termin gerne wiederholen.

Die Leinwandtapeten im Festsaal des Franck-Hauses sind ein besonderer kunstgeschichtlicher Schatz
Foto: Martin Harth | Die Leinwandtapeten im Festsaal des Franck-Hauses sind ein besonderer kunstgeschichtlicher Schatz
 
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