
"Im Interesse des öffentlichen Anstandes und der Sittlichkeit wird bei herannahender Fastnacht hiermit veröffentlicht, daß nur solide und anständige Maskenumzüge auf der Straße oder sonst an öffentlichen Plätzen geduldet werden. Jede unanständige Kleidung oder sonstiges unsittliches und rohes Benehmen hat die Verhaftung und Bestrafung des Excedenten zur Folge. Lohr, den 20. Februar 1854. Der Stadtmagistrat" (Lohrer Anzeiger, 21.02.1854).
Wie man an dieser Bekanntmachung erkennt, verstanden es die Lohrer, Fasching ausgelassen und intensiv zu feiern. Bei den karnevalistischen Veranstaltungen standen vor allem lokale Ereignisse im Mittelpunkt. Daneben wurden aber auch die deutsch-politischen Begebenheiten in den Fasching einbezogen und als willkommener Anlass zu heiteren Darbietungen begrüßt, von politischer Satire war man allerdings weit entfernt.
Als zum Beispiel das Deutsche Reich sich anschickte, Kolonialmacht zu werden und 1884 auch erste Kolonien erhielt, kam es in Lohr zu Veranstaltungen wie dem großen Maskenball des Lohrer Turnvereins aus dem Jahr 1885 mit dem Thema "Radabum, Radabum, bum, bum, King Bell von Kamerun geht um". Dabei traten unter anderem der "Carnevalistische Matrosen- und Niggerchor, Kamerun Huppahoi" auf, und es wurde ein großer westafrikanischer Kriegstanz aufgeführt.
Von weit größerer Bedeutung als heutzutage waren in Lohr die Festumzüge. Zur Veranschaulichung folgt eine zusammenfassende Beschreibung des Lohrer Faschingszugs vom 10. Februar 1891:
"Allen voran zog ein berittener Herold, begleitet von einem Harlekin zu Fuß, dem die "niedliche" Prinzengarde mit Gewehren und Trommeln sowie das prinzliche Musikcorps folgten. An sie schloß sich der vom Eislaufverein Lohr dekorierte Prinzenwagen, auf dem sich Prinz Karneval nebst Gemahlin und dessen Nebenherrscher "Gambrinus" den Zuschauern präsentierten, gefolgt von Wagen des närrischen Ministeriums "dessen bedächtiger Lenker mit aller Vorsicht zu Werke ging, um zu den bestehenden Ministerkrisen nicht noch eine neue zu schaffen".
Als Übergang zum Volkstümlichen folgte nun ein Wagen Salontiroler aus dem Hochgebirge, die sich's bei "gutem Stoff" und ihrer Pfeife "recht wohl schmecken ließen". Ihm folgten die Wagengruppe des Lohrer Bürgervereins mit dem Titel "Dr. Storch und Kompanie" und ein Schiff, "und weil's Fasching ist, nicht im Wasser, sondern auf Rädern", bemannt mit rudernden Matrosen, einem Schiffskoch und allem, was zu einem richtigen Schiff gehört.
Gelungenste Zuggruppe
Nach diesem vom Kriegerverein arrangierten Schiff kam die Gruppe "Buffalo Bill" der Turngemeinde Lohr, deren Indianer und indianischen Darbietungen besonderen Anklang beim Publikum fanden und die als die gelungenste Gruppe des Zuges bewertet wurde. An sie schloss sich der Wagen der Jagdgesellschaft aus dem Spessart (Spessartverein), die Wiener Damenkapelle (Lohrer Musiker als Frauen verkleidet), der "Amerikanische Circus Kobra" des Turnvereins Lohr, die "Churmainzer Artillerie" der freiwilligen Feuerwehr und schließlich "ein sehr gelungener Wagen mit einer Junggesellenausstellung und englischen Touristen auf einer Reise nach dem Luftkurort Pflochsbach" an. Den Schluss bildete ein Wagen mit "einem Prachtkleeblatt von Kaffeeschwestern, die sich abwechselnd bei Klatsch und Kartenspiel ihr Leibgetränk recht gut schmecken ließen und davon ganze Ströme in sich hineingossen".
Diesen für damalige Verhältnisse sehr großen Faschingszug sah der Redakteur des Lohrer Anzeigers als Beweis für den "kräftigen Tropfen rheinischen Blutes der Churmainzischen Väter" in den Adern der Lohrer Bürger. Der Festzug von 1891 war laut Anzeiger ein großer Erfolg, da zu Tausenden Besucher der nahen und fernen Umgebung angereist waren. Der Besucherandrang war so groß, dass am Abend des Faschingsdienstags Lohr "leer gegessen" und bei keinem Wirt mehr Platz zum Einstellen der Pferde war. Diesem jährlichen Karnevalstreiben bereitete der Beginn des Ersten Weltkriegs dann aber ein jähes Ende.