
Wie viel Freiheit hat jemand, der nur durch einen Schlauch in der Nase atmen kann? Der erstickt, wenn ihm nicht innerhalb von Minuten der Schleim aus der Luftröhre gesaugt werden kann? Der Betreuung braucht, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, weil eine Krankheit sein Leben dominiert? "Wir wollen so viel Freiheit und Teilhabe am normalen Leben schaffen, wie möglich ist", sagen Thomas Steigerwald und Joachim Nürnberger. Beide werden im März die, nach ihrer Auskunft, erste Intensivpflege-Wohngemeinschaft im Landkreis Main-Spessart eröffnen.
Neun Bewohner werden in der Marktheidenfelder Baumhofstraße einziehen können. Das Angebot richtet sich an jeden, der "einen permanenten medizinischen Interventionsbedarf" hat. Die beiden wollen so die Intensivstationen der Umgebungen und die Familien von Rund-um-die-Uhr-Pflegebedürftigen entlasten.
Eigentlich sollte erst mit diesem Artikel öffentlich werden, dass Steigerwald und Nürnberger Anfragen annehmen, doch schon während des Gesprächs ruft ein Krankenhaus an, ob sofort ein Platz frei wäre. Dabei ist die geplante WG noch eine einzige Baustelle. Es ist nicht die erste Anfrage an die beiden. Der Bedarf ist enorm – und war es auch schon, bevor der Kampf gegen Corona die Beatmungskapazitäten der Krankenhäuser band.
Das Ziel: ins Leben zurückkehren

Die ersten Pläne für eine Intensivpflege-WG schmiedeten Steigerwald und Nürnberger schon im Jahr 2018. Ein Jahr später konkretisierten sie diese; im Februar 2020 gründeten sie die GmbH. Der erste wird als Geschäftsführer im Vordergrund, der andere als Gesellschafter eher im Hintergrund agieren. In Würzburg und Aschaffenburg gebe es bereits eine WG, sagen die beiden. Steigerwald war lange Pflegeleiter und hat schon eine Intensivpflege-WG aufgebaut. Nürnberger vertreibt medizintechnische Produkte. "Unsere Fachbereiche ergänzen sich gut", sagt Steigerwald. In Main-Spessart war noch keine solche WG, also taten sie sich zusammen.
"Unser primäres Ziel ist: Wir wollen die Leute so pflegen, dass sie irgendwann nicht mehr permanent überwacht werden müssen und wieder ins Leben zurückkehren können." Als Altenheim wollen die beiden ihr Konzept deshalb nicht verstanden wissen. Das Wort "Wohngemeinschaft" sei wörtlich zu nehmen. Jeder Bewohner soll so eigenständig wie möglich leben können. Jeder hat ein eigenes Zimmer, das er sich einrichten kann, wie er will. Es gibt eine Küche, ein Wohnzimmer zum Fernsehen und eins, indem sich die Bewohner ungestört mit Freunden oder Verwandten treffen können. Die Gemeinschaftsräume sind offen gehalten, barrierefrei. "Wir wollen ein häusliches Umfeld bieten", sagt Nürnberger.
Hohe Fachkraftquote
Dies mit der permanent nötigen Überwachung zu kombinieren, ist gar nicht so einfach. Rund um die werden mindestens drei ausgebildete Fachkräfte da sein. "Die gleiche Quote wie auf einer Intensivstation", sagt Steigerwald. Die notwendigen Maschinen werden von niedergelassenen Ärzten betreut. "Dadurch haben die Pfleger viel individuelle Zeit mit den Patienten", sagt Steigerwald. Sie können so die Bewohner, die sonst im Krankenbett liegen, in die Innenstadt, an den Main oder zum Einkaufen begleiten. Es sind gemeinsame Schritte in Richtung Selbstständigkeit.
Noch ist die WG nicht fertig. Und sie wäre es noch länger nicht gewesen, hätte sich der Landtagsabgeordnete Thorsten Schwab nicht für sie eingesetzt, erzählt Nürnberger. Weil die Corona-Krise die Behörden so im Griff hat, dauerte es lange mit den Genehmigungen. Nun aber kommt schön langsam Licht in das Projekt, im übertragenen und im wörtlichen Sinne. Die Beleuchtung in den Zimmern funktioniert nämlich endlich. Außerdem wurde gerade die beleuchtete Decke geliefert. Sie soll Flair im Wohnzimmer schaffen, sagt Steigerwald. Die WG-Mitbewohner sollen sich ja wie zu Hause fühlen – ab März 2021.