Es wirkt ein bisschen, als entstehe hier ein kleines, neues Stadtviertel. Auch wenn der Garten des Karlstadter Finanzamts momentan noch eher wie eine Baustelle aussieht, kehrt langsam Leben ein. Seit Herbst 2015 wurde in Akkordzeit gebaut, immer wieder mussten witterungsbedingte Pausen eingelegt und die Zeit hinterher wieder reingeschafft werden. Jetzt sind die drei Häuser für insgesamt rund 80 anerkannte Flüchtlinge und sozialschwache Familien so gut wie fertig, der Rasen ist gesät und wartet auf Regen, in einem der Häuser sind acht Wohnungen seit einer guten Woche schon bezogen.
Zu Besuch bei Fatma und Joan
Während draußen in der sengenden Hitze die letzten Bauarbeiten über die Bühne gehen, herrscht bei Fatma Racho und Joan Wakas gedämpfte Ruhe. Seit einer Woche leben die 21-jährige Syrerin und ihr 30-jähriger Ehemann auf 45 Quadratmetern in einer der Wohnungen. Gerade war Wakas bei Sakine Azondanlou, Integrationsbeauftragte der Stadt Karlstadt, jetzt ist Azodanlou zur Stippvisite mit rüber zu Wakas und seiner Frau gekommen. Leise öffnet Racho die Türe, schließlich soll der zehnmonatige Sohn der jungen Familie nicht geweckt werden. Friedlich schlummernd liegt der im Schlafzimmer der Paares.
Das ist zwar nicht groß, bietet aber Platz für alles Notwendige. Außerdem gibt es noch ein zweites kleines Zimmer, eine größere Wohnküche und ein Bad. Einen Esstisch hat die Familie noch nicht, auch das Sofa und der Couchtisch stehen noch recht einsam im sonst nackten Raum. Die Wohnung ist neu und schön gemacht, Luxus ist sie aber lange nicht.
Doch für Wakas und Racho ist ihre neue Bleibe wie ein kleines Schloss. „Wir sind vor einem Jahr nach Deutsch- land gekommen“, erzählt Joan Wakas. Auf der Flucht war seine Frau hochschwanger, die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft verbrachte sie in Erstaufnahmelagern und Notunterkünften. „Das war hart“, sagt Fatma Racho. Das erste Kind zu bekommen, ist ohnehin eine stressige Zeit. „Und dann hatten wir kaum Privatsphäre, das war nicht einfach.“ Später wohnte die junge Familie im Hotel Atlantis in Gemünden. Seitdem ihr Asylantrag durch war, hatten sie sich auf Wohnungssuche gemacht. Jetzt sind sie angekommen, sie sind daheim. „Das ist ein richtig gutes Gefühl. Jetzt sind wir zu Hause“, sagt Racho. Deutsch kann die junge Frau noch kaum, auch ihr Mann tut noch sich schwer.
Zum Glück können beide Türkisch und Sakine Azodanlou, die in der Türkei geboren ist und dort gelebt hat, kann übersetzen. Joan Wakas besucht bereits den Integrationskurs und will dann, wenn sein Deutsch gut genug ist, wieder in seinem alten Beruf, Maler und Lackierer, arbeiten. Fatma Racho ist gelernte Frisörin und sobald das Kind alt genug ist, will auch sie die Kurse besuchen und danach wieder arbeiten.
Bis dahin wollen sich die beiden um die neue Wohnung kümmern. „Hier kommen noch Bilder hin, ein Teppich und ein großer Tisch“, sagt Fatma Racho und deutet in den leeren Raum. Es muss eben Schritt für Schritt gehen, für große Sprünge ist kein Geld da, die Sachen werden wie fast alles hier gebraucht sein. Aber es ist ein Zuhause, ein sicheres Zuhause. Und eines, dass man nicht so schnell wieder verlassen muss.
„Hier darf man alles fragen“
Auch Sonja Reusch schaut mal rein bei der jungen Familie. Sie arbeitet bei der Hausverwaltung Tegel aus Karlstadt und ist für die drei Häuser verantwortlich. Auch wenn in erster Linie technische Fragen und Verwaltungsanforderungen zu ihrem Aufgabenbereich zählen, gehören noch eine Menge anderer Dinge dazu.
„Ach, man hilft bei allen möglichen Fragen. Heute morgen haben wir gemeinsam überlegt, wie wir das mit dem Müll am besten regeln können und ich habe erklärt, wie das System in Deutschland funktioniert“, sagt Reusch. Einer der Flüchtlinge hat sich bei ihr daraufhin bedankt. „Er hat gesagt, dass er das erste Mal in Deutschland wo ist, wo er alles einfach fragen kann.“ Die gute Kommunikation zwischen den neuen Nachbarn, der Hausverwaltung, der Stadt und dem Helferkreis ist Reusch besonders wichtig. „Ohne geht es nicht.“
Susanne von Mansberg und Günther Rösch, die Leiter des Karlstadter Helferkreises sind nicht mit hoch zu Wakas und Racho gekommen. Sie haben keine Zeit. Im Erdgeschoss des Hauses ist eine Familie eingezogen, die sie schon länger aus der Arbeit im Helferkreis kennen. „Denen fehlt grad noch alles mögliche“, sagt Günther Rösch. „In den Flüchtlingsunterkünften war ja größtenteils Mobiliar vorhanden. Jetzt fängt es beim Kopfkissen an und hört beim Teller auf.“
Deshalb ist ein neuer Aufgabenbereich für den Helferkreis dazugekommen: bei der Einrichtung helfen. Sonst bleibt die Struktur der rund 60 Ehrenamtlichen, mit einem „harten Kern mit rund einem Dutzend Leuten“, so Rösch, weitestgehend bestehen. „Das System funktioniert, jetzt wird es auch hier greifen.“ Ein Teil der Menschen, die jetzt eingezogen sind, hat schon vorher in dezentralen Unterkünften in Karlstadt oder in der Notunterkunft in Arnstein gelebt, ein anderer Teil kommt aus anderen Landkreisen und der Erstaufnahme in Schweinfurt.
„Wir werden neben unserem bisherigen Angebot mit Kleiderkammer, Hilfe bei Behördengängen oder Deutschunterricht auch versuchen, für jede Familie, die hier einzieht, einen Paten zu finden.“ Jemanden, der in den ersten Wochen hilft – aber vor allem auch jemanden, der eine kleine Brücke hinaus zur Karlstadter Bevölkerung baut.
Die Menschen werden bleiben
Denn alle Flüchtlinge, die in den neuen Häusern wohnen oder am 1. September einziehen werden, haben einen anerkannten Asylantrag, sie bleiben mindestens drei Jahre in Deutschland. Schaut man sich die Situation in den Heimatländern an, werden wohl viele gar nicht mehr zurück gehen. Sie werden also Karlstadter werden, jetzt, wo sie hier auch ein Zuhause haben.
Bei der Auswahl der Bewohner haben die Stadt Karlstadt und die Regierung von Unterfranken zusammengearbeitet. „Eigentlich sollten wir für fünf der Wohnungen sozialschwache, deutsche Familien finden“, berichtet Sakine Azoudanlou- „Allerdings stehen einem als Hartz-IV-Empfänger schon als Einzelperson 50 Quadratmeter zu. Eine Familie möchte dann natürlich nicht mit mehreren Personen auf 45 Quadratmeter ziehen.“ Umso glücklicher sind die anerkannten Flüchtlinge jetzt über ihre neuen Wohnungen.
Am Sonntag, 28. August, laden die neuen Bewohner, die Stadt Karlstadt, der Helferkreis und die Regierung von Unterfranken zum Tag der offenen Tür in die Gemündener Straße. Von 14 bis 17 Uhr gibt es Kaffee und Kuchen, das Spielmobil des Landkreises wird da sein, es besteht die Möglichkeit, Wohnungen zu besichtigen und mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen.
Auf ein gutes Miteinander!