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Frammersbach
Frammersbacher Fuhrleute: Die Trucker des Mittelalters
Aus der Geschichte Main-Spessarts (32): Das Exportgut Glas machte Frammersbach zu einem bedeutsamen Fuhrmannsdorf. Doch mit der Dampfschifffahrt und der Eisenbahn kommt das Fuhrmannsgeschäft zum Erliegen.
Die Marktgemeinde Frammersbach war einmal ein bedeutendes Fuhrmannsdorf.
Foto: Theodor Ruf | Die Marktgemeinde Frammersbach war einmal ein bedeutendes Fuhrmannsdorf.
Theodor Ruf
 |  aktualisiert: 27.04.2023 10:48 Uhr

Das größte Dorf im Spessart? Da wird mancher lange nachdenken. Es ist – und war seit jeher – Frammersbach. Genaugenommen besteht es aus vier Teilen: Frammersbach, Herbertshain, Schwart(e)l, Hofreith. Diese Einteilung lässt sich aber erst in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweisen, nicht alle Quellen differenzieren überhaupt. Es ist davon auszugehen, dass ursprünglich zwei Siedlungen vorhanden waren: „Frammersbach“ westlich = rechts der Lohr (das sich dann später ausdifferenzierte) und „Herbertshain“ östlich = links der Lohr.

Wann betrat der erste Mensch Frammersbacher Boden? Funde der Vor- und Frühgeschichte sind im heute dicht bewaldeten Spessart naturgemäß selten, doch es gibt sie. Die Verbindung durch das Lohrtal nach Norden zum Kahlgrund, an die Kinzig und ins Rhein-Main-Gebiet zog Menschen an. Wann aber entstand die erste dauerhafte Siedlung? Aschaffenburg, Lohr, Würzburg: sie reichen ins Frühmittelalter (und weiter) zurück, und auch Frammersbach dürfte spätestens ab der Karolingerzeit eine Siedlung gewesen sein. Die aus dem 8./9. Jahrhundert stammende Grenze des „Aschaffenburger Forstes“ beziehungsweise die der Pfarrei Lohrhaupten von 1057 zeigen deutlich, dass auch der Innenraum des Spessarts besiedelt war.

Frammersbacher Fuhrmann in zeitgenössischer Darstellung.
Foto: Theodor Ruf | Frammersbacher Fuhrmann in zeitgenössischer Darstellung.

Doch was wäre Frammersbach ohne seine Fuhrleute? Nur ein Dorf wie jedes andere. Man mag ja denken: nun, da gab es halt ein paar Fuhrleute, und weil es von einem von denen auch noch ein Bild von 1577 existiert, „hängt“ sich die ganze Gemeinde bis heute daran auf und hält das für etwas Besonderes.

Tatsache ist: Es ist etwas Besonderes, und auch wenn es viele „deutsche“ Fuhrleute gab, die in den Niederlanden zusammengefasst als „Hessen“ bezeichnet wurden, und auch wenn nicht wenige andere Dörfer sich „Fuhrmannsdorf“ nennen: Die Frammersbacher haben sie nicht so leicht übertroffen. Dass diese ein Monopol auf einer der Strecken gehabt hätten, wie oft zu lesen ist, ist allerdings völlig unbewiesen und historisch wie logistisch auch unmöglich. Im Gegenteil: Sie mussten sich arrangieren wie durchsetzen. Nicht klar zu erfassen ist, welche Rolle sie im Gesamtgefüge des Transportwesens spielten – eine bedeutende jedenfalls. Vor allem aber wird das Dorf durch sie intensiv geprägt – ohne dass die Quellen es zulassen würden, viele Details zu erfassen.

Fahrten durch den Spessart sind ein „Abenteuer“, früher wie heute. Gefahren gab und gibt es genug, auch wenn die „Spessarträuber“ nur kurzfristig agierten und nun touristisch vermarktet werden. Kann man um den Spessart nicht herum, so muss man durch – das ist zwar kein Vergnügen, aber möglich. Die Birkenhainer Straße ist eine mäßig benutzte Höhenstraße, für Zwischenstationen muss man gegebenenfalls  in die Täler absteigen.

Straße durch den Spessart

Die andere wichtige Straße kommt von Würzburg, überquert bei Triefenstein den Main und läuft ähnlich wie die heutige Autobahn quer durch bis Aschaffenburg. Keinen Sinn macht es, einzelne Straßen als „Handelsstraße“, „Königsstraße“, „Reichsstraße“, „Poststraße“, „Pilgerstraße“ etc. zu kategorisieren: Jede Straße wird für alle Belange, nicht nur für einzelne, benutzt.

Wagen und Karren mit Glas. Ausschnitt aus dem Volkacher Salbuch, Stadtarchiv Volkach.
Foto: Theodor Ruf | Wagen und Karren mit Glas. Ausschnitt aus dem Volkacher Salbuch, Stadtarchiv Volkach.

Problematisch ist auch der sehr häufig verwendete Begriff der „Fernstraße“, denn er impliziert, eine Straße sei auf eine Fernverbindung hin konzipiert worden. Doch: Alle Wege führen nach Rom, das heißt die Fernverbindung ergibt sich durch das einfache Aneinanderreihen lokaler Wege auf ein bestimmtes Ziel hin, das sich jeder Reisende selbst setzt. Es gibt keine spezielle „Schnelltrasse“.

Besonders wichtige Verbindungen erhielten den Schutz durch das Reich beziehungsweise dieser Schutz (Geleit) wurde als Lehen an lokale Gewalten vergeben, und an solchen Straßen verlangte man in der Regel auch Zoll. Wenigstens an geländemäßig kritischen Stellen konnten Straße gepflastert und mit Fahrrillen versehen sein. Für die Gemeinden war es eine existentielle Aufgabe, die Wege in Ordnung zu halten; die Herrschaft ist genauso daran interessiert und drängt gegebenenfalls darauf. Räuber und wilde Tiere stellen eine geringere Gefahr dar als Schlaglöcher. Die Spessartstraßen sind nicht einfach, doch bieten sie eine wirkliche Alternative zur langen Reise auf dem Main.

Bei vielen Orten lässt sich ein schriftlicher Beleg für ihre Existenz erst spät fassen, bei Frammersbach ist es das Jahr 1314, doch gibt es auch eine Quelle, die ins 12. Jahrhundert zurückweist, wenn sie auch nicht ganz eindeutig ist. Aber dass Frammersbach jünger sei als das benachbarte und 1233 schriftlich bezeugte Partenstein, das ist nicht nur in der Mentalität der heutigen Bewohner natürlich völlig unmöglich.

Die Anfänge des Fuhrwesens

Die Anfänge des Fuhrwesens dürften mit dem Werden der Grafschaft Rieneck zusammenhängen. Entscheidend wird das Exportgut des Spessarts werden: Glas. Die vier Hütten des mainzischen Spessarts produzieren um 1400 230 000 Stück Hohlglas und 3000 Zentner Flachglas. Die Mainzer Kaufhausordnung von 1534/35 vermerkt zum Punkt „Glas- und Krügekarren“: „Die Frammersbacher, außer der Landen zu Hessen, Württemberg und alle anderen Glaser geben vom Fenster- und Trinkglas ihren Pfundzoll, das sind vom Gulden 3 Pfennige.“

Nicht als Produktionsort, sondern als Herkunftsort der Transporteure des Spessartglases wird hier Frammersbach genannt. Es gibt leider kaum weitere aussagekräftige Belege, keine Ladelisten, Verträge oder Ähnliches. Sicher ist, dass viel Glas auch auf dem Wasserweg transportiert wurde, weil das die Bruchgefahr verminderte. Der Transport in Tragkörben, ebenfalls bezeugt, kann nur über relativ geringe Entfernungen durchgeführt werden. Also: zumindest ein Großteil des Glases geht auf dem Landweg, und die Frammersbacher Fuhrleute müssen nicht unerheblich beteiligt gewesen sein.

Offen bleiben muss, ab wann, und wie sich das Absatzgebiet entwickelt hat. Man kann das Glas als den „Zündfunken“ bezeichnen, der das Fuhrmannsgewerbe in Gang brachte, das sich dann über die sich ergebenden Kontakte mit den großen Städten und den Handelshäusern erweiterte. Waren es zunächst Fahrten auf eigene Rechnung oder im Auftrag lokaler Händler, so erweiterte sich das Geschäft allmählich zum Ferntransport.

Fuhrleute monatelang unterwegs

Die Fuhrleute sind oft monatelang unterwegs. Ihre Familien müssen ohne den Haushaltungsvorstand auskommen. Nicht unwahrscheinlich ist, dass mit den Fuhrleuten aus der Fremde auch Frauen kommen, die Neues ins Dorf bringen und wahrscheinlich auch den bis heute besonderen Dialekt Frammersbachs mitprägen. Quellenmäßig nicht nachvollziehbar ist, welche Güter hier und besonders in Lohr landen: es dürfte ein reger Import gewesen sein. Im Dorf selbst schafft das Gewerbe Arbeitsplätze: Pferdezucht und Versorgung, Lederbearbeitung, Schmiede, Wagner: sie alle profitieren.

Ein besonderer Punkt ist der Viehhandel, an dem die Frammersbacher ebenfalls beteiligt sind, wobei Zeit und Umfang kaum fassbar sind: 1683 heißt es, sie hätten in diesem Jahr 6000 Hammel und beinahe alle polnischen und ungarischen Ochsen zum Schaden des Landzolls nicht auf der Birkenhainer Straße, sondern unter deren Umgehung nach Frankfurt geleitet.

1374 erhält Rieneck den Landzoll am Einmal bei Gemünden, hier werden Rinder, Pferde, Schafe und Schweine als Handelsgut genannt, wobei man nicht weiß, in welchem Umfang transportiert wird. 1422 lässt der Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg einen Viehtrieb von Ungarn durch den Nordspessart nach Frankfurt führen. Die Frammersbacher Fuhrleute sind jedenfalls nicht nur ein Berufszweig von vielen, sondern der wirtschaftliche „Motor“ der Region.

Frammersbacher Fuhrleute in einer zeitgenössische Darstellung.
Foto: Zeichnung unbekannt | Frammersbacher Fuhrleute in einer zeitgenössische Darstellung.

Eine eindrucksvolle Zahl: 1526 stellen sie mit 167 Wagen und 17 Karren beim Geleit Erfurt bald so viel wie alle anderen Fuhrleute aus 30 Orten zusammen. Und 1508 werden 55 (!) Fuhrleute, wohl nur die eigentlichen Unternehmer, aus Frammersbach genannt.

Doch die Zeiten ändern sich. Der Dreißigjährige Krieg schädigt das Dorf; vor wenigen Jahren wurde bei Frammersbach eine „Sternschanze“ entdeckt, die in diese Zeit gehört und noch intensiver zu erforschen ist. Es existieren auch Hinweise darauf, dass Grimmelshausen, der Autor des Romans über den Krieg „Simplicius Simplicissimus“ mit Frammersbach zumindest vertraut gewesen sein dürfte.

Das Fuhrmannsgeschäft kommt zum Erliegen

Für die Dorfgeschichte gibt es eine einzigartige Quelle, das sogenannte „Sechserbuch“, das Aufschluss über die dörfliche Rechtspraxis 1572–1764 gibt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse Frammersbachs wechseln stark, letztlich sind es Dampfschifffahrt und Eisenbahn, die die Transportströme umstrukturieren, das Fuhrmannsgeschäft kommt zum Erliegen.

Schreibwarenhandel und im 20. Jahrhundert die Heimschneiderei bringen neuen Wohlstand, bis auch hier veränderte Wirtschaftsweisen eine neue Industrielandschaft schaffen. Frammersbach blüht weiterhin. Freilich stellen sich zu seiner Geschichte viele Fragen, und wie bei allen Orten der Region Main-Spessart gilt: Es gibt noch viel zu entdecken.

Literatur:  Rainer Leng: Grenzen, Steine Sechsersprüche. Würzburg 2017;  Theodor Ruf: Quellen und Erläuterungen zur Geschichte der Marktgemeinde Frammersbach bis zum Jahr 1559. Würzburg 2018

Zum Autor: Dr. Theodor Ruf ist Kreisheimatpfleger für den Altlandkreis Lohr, er schrieb zahlreiche Beiträge zur Geschichte der Region Main-Spessart.  Seine Dissertation verfasste der Historiker über die „Die Grafen von Rieneck“.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.

 
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Kommentare
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  • R. Z.
    Wir haben diesen kurzen Artikel aus dem Jahr 2003 zum „Welschen“ in Frammersbach gefunden: www.mainpost.de/2118537

    Herzliche Grüße

    Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
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  • S. C.
    Nein, das ist nicht das, worum es geht. Die Frammersbacher hatten eine wirkliche Geheimsprache; es gibt eigene Wörter und es werden auch in bestehende Wörter zusätzliche Silben eingefügt.

    Es gab (gibt??) auch eine kleine Gruppe, die diese Geheimsprache beherrscht und versucht, sie zu pflegen/erhalten.

    Dazu gab es auch einmal einen Radiobeitrag.
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  • S. C.
    Und hier mal lesen im eigenen Archiv:

    https://www.mainpost.de/regional/main-spessart/forschung-ueber-das-welschen-art-27544
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  • R. Z.
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  • S. C.
    Bei diesem Thema fehlt leider völlig die Erwähnung der "Geheimsprache" der Frammersbacher Fuhrleute. Sogar in der MP gab es vor einigen Jahren einen interessanten Beitrag dazu.
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