Yasmin* (6) blickt vom Esstisch auf. Vor ihr liegt ein Durcheinander aus Arbeitsblättern. Von oben schreit das Baby, die Spülmaschine läuft, ihr großer Bruder will etwas von der Mutter. Das Tablet, auf dem sie ein Video anschauen soll, funktioniert nicht. Für die Erstklässlerin ist das Schulalltag – der einzige, den sie kennt. "Das nervt alles ein bisschen; ich muss immer Papa oder Mama fragen. Wenn die das nicht wissen und ich das auch nicht weiß: dann habe ich niemanden zum Fragen."
Auch Yasmins Mutter hätte gerne jemanden, den sie fragen kann. "Wir bekommen einmal in der Woche einen Anruf der Lehrerin, die fragt, wie es geklappt hat." Das sei immer nur sehr kurz. Sie könne zwar jederzeit eine E-Mail schreiben, wende sich aber lieber an eine andere Mutter, "das hat etwas mit Vertrauen zu tun". Oder an einen Vater? "Nein, es sind immer die Mütter", sagt sie.
Ein Eltern-Coaching fände sie gut: Jemand, der ihr erklärt, was sie zu erklären hat. "Ich muss das ja erst mal selbst verstehen." Andererseits könne sie das zeitlich nicht auch noch stemmen.
"Wir haben das Gefühl, rund um die Uhr zu arbeiten – ich bekomme den Kopf gar nicht mehr frei," sagt Christine Kasamas. Sie unterrichtet an der Grundschule Sendelbach eine jahrgangsgemischte 1./2. Klasse. Der Vorteil dieser heterogenen Gruppe, in der die Kinder voneinander lernen, falle nun weg.
Außerdem bedeutet es doppelte Arbeit bei der Vorbereitung. Viele Arbeitsblätter könne sie im Homeschooling nicht 1:1 übernehmen, sagt Kasamas; die müssten noch mal überarbeitet werden. Dann die dreifache Belastung: Die vergangene Woche korrigieren, die aktuelle Woche unterrichten, die folgende Woche vorbereiten. Vor allem die Gedankensprünge seien wahnsinnig anstrengend. "Wir haben jedoch das Glück, dass wir sehr kooperative Eltern haben. Doch es ist ein Problem, dass von den Eltern wahnsinnig viel verlangt wird."
Zurück im Esszimmer: Yasmins Mutter telefoniert. Sie muss aus dem Homeoffice auch dem eigenen Job nachgehen. Die Tochter ist abgelenkt, hört lieber der Mutter zu, als weiter zu rechnen.
Die Belastung für sie als vierfache Mutter sei enorm. "Ich muss mir die Zeit jeden Tag neu aus den Fingern saugen." Unterrichten bedeute ein Job mehr, den sie "so nebenbei" stemmen müsse. Ihre größeren Kinder bewältigten das Homeschooling schon recht selbstständig. "Bei meiner Kleinen hingegen muss ich ja alles noch vorlesen."
"Jetzt soll das jeder können"
Manchmal, wenn sie mit den Nerven am Ende sei, stelle sie sich die Frage, warum Lehrer denn so lange studierten, denn: "Jetzt plötzlich soll das jeder mit ein paar Blättern ausgedruckten Papiers können." Aber Autos reparieren oder Haare schneiden könne sie ja auch nicht von heute auf morgen. "Ich habe das einfach nicht gelernt."
Hinzu kämen noch die technischen Faktoren. "Wir haben keine fünf Computer auf dem neuesten Stand." Dies habe sie gegenüber der Schule erwähnt. Die Antwort: "Gucken Sie halt, wie Sie es machen können."
Die Kinder der Grundschule Sendelbach seien technisch gut ausgestattet, sagt Kasamas. Zehn Prozent der Schülerschaft hätten kein geeignetes Gerät gehabt und ein Leihgerät der Schule erhalten. Darunter seien auch die Kinder, die jetzt in der Notbetreuung sind.
Auch an Yasmins Grundschule gibt es eine Notbetreuung; theoretisch, denn "gleichzeitig wird gesagt: bitte nutzt sie nicht", sagt die Mutter von Yasmin. Langfristig müsse sich die Regierung etwas einfallen lassen. Sie wünscht sich Wechselunterricht; als Entlastung für sich und damit Yasmin ihren Freundeskreis wieder sehen könne. Das Mädchen schluchzt: "Corona hat mir meine Freundinnen weggenommen."
Mirjam* (7) besucht die zweite Klasse: "Ich würde lieber wieder in die Schule gehen, weil da kriegt man das besser erklärt. Aber Oma ist die zweitbeste Lehrerin." Die übernimmt oft den Unterricht, denn Mirjams Mutter findet es schwer, beide Rollen, als Mutter und Lehrerin, auszufüllen – das bringe automatisch mehr Konflikte im Alltag. Die Gewichtung der Aufgaben falle sowohl Mutter als auch Tochter schwer: Hat nun das Aufräumen des Zimmers Priorität vor den Schulaufgaben oder ist das Mittagessen wichtiger? "Oft müssten wir alles gleichzeitig machen."
Eine neue Hürde für ihre Tochter sei das Tippen, sie habe ja gerade erst das Schreiben gelernt. Die digitale Unterstützung durch App und Videos befürwortet die Mutter. Vor allem die Videos ersparten ihr viel Arbeit.
Die App motiviere die Kinder, denn sie besitze ein ausgeklügeltes Belohnungssystem: Die Kinder sammeln digitale Goldmünzen und tauschen diese dann gegen Spiele ein. »Leider sitzen sie dann noch länger vor dem Gerät«, sagt Mirjams Mutter.
Doch sie kann dem Ganzen auch Positives abgewinnen: "Meine Tochter ist ausgeglichener." Sie sei ehrgeizig und in der Schule oft frustriert gewesen. "Hier daheim ist sie weniger abgelenkt und verplempert nicht mehr so viel Zeit." Mirjam gefällt, dass sie jetzt endlich mal ausgeschlafen lernen und sich den Stoff frei einteilen kann. Doch die Gemeinschaft fehle ihr und manchmal habe sie eben einfach keine Lust.
Eltern fechten, so Kasamas, jeden Tag einen großen Kampf aus. In der Schule, in der Gruppe, machten die Kinder mit, "weil die anderen es auch machen". Daheim müssten Eltern ihre Kinder jeden Tag neu motivieren. Sie bemerkt nach mehreren Wochen Lockdown: "Die Spritzigkeit hat nachgelassen, die Kinder haben keinen Bock mehr." Außerdem werde die soziale Schere größer, je länger es keinen Präsenzunterricht gebe.
Kasamas wünscht sich von der Regierung zwei Dinge: Mehr Personal, dadurch kleinere Klassen, und bessere technische Ausstattung. Der Mangel an beidem mache sich aktuell verstärkt bemerkbar. Es gebe keine Reserven, um erkranktes Personal zu ersetzen. Außerdem warteten sie immer noch auf die mobilen Geräte für Lehrkräfte; derzeit arbeiteten sie alle mit ihren privaten Geräten. Trotz Stress und Schwierigkeiten sagt Kasamas: "Ich möchte nicht mit den Eltern tauschen."
*Namen der Mädchen von der Redaktion geändert.
Also wer den Stoff der ersten Klassen nicht weiss sollte selbst noch mal in die Schule gehen!
Präsensunterricht in anderem Landkreis, weil dort weiterführende Schule, dann schnell mal eben 60 km nach Hause fahren, weil Onlineunterricht.
In der Schule bleiben, geht nicht, weil dort die Internetkapazitäten nicht vorhanden sind.
Prima, bis die Jungen Leute zu Hause sind, ist der online Unterricht schon weit fort geschritten.
Und die Lehrer die sich wirklich bemühen haben durch Klassenteilungen und ausfallende Praktika auch jede Menge Stunden dazu bekommen.
Das ganze System ist nicht gut durchdacht und ich bezweifle, dass sich daran irgendwann etwas ändern wird.