Über den Nahostkonflikt, dessen Entstehung und Hintergründe spricht Wolfgang Vorwerk bei einem Vortrag der Volkshochschule Lohr und des Geschichts- und Museumsvereins Lohr am Donnerstag, 11. Januar, um 19 Uhr in der Alten Turnhalle in Lohr. Aktueller Anlass: das Massaker der Hamas am 7. Oktober auf israelischem Boden.
Der Lohrer Heimatforscher war von 1998 bis 2004 in Bonn und Berlin zuerst Leiter des Nahost-Referates, dann Nahost-Beauftragter im Range eines Botschafters. Vorwerk begleitete den damaligen Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer auf dessen Nahost-Reisen in den Jahren 1998 bis 2004. Der Lohrer war maßgeblich am sogenannten "Drei-Stufen-Plan" beteiligt.
Am "Drei-Stufen-Plan" während des Nahostkonflikts beteiligt
Mit diesem gab der Bundesaußenminister 2002 den entscheidenden Impuls für die sogenannte Roadmap 2003 im Nahostkonflikt, dessen Ziel die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staats auf dem von Israel 1967 besetzten Gebiet – Westjordanland, Ostjerusalem, Gaza – war.
Warum dieser Plan ebenso wie viele andere Bemühungen um einen palästinensischen Staat gescheitert sind, gehört zu Vorwerks Themen am Donnerstagabend. Wie er in einem Telefongespräch mitteilt, wird er auf die Geschichte Palästinas eingehen und von der Staatsgründung Israels bis heute die Entwicklung und die Probleme skizzieren.
Mehr als ein Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern
Der Nahostkonflikt ist weit mehr als ein Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Die Region ist Spielball und Einflusszone vieler Staaten und religiöser Gruppierungen. Der Referent wird versuchen, die Komplexität dieses Konflikts zu erklären, anhand einer Präsentation mit Kartenmaterial die Situation verschiedenen Zeiten verdeutlichen und die Ereignisse einordnen. Für Fragen und zur Diskussion stehe er zur Verfügung. Über einige Punkte haben wir vorab mit Wolfgang Vorwerk gesprochen:
Wolfgang Vorwerk: "Die entscheidende Veränderung gab es 2005: Israel zog sich einseitig aus dem Gazastreifen zurück – ohne Einbeziehung der rechtlich und politisch dort verantwortlichen palästinensischen Autonomiebehörde und vor allem ohne auch nur den Versuch zu machen, den Rückzug mit einer Perspektive im Sinne der Roadmap in Richtung Friedensabkommen und Schaffung eines palästinensischen Staates zu verbinden. Das war ein Fehler. Die Hamas sah sich als Sieger und Israel als Besiegten an. So ist das im Nahen Osten."
2006 gewann die radikalislamische Hamas die palästinensischen Parlamentswahlen. Sie riss 2007 die Macht im Gazastreifen an sich und verwandelte ihn in eine Raketenabschussbasis Richtung Israel. Alle zwei Jahre kam es zu militärischen Gegenmaßnahmen der Israelis. Die Hamas nahm damit nicht nur die Menschen in Gaza in Geiselhaft, sondern erwies auch den Palästinensern und ihrem Streben nach einem unabhängigen Staat damit und mit dem Massaker am 7. Oktober einen Bärendienst. Der Hamas geht es nicht um einen palästinensischen Staat an der Seite Israels. Ihre Angriffe sind auch keine Reaktion auf gescheiterte Friedensverhandlungen. Sie zielen einzig und allein auf die Vernichtung Israels und die Errichtung eines Gottesstaates.
Vorwerk: Hamas, die Hisbollah und der Iran als Hauptfaktor der sogenannten Ablehnungsfront wollen auf arabischem Boden keinen jüdischen Staat dulden. Sie sehen nur, dass Israelis angeblich von den Palästinensern ererbtes Land genommen haben, nicht aber, dass es in der vorislamischen Zeit in der Region bereits Juden gab und Israel seit 1948 ein souveräner Staat ist, der seit 1949 gemäß Sicherheitsratsbeschluss Vollmitglied der Vereinten Nationen ist. Hamas und die zahlreichen anderen radikalislamischen Gruppierungen des Dschihad haben sich dem Kampf zur Erweiterung und Verteidigung des "wahren" islamischen Glaubens verschrieben, so wie sie es aus ihrer hasserfüllten Sicht sehen und damit auch mit manchem arabischen Staat auf Konfrontationskurs gehen: Sie wollen überall, wo sie an die Macht kommen, einen Gottesstaat oder wie es auch heißt, ein "Kalifat" errichten.
Vorwerk: Dem beizukommen ist sicher sehr schwer. Das sehen wir ja in Afghanistan. Um die Hamas einzuhegen, müssten die arabischen Staaten mitziehen. Soweit sind wir nicht: Es geht um die Rückkehr der israelischen Geiseln, um die Bewältigung der katastrophalen humanitären Verhältnisse im Gazastreifen und für Israel im Rahmen seines legitimen Selbstverteidigungsrechts darum, dass die Hamas mit ihrer Drohung, solche Anschläge wie am 7. Oktober zu wiederholen, keine Chance mehr hat.
Vorwerk: Israel stand 2023 und steht immer noch durch die von der rechts-religiös ausgerichteten Politik angestrebte Justizreform fast am Rande einer Spaltung. Die Hamas hat das Land in einem Moment der Schwäche getroffen – als Israel mit sich selbst mehr als mit seiner Sicherheit nach außen beschäftigt war.
Vorwerk: Bei uns in Deutschland leben in der Tat viele Palästinenser und Angehörige anderer arabischer Nationalitäten. Viele sind damit leider aufgewachsen. Soweit es sich um die 1967 besetzten Gebiete handelt, ist diese Forderung in ihrer verkürzten Form sogar legitim, aber nur, wenn sie mit friedlichen Mitteln verfolgt wird. Die Forderung "Free Palestine" durch Gewalt und Terror oder gar durch Auslöschung Israels – wie das "from the river to the sea" – ist jedoch völlig inakzeptabel. Zumal für uns Deutsche, für die die Sicherheit und das Existenzrecht Israels Teil unseres Selbstverständnisses ist.
Vorwerk: Ja. Es muss eine Friedenslösung geben. Die Bausteine sind alle da. Auf die Zwei-Staaten-Lösung haben sich kürzlich erst wieder die G7-Außenminister verständigt.