Neues Futter für Angler und Kormoran: Tausende Jungfische sind am Dienstag und Mittwoch bei Marktheidenfeld und Homburg in den Main eingesetzt worden, insgesamt waren es 21 600 Stück. "Alles außer Aale", sagt der Obermeister der Fischer- und Schifferzunft Marktheidenfeld Thomas Lermann, "die wurden bereits im Frühjahr eingesetzt".
Am Dienstagvormittag steuert der Zuchtbetrieb Rhönforelle aus Gersfeld zunächst die Zunftgewässer in Homburg an, wo der Fahrer Paul Bleuel die Hälfte der lebendigen Ladung aus Wassertanks in die Freiheit entlässt, die andere Hälfte bringt er anschließend nach Marktheidenfeld. Die jungen Fische wissen noch nicht, was sie in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten erwartet – ein Leben in schier endloser Freiheit, doch gespickt mit zahlreichen Gefahren: große Fische, die den Kleinen nach dem Leben trachten; der Kormoran als ausgezeichneter Jäger aus der Luft; die Schifffahrt, die mit ihrem Wellenschlag für Unordnung in der Kinderstube sorgt.
Fischerei heute ein Hobby
Günther Hegmann (72) und Otto Väth (73) nehmen in Homburg die Jungfische im Kescher entgegen, verladen diese in ihren Schelch, um sie an verschiedenen Stellen in Ufernähe zu verteilen. Die beiden Fischer, Jahrgang 1947, sind die ältesten und auch die dienstältesten Mitglieder der 1649 gegründeten Fischer- und Schifferzunft, der sie seit mehr als 50 Jahren angehören.
Von der Fischerei kann heute niemand mehr leben, man darf sie eher als traditionsreiches Hobby mit schwindendem Nachwuchs betrachten. Die Marktheidenfelder Zunft hat derzeit 35 Mitglieder, von denen noch sechs beizeiten mit ihrem Schelch auf den Fluss fahren, um Netze und Reusen auszubringen. Seit einigen Jahren werden auch Frauen in die Zunft aufgenommen – ein Bruch mit der Jahrhunderte alten Tradition, die Mitgliedschaft und somit das Fischereirecht nur auf männliche Nachkommen zu vererben.
Regionales Produkt
Zu den langjährigen Partnern der Zunft gehört auch die Fischerei Oberle aus Erlangen-Kosbach, die über 40 Teiche mit einer Wasserfläche von zusammen mehr als 100 Hektar verfügt. Züchter Christoph Oberle trifft am Mittwochmittag in Marktheidenfeld ein, wo er vom stellvertretenden Obermeister Michael Väth empfangen wird, der ihm beim Einsetzen der Jungfische assistiert.
"Für die Karpfenteichwirtschaft war es ein brauchbares, gutes Jahr", resümiert Oberle. Die hohen Temperaturen im Sommer seien kein Problem gewesen, im Gegenteil: "Die Karpfen brauchen hohe Temperaturen." Mehr Sorgen bereitet dem Fischzüchter ein anderes Problem: "Corona lässt grüßen", sagt er, und berichtet über die Folgen des Lockdowns für seinen Betrieb und das angegliederte Fischlokal. Denn dort seien die Gäste gezwungenermaßen ausgeblieben, während es im Aischgrund sonst gute Tradition ist, dass die Leute zum Fischessen gehen.
In den rund 100 Lokalen der mittelfränkischen Region würden üblicherweise etwa 900 Tonnen Karpfen in der Saison, die von September bis April reicht, verspeist. "Das fällt jetzt erst mal flach", sagt Oberle und bedauert dies auch aus ökologischen Gründen, denn die Fischzucht produziere "im Sinne der nachhaltigen Moderne" ein regionales Produkt – im Bruthaus entstanden und in den Teichen ums Haus aufgewachsen, werde es teilweise auch in der Umgebung gegessen. Das liege im Trend, meint Oberle, die Pandemie habe ihm nun einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Verkauf des Fischessens außer Haus sei nicht so üblich, erzählt der Züchter, der befürchtet, "auf etlichen Karpfen sitzenzubleiben".
Neuer Räuber
Unter den Prädatoren, die sich an den Fischen bedienen, hat Oberle neben dem Kormoran und Fischreiher einen weiteren Räuber ausgemacht: den Fischotter. "Bei uns ist er zwar noch nicht, im Nachbardorf hat man ihn schon gesichtet", sieht der Fischzüchter eine Bedrohung auf sich zukommen. Denn der Otter fresse etwa zwei Kilogramm am Tag und hole sich gerne große Fische mit mehreren Kilogramm Gewicht. Da er pro Mahlzeit jedoch nur 400 bis 500 Gramm verschlinge, blieben viele Kadaver übrig, und man müsse je Raubtier mit einem Verlust von zehn bis zwölf Kilogramm Fisch am Tag rechnen, schätzt der Züchter.
Der Otter, der hierzulande vor 60 Jahren als ausgestorben gegolten habe, werde jetzt zu einem massiven Problem, befürchtet Oberle. Dass man die Tiere "von Böhmen hierhergekarrt und ausgewildert" habe, dafür hat er wenig Verständnis. "Wir bezahlen den eigenen Untergang", sagt der Züchter, denn ein Karpfenteich sei ökologisch wertvoll für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren, die auf der Roten Liste heimischer Arten stünden.
Renaissance in Corona-Zeiten
Ohne den Fischbesatz sähe es in unseren Gewässern trostlos aus. Fremde Arten, wie die Schwarzmeergrundeln, nähmen überhand. "Damit überhaupt heimische Fische in den Gewässern schwimmen, deshalb brauchen wir diesen Fischbesatz", ist sich Oberle sicher.
"Für die Fischerei war es ein erfreuliches Jahr", sagt der Obermeister der Marktheidenfelder Zunft. Sie habe in Corona-Zeiten eine Renaissance erlebt, wo viele die Natur wiederentdeckt haben. "Noch nie habe ich so viele Angelkarten verkauft", berichtet Thomas Lermann.
Damit nicht nur der Köder am Haken hängt, sondern auch ab und zu ein Fisch daran zappelt, dafür haben sich nun die Voraussetzungen im Main wieder deutlich verbessert.