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BILLINGSHAUSEN
Ex-Bauer schreibt Buch: Eine ökumenische Abrechnung
500 Jahre Reformation Als Kind ausgegrenzt, als Funktionär brüskiert: Jetzt rechnet Alfred Kraus ab mit den großen Kirchen. Der 78-jährige Billingshäuser verfasste ein Buch – mit wissenschaftlichem Anspruch.
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:29 Uhr

Er ist sich seiner selbst bewusst. Dass er von Beruf Bauer war, das möchte Alfred Leo Kraus allenfalls am Rande erwähnt wissen. Schließlich erhebt er wissenschaftlichen Anspruch für sein Werk mit dem nüchternen Titel: „Wege des Protestantismus 1517-2017“.

Es ist ein sachlicher „Aufriss und Überblick“, gestützt auf umfangreiche Literatur in seiner Bibliothek, die ein ganzes Zimmer seines stattlichen Bauernhauses im Ortskern von Billingshausen beansprucht. Als Quellen nutzt er das Alte Testament und Martin Luthers Schriften ebenso wie das Evangelische Sonntagsblatt Bayern und „Die Geschichte des Westens“ von Heinrich August Winkler.

Kraus erscheint streitbar wie einst Martin Luther, dessen mutmaßlicher Thesenanschlag sich 2017 zum 500. Mal jährt. Es dünkt, als sei er auch ein Getriebener. Aufgewachsen – nahezu puritanisch – in einem evangelischen Bauerndorf in der Rhön, wähnte er sich von Kindesbeinen ausgegrenzt. Kontakte zu den ringsherum katholischen Dörfern wurden gemieden, Liebschaften mit katholischen Mädchen waren tabu. Das war der Keim für seine Unzufriedenheit, die bis heute in ihm gärt und nun auch aus seinem Buch herauszulesen ist.

„Der Papst müsste nur die Exkommunikation von Luther aufheben – dann wär' schon mal ein Schritt getan.“
Alfred Kraus, Autor

„Ökumene ist ja Augenwischerei“, sagt Kraus im Gespräch mit der Redaktion, „leeres Gefasel“. Dabei bekommen beide großen Konfessionen ihr Fett ab: die lutherische, weil sie zu wenig aufbegehrt gegen die katholische Kirche, zu lax sei, zu wenig selbstbewusst; die katholische wiederum wegen ihres Absolutheitsanspruchs. Apodiktisch sei diese, kritisiert Kraus. Apodiktisch sagt er immer wieder im Zusammenhang mit der katholischen Kirche. Apodiktisch heißt unumstößlich geltend, keinen Widerspruch duldend. „Rom sagt: Ihr seid kein Teil der allein selig machenden Kirche“, verdeutlicht er. Die evangelische Kirche werde „noch nicht mal Schwesterkirche“ genannt, sondern lediglich eine „befreundete“. Anachronismus sei noch ein „höflicher“ Ausdruck für diese Konstellation, macht Kraus sich Luft.

Diese Arroganz bekam er hautnah zu spüren, als er Mitte der 1970er Jahre den Bauerntag in Billingshausen organisierte und einen ökumenischen Gottesdienst in der Urspringer Festhalle plante – am Sonntagvormittag! Katholische Abgeordnete hatten Bedenken, der katholische Bischof sagte „Nein!“

Die deutsche Bischofskonferenz bekräftigte dies 1994: „Ökumenische Gottesdienste dürfen nicht dahin führen, dass in einer Gemeinde an einem Sonntag keine Heilige Messe gefeiert werden kann. Die katholischen Christen dürfen durch die Teilnahme an einem ökumenischen Gottesdienst nicht in einen Konflikt mit dem Sonntagsgebot gebracht werden.“ Die katholische Kirche war voller Katholiken, in der Festhalle verloren sich die evangelischen Bauern, „a paar Hansele“. Das schmerzte den Funktionär. Es schmerzt Kraus bis heute.

„Der Papst müsste nur die Exkommunikation von Luther aufheben“, meint Kraus fordernd, „dann wär' schon mal ein Schritt getan.“ Einen persönlichen Schritt hat er schon 15 Jahre hinter sich: jenen vom Bauern, der einst über 100 Hektar bewirtschaftet und zeitweise Mastschweine gehalten hat, zum Rentner, der Geschichte und Gesellschaft studiert. Statt den Traktor anzuwerfen, fährt er jetzt seinen PC hoch und schreibt: über Luther und Melanchthon, über Calvin und die Hugenotten, die Barmer Erklärung und den Kirchenkampf im Nationalsozialismus. 500 Jahre Geschichte, komprimiert in 25 Kapiteln auf knapp 250 Seiten. „Zahlen, Daten und Fakten sind sorgfältig recherchiert“, betont er in seinem Nachwort.

Kraus ist ein großer Mann, ein selbstbewusster dazu, einer mit Ecken und Kanten, ein unbequemer. Vielleicht einer wie Luther, dessen „klare Positionen“ er schätzt, dessen „Stehvermögen natürlich“ und „dass er das Evangelium auf das Wesentliche zurückgeführt hat.

“ Das Wesentliche? Was ist dies für Kraus? „Na, die vier Soli ..!“ Allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt, nicht durch gute Werke, allein durch die Gnade Gottes wird der Mensch errettet, nicht durch eigenes Tun, allein Christus, nicht die Kirche, hat Autorität über Gläubige und allein die Heilige Schrift ist Grundlage des christlichen Glaubens, nicht die Tradition der Kirche. Da ist sie wieder, die Abgrenzung zum Katholizismus: „Was richtig ist, bestimmt nicht die Bibel, sondern der Papst, die hierarchisch strukturierte katholische Kirche . . .“

Im persönlichen Gespräch wird wohl manches deutlicher als in dem sachlich gehaltenen Buch. Für wen er es geschrieben hat? „Das ist eine interessante Frage . . .“ Kraus zögert. „Ich halte es für anspruchsvoll für den Durchschnittsmenschen – aber man muss es ja nicht ganz lesen. Man kann sich einzelne Abschnitte aussuchen: die Gegenreformation, die Ökumene, die Gegenüberstellung der Soziallehren, . . . Ich sagte ja: Es ist anspruchsvoll. Wenn sich einer damit befasst, weiß er hinterher mehr als vorher.“ Er könne sich vorstellen, „dass es auch für Pfarrer lesenswert ist“ – katholische wie evangelische.

Die Stärke der katholischen Kirche sei, dass sie ihre Gläubigen durch die hierarchische Struktur ständig konditionieren könne. „Sie sagt, wo es lang geht, geistlich. Das macht sie gut.“ Die Lutherischen seien offener. „Unvollkommen wie jene, aber offener. Nicht so betont apodiktisch.“

Dass die Trennung evangelisch – katholisch im Alltag heute nahezu keine Rolle mehr spielt, besänftigt Kraus keineswegs. „Mir ist das überhaupt nicht wurscht. Das ist eigentlich ein Skandal“, schimpft er. Dass das Volk anders damit umgeht, als die Obrigkeit. „Wir sind das Volk, aber wir regieren nicht“, spricht er für die Katholiken, „die Obrigkeit bestimmt die Richtlinien.“ Eben dies sei der Unterschied zum Protestantismus.

„Als denkender Mensch wäre ich nicht katholisch“, sagt Kraus über sich. „Die Widersprüche sind zu eklatant.“ Hätte er die Wahl, sähe er sich eher als griechischer Philosoph.

Nachdem er sein Lebensthema aufgearbeitet hat, wendet er sich wieder den schönen Dingen des Lebens zu: „Ja“, schaut er in die Zukunft und schmunzelt, „ich hab einiges in der Schublade. Essays, 20 Seiten lang. Die hab ich noch niemandem angetragen.“

„Landwirt und Bauer aus Beruf und Passion; historisch beschlagen; berufsständisch engagiert und und verantwortlich für den Landkreis Main-Spessart, agrarpolitisch kompetent; in der Agrarsozialpolitik langjährig erfahren und im Ehrenamt tätig; kritischer Begleiter im amtlichen Naturschutz. Ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande (1990) und der Staatsmedaille in Silber (1997).“

So beschrieb sich Alfred Leo Kraus selbst, als er 2005 unter dem Pseudonym Leo Cyrus „Land-doc. und eine kleine Geschichte“ veröffentlichte, die Geschichte seines Hofes. 1997 erschien sein Erstlingswerk „Die Agrarier“, 2010 seine „Chronik von Billingshausen“.

Geboren 1938 in Oberwaldbehrungen, einem Ortsteil von Ostheim vor der Rhön, wuchs er fast puritanisch in der evangelischen Diaspora auf. Die Vorfahren kamen aus Thüringen. Er engagierte sich früh in der Landjugend, wo er auch seine Frau Helma Friedrich kennenlernte, die er 1964 heiratete. Drei Jahre später verkaufte er seinen Hof in der Rhön und übernahm die Landwirtschaft seiner Schwiegereltern in Billingshausen, dem ebenfalls evangelisch geprägten Bauerndorf auf der Fränkischen Platte.

Von 1965 bis 1973 war Kraus Vorsitzender der evangelischen Landjugend, von 1972 bis 2002 Kreisobmann Main-Spessart des Bayerischen Bauernverbands. 2003 übergab er seinen Hof an den Sohn, eines von drei Kindern des Ehepaars.

Das Buch „Wege des Protestantismus 1517-2017“ ist erschienen im Eigenverlag, Book on demand, erhältlich im Buchhandel, Preis: 22,99 Euro gebundene Auflage, als E-Book 7,99 Euro, ISBN 3-86548-252-X. rp

Alfred Kraus im Eingang seines Bauernhofs in Billingshausen.
Foto: Roland Pleier | Alfred Kraus im Eingang seines Bauernhofs in Billingshausen.
 
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