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Marktheidenfeld
Endspurt vierte Klasse: Grundschüler unter Druck
Für alle Viertklässler geht es steil auf den Übertritt zu. Schüler, Eltern und Lehrer kostet diese Zeit oft viel Stress und Nerven. Was könnte besser laufen?
Der Übertritt als Belastungsprobe: Wie kann die Endspurt-Phase in der vierten Klasse möglichst entspannt vonstatten gehen? 
Foto: DPA/Patrick Pleul | Der Übertritt als Belastungsprobe: Wie kann die Endspurt-Phase in der vierten Klasse möglichst entspannt vonstatten gehen? 
Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:02 Uhr

Das "Grundschulabitur", so nennen Kritiker den  Übertritt nach der vierten Klasse in die weiterführende Schule . Angespielt wird dabei auf den Druck, der im letzten Grundschuljahr auf den Schülern lastet. Bis zu 22 Leistungsnachweise in Deutsch, Mathe sowie Heimat- und Sachunterricht gilt es zu erledigen. Hinzu kommen Proben in Englisch, Ethik, Religion, Musik oder Kunst. In den vergangenen Wochen haben auch Bayerns Viertklässler ihre Zwischenberichte bekommen: Eine Übersicht über ihre Leistungen in den verschiedenen Fächern. 

"Alle Klassenleitungen nehmen sich an diesem Tag zusätzlich Zeit für die individuelle Betreuung der Schüler", erläutert Andrea Dürr, Rektorin an der Friedrich-Fleischmann-Grundschule Marktheidenfeld. Damit soll eben dieser Druck genommen werden: "Es ist noch Zeit" und "Du bist auf einem gutem Weg", das sind die Botschaften, die den Kindern vermittelt werden sollen.

Seit 26 Jahren ist Dürr Grundschullehrerin. Wie hat sich seit dem in ihren Augen das Thema "Druck" verändert. Waren Schüler, Eltern und Lehrer früher entspannter? "Ich habe das Gefühl, das Empfinden von Stress ist heute anders als früher. Die Gesellschaft ist gestresster", beschreibt sie. Das wirkt sich auch auf die Kinder aus. Viertklässler, die bei der Note drei in einer Probe in Tränen ausbrechen? Keine Seltenheit. 

Was ist der beste Weg für mein Kind? Und nicht: Was ist die beste Schule.

Was tut man in Marktheidenfeld, um die Lage zu entstressen? Zunächst einmal: Transparenz schaffen. "Die Kinder werden genau informiert – über Anzahl und Zeitpunkt der Proben und deren Ablauf ", so Dürr. Ein Teil der 22 Leistungsnachweise könne auch in Form von Referaten, Lese- und Hörverstehen-Proben oder Referaten abgerufen werden. Auch das entlastet. Vor allem aber plädiert die Schulleiterin dafür, alle Beteiligten möglichst frühzeitig zu informieren und vor allem für Eltern den Blick zu schärfen: Was ist der beste Weg für mein Kind? Und nicht: Was ist die beste Schule. 

Noten sind nicht alles: Vor ein paar Wochen gab es für alle Viertklässler in Bayern Zwischenberichte mit ihrem derzeitigen Notenstand. 
Foto: DPA/Karl-Josef Hildenbrand | Noten sind nicht alles: Vor ein paar Wochen gab es für alle Viertklässler in Bayern Zwischenberichte mit ihrem derzeitigen Notenstand. 

Seit 2007 ist Wolfgang Schmitt an der Grundschule Lohr, seit 2014 ist er Rektor. Auch er sieht die Hauptaufgabe darin, Unwissenheit vorzubeugen, um Druck und Stress rund um den Übertritt zu vermeiden. Bereits ab der dritten Klasse gebe es Informationen für Eltern und Kinder. "Die Kinder setzen sich auch selbst unter Druck", erzählt er. Deshalb sei es wichtig, die Schüler mit  Selbstbewusstsein auszustatten.

Noch nichts entschieden fürs Leben

"Es geht nicht nur um Leistungen, die sich in Noten in HSU, Deutsch und Mathe ausdrücken; jedes Kind hat seine Qualitäten", erläutert Schmitt. "Nach der vierten Klasse ist noch nichts entschieden fürs Leben", sagt er. Das gelte es sich immer wieder bewusst zu machen.  

Isabel Diehm, Schulleiterin an der Grundschule Hafenlohr, findet, dass der Druck durch die frühe Informationen über die Durchlässigkeit des Schulsystems ab der 3. Klasse bereits wieder abgenommen habe.  Trotzdem hätten Eltern und Kinder ihre Vorstellungen und Wünsche, wo und wie es weitergehen soll. "Ich versuche den Kindern immer zu vermitteln: Ein Abschluss steigert den Wert einer Person nicht, sagt nichts aus darüber, ob man ein guter Freund sein kann oder nicht", so Diehm. Ihrer Meinung wird das Thema Noten und Zeugnis auch zu weit nach außen getragen. "Die Verwandtschaft fragt oft als erstes: Und, was hast du für ein Zeugnis? Anstatt zu fragen: Bist du ein netter Kerl?", beschreibt sie. 

Elternverband: Kinder mit neun, zehn Jahren noch nicht reif für den Übertritt

Dass die Kinder im Alter von neun, zehn Jahren noch nicht unbedingt reif für den Übertritt sind, davon geht der bayerische Elternverband aus. Seit längerer Zeit setzt er sich für eine längere gemeinsame Schulzeit ein. "Diese wird jedoch durch weite Teile der Politik und der Bevölkerung abgelehnt", erklärt Monika Roemer-Girbig, Elternverband-Regionalbeauftragte für Unterfranken.

Um den Leistungsdruck während der vierten Klasse mittelfristig zu reduzieren, schlägt der Elternverband  daher eine Freigabe des Elternwillens beim Übertritt vor. Das heißt, Eltern sollen entscheiden dürfen, auf welche Schule ihr Kind gehen soll. Dies ist bereits in Hessen und Baden-Württemberg möglich. Und die Übertrittsquoten hätten sich daraufhin nur um ein paar Prozentpunkte nach unten beziehungsweise oben verschoben, sagt Roemer-Girbig und ergänzt: "Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass Eltern ihre Kinder am besten kennen. Und die Gesellschaft sollte es honorieren, wenn Familien bereit sind, ihren Kindern eine lange Ausbildung zu ermöglichen."  

Erfolge und auch Misserfolge gemeinsam mit dem Kind tragen

Für Rektorin Andrea Dürr stellt sich auch nach sechs Jahren Grundschule die Frage, ob die Kinder reif für den Übertritt sind. Den Elternwillen sieht sie bereits gestärkt. "Jedes Kind kann am Probeunterricht teilnehmen. Und selbst bei zwei Vierern entscheidet noch der Elternwille", erläutert sie. Sie bedauert, dass das Thema Noten bisweilen so bestimmend in den Familien vorherrscht. Ein gutes Mittel, um Kinder und Eltern schon früh in die Leistungsentwicklung mit einzubeziehen, sind Lernentwicklungsgespräche, wie sie sowohl in Marktheidenfeld als auch in Lohr gemacht werden.  Sie stärken das Selbstbewusstsein und bringen schon viel zutage.  

Was sagt Schulamtsdirektorin Doris Grimm zu dem Thema?  "Übergänge erzeugen häufig Unsicherheiten und werfen Fragen auf", antwortet sie schriftlich.  Eine allgemeingültige Aussage zum Thema Druck kann sie nicht geben. Allerdings hat sie eine große Bitte an alle Eltern: "Nehmen Sie mit Ihrem Kind die Informations- und Beratungsmöglichkeiten an. Beobachten Sie Ihr Kind genau, auch in Stresssituationen. Hören Sie die Empfehlungen der Lehrkräfte in den Grundschulen. Stärken Sie Ihr Kind und halten Sie zu ihm, auch dann, wenn es nicht mit der besten Freundin, dem besten Freund die gleiche weiterführende Schule besuchen wird." 

Sie wünscht allen Eltern und Erziehungsberechtigten die nötige Stärke, auf die Bedürfnisse des eigenen Kindes zu schauen und sich nicht zu stark von den Übertrittsentscheidungen anderer unter Druck setzen zu lassen. Schließlich müssten Eltern sowohl Erfolge als auch Misserfolge gemeinsam mit dem Kind tragen. 

Übertritt an die weiterführenden Schulen
In Bayern endet die Grundschule mit der 4. Jahrgangsstufe. Danach wechseln die Kinder an eine weiterführende Schule. Das kann die Mittelschule, die Realschule oder das Gymnasium sein. Die Eignung für den Bildungsweg Gymnasium liegt vor, wenn die Gesamtdurchschnittsnote mindestens 2,33 beträgt. Die Eignung für den Bildungsweg der Realschule liegt vor, wenn die Gesamtdurchschnittsnote mindestens 2,66 beträgt.
Laut Schulamt Main-Spessart zeigen die Übertritts-Zeugnisse der vergangenen Jahre, dass hier rund 40 Prozent der Schüler eine Eignung für das Gymnasium, mehr als 20 Prozent für die Realschule und rund 30 Prozent für die Mittelschule erhalten. Tatsächlich angemeldet wurden dann an der Mittelschule knapp 30 Prozent, an der Realschule knapp 40 Prozent und am Gymnasium rund 35 Prozent.
 
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