
Gerhard Wurst ist jemand, den die Generation Z wohl als "Macher" bezeichnen würde: Eine Person, die sich durch die Fähigkeit zum Handeln und eine große Durchsetzungskraft auszeichnet. So definiert der Duden das Jugendwort. Wurst ist 75 Jahre alt, trägt einen markanten Schnauzer und spricht am liebsten und ausgiebig über die Artenvielfalt im Werntal.
Viele Jahrzehnte wohnt er mit seiner Frau schon in Neubessingen, mit knapp 140 Einwohnern der kleinste Ortsteil Arnsteins. Seit fünf Jahren treibt den Rentner eine Vision an. Ein Projekt, für das er Widerstände im Ort, Bürokratie und ganz viel Eigenarbeit tagtäglich in Kauf nimmt: die Artenschutzinsel in Neubessingen.
Naturteich, Streuobstwiese und eine Vogelschutzhecke
In drei Bereiche lässt sich das 6200 Quadratmeter umfassende Biotop am Ortsausgang Richtung Wülfershausen grob unterteilen. Betreten Besuchende das Gelände, stehen sie zunächst im Naturteichareal samt Pergola, Trauerweide und verschiedenen Pflanzenhochbeeten. Exoten, wie winterharte Kiwipflanzen und fleischfressende Pflanzen, teilen sich dabei den Platz mit heimischen Sorten, wie Aroniasträuchern.
Ein leicht ansteigender Pfad verbindet dieses Herzstück der Artenschutzinsel mit dem zweiten Bereich, der Streuobstwiese. Mirabellen, Äpfel, Quitten, Zwetschgen und Kirschen hängen hier schon vereinzelt an den neu gepflanzten Bäumen. Nach hinten wird die Streuobstwiese von einer Vogelschutzhecke begrenzt, dem dritten Bereich. Einer klassischen Hecke ähnelt sie kaum, eher einem verwilderten Waldstreifen. Sie ist mehrere Meter hoch, mit Totholz aufgefüllt und bietet unter anderem Lebensraum für brütende Vögel und Schmetterlingsarten.
Umweltbildung ist ein Schlagwort, das bei der offiziellen Eröffnungsfeier der Artenschutzinsel vergangenes Wochenende besonders häufig gefallen ist. Das Schaffen eines Ortes für Kinder und Jugendliche, an dem sie sich über die Biodiversität im Werntal lernen können: Dieser Wunsch treibt Gerhard Wurst an. "Was sie nicht kennen, können sie auch nicht schützen", findet der Neubessinger. Zwei Grundschulen hätten schon zugesagt, mit ihren Klassen bald vorbeizukommen.
Insekten und Eidechsen haben sich angesiedelt
Für Familien, die das begehbare Biotop auf eigene Faust erkunden wollen, hängen an der Hütte vor der Rebhuhnvoliere zehn Lehrtafeln. "Kinder sollen ihre Umwelt wortwörtlich begreifen lernen, anstatt sie nur virtuell wahrzunehmen", wünschte sich die bayrische Kultusministerin Anna Stolz bei der Eröffnungsfeier. Sie ist selber Mitglied im Verein Artenschutzinsel e.V. und unterstützt das Projekt seit ihrer Zeit als Arnsteiner Bürgermeisterin. "Ich komme viel in Bayern rum, und das hier ist ein besonders schönes grünes Klassenzimmer", lobte sie.

Wirkt das Projekt von außen betrachtet wie eine kunstvolle Gartenanlage mit etwas Gestrüpp dazwischen, lässt sich mit Achtsamkeit mehr entdecken. Da gibt es zum Beispiel verschiedene Jagdspinnen, die in den Trockenmauern ohne Netz auf Jagd gehen. Oder vereinzelte Eidechsen, die über die Steingemäuer huschen. Das Blumenbeet direkt hinter einer der drei Sitzbänke ist nicht zufällig dort angelegt: Auf Augenhöhe mit Hummeln, Wespen und Bienen können Besuchende diesen beim Bestäuben der Blüten zuschauen.
Eine Drehung des Kopfes um 180 Grad eröffnet den Blick auf einen weiteren Lebensraum: Im zentral angelegten Naturteich filtern Teichmuscheln stündlich hunderte Liter Wasser, das ist sogar mit bloßem Auge sichtbar: Rund um die Muscheln ist das Wasser klarer. Libellen schwirren, Stichlinge schwimmen, bald sollen europäische Sumpfschildkröten im Naturteich einziehen.
Biotop ist "noch lange nicht fertig"
"Manchmal sind am Uferrand so viele Bienen und Wespen, dass sich die Vögel gar nicht mehr hintrauen", bemerkte Gerhard Wurst und lacht. Ein Wohlfühlort für Insekten und Vögel war das Gelände lange Zeit allerdings nicht: Das frühere Mutterquartier für schnell wachsende Weichhölzer glich bis 2019 eher einer Agrarsteppe. Inzwischen kehrt die Tierwelt immer zahlreicher und diverser zurück. "Die Kunst beim Schaffen eines Biotops ist es, möglichst viele verschiedene Konzepte und Lebensräume auf kleinem Raum erlebbar zu machen", erklärte Andreas Adelsberger von der bayrischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim.

In einem benoteten Studierendenprojekt entwarfen 25 seiner Schülerinnen und Schüler 2019 einen Plan für das Gelände der heutigen Artenschutzinsel. Bei einem Rundgang stellt er erfreut fest: "Ein großer Teil der Ideen meiner Schüler konnte umgesetzt werden." Stellenweise Änderungen seien hauptsächlich aus finanziellem Grund nötig gewesen.
Gefördert wird das Projekt maßgeblich vom Amt für Ländliche Entwicklung sowie der ILE MainWerntal, Spenden stammen vor allem von der Sparkasse Mainfranken Würzburg. Insgesamt 100. 000 Euro sowie unzählige Stunden Eigenarbeit flossen in die Artenschutzinsel. Da habe sich die ganze Arbeit wirklich gelohnt, lobte ein Besucher bei der Eröffnung und blickte durch das schmiedeeiserne Eingangstor auf die Artenschutzinsel. Die Sonne lässt den Naturteich in verschiedenen Grüntönen glitzern. "Naja, die Arbeit ist noch lange nicht fertig", entgegnete Wurst und lacht. Ein Macher eben.