„Selbst bei Sauereien ist der Deutsche gehemmt“ – mit diesen Worten beklagte Mathias Tretter am Samstagabend die Banal-Affären im eigenen Land. Was den Wahl-Leipziger aus Würzburg veranlasst, über den deutschen Tellerrand hinaus ins krisengeschüttelte Europa zu blicken. 130 Zuhörer im ausverkauften Alten Rathaussaal teilen seine Lust an Wortakrobatik, Parodie und zielgerichteter Provokation.
Mathias Tretter verpackt die „Spitzenleistungen“ aus 365 Tagen in drei Stunden Programm vom Feinsten. Und Ausnahmen bestätigen die Regel: Die Lohrer Kabarettfreunde zählen nicht zur Kategorie der Franken, die mit verschränkten Armen applaudieren und sich ein „Ich hätt's nit besser könn' gemach“ abringen. Vielmehr ist der vielfach ausgezeichnete Satiriker mit seinem siebten Jahresrückblick „NachgeTRETTERt“ bereits ein Klassiker auf der heimischen Kleinkunstbühne.
Eingeladen von ktm-events und Kulturamt analysiert der 40-Jährige Fehltritte, zerreißt die Mächtigen in der Luft und fügt alles mit verblüffender Logik wieder zusammen. Mit dabei ist die Sparbüchse „GEZ“ (Griechenland-Entschädigungs-Zentrale). Als Begründer der Aktion „Rettungswitz“ kostet ihn jeder Griechenspott eine Münze.
Was Tretter in vollen Zügen genießt, ist sein Recht auf Meinungsfreiheit. „Die Krise steckt in der Krise“ warnt er und „wulfft, gauckt und niebelt“ sich eifrig und blitzgescheit durch die Baustellen 2012. Selbst vor den drei Schamthemen der Deutschen macht Tretter nicht Halt: „ Die sexuelle, die nationale und Ostdeutschland“.
Letzteres gibt das willkommene Stichwort für Merkel und Gauck. „Ein Bundespräsident ist nicht die Exekutive, nicht die Legislative, sondern die Dekorative“, behauptet er unter schallendem Gelächter. „Pass auf deine Eier auf“, rufe die feministische Kanzlerin karrieregeilen Nebenbuhlern zu. Aufmerksame Beobachter von Politik und Gesellschaft folgen Tretter tief in die Polit-Szene.
Der Germanist springt vom „Israel-Gedicht“ zum „ergebnisorientierten Besäufnis“ der Briten oder zeichnet höchst amüsant den katholischen „Pippikacka-Streit“ mit dem Titanic-Magazin nach: „Die undichte Stelle im Vatikan gibt dem Heiligen Stuhl eine neue Bedeutung.“
Finanzminister mit Schweizer Steuer-CDs gelten bei Tretter als „DJ Swissfucker“, während US-General Petraeus in Afghanistan nicht nur seine Truppen unter sich hatte. Was aber ist die Gemeinsamkeit zweier „nervtötender Dauerbrenner“ wie Lothar Matthäus und Bettina Wulff? Beider Hang zu peinlichen Geschlechtspartnern ließe sich nicht mal vom treudoofen Loddar „demontieren“.
Fantasievoll inszeniert er die Wulff-Affäre bis zum bitteren Ende: „Die tätowierte Rotlicht-Betti trifft auf den charakterlich und moralisch verkommenen Bo-Frost-Fahrer Christian“.
Im unvergleichlichen „Obama-Walk“ kehrt Tretter nach der schöpferischen Pause auf die Bühne zurück. Was war der Grund für den Friedensnobelpreis? „Obama läuft so schön.“ Tretter rät dem mächtigsten Mann der Welt zum Treffen mit Wolfgang Schäuble: „Der Rocker und der Roller könnten einiges bewegen“.
Großer Applaus verlangt die originelle Zugabe: Ein letztes Mal zieht Tretter in täuschend echter Merkel-Manier den pastoralen „Lutherflunsch“ und verspricht zum Jahreswechsel: „Alle kriegen Alles“. Was das bunt gemischte, „verdauende“ Publikum für 2013 hoffen lässt. Trümmerfrauen, pensionierte (darunter auch amtierende!) Lehrer sowie Woodstock-Veteranen hätten allen Grund zur guten Laune: „Denn Weltuntergang und Weihnachten sind überstanden.“