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Main-Spessart
Ende der Eiszeit: Der Mensch jagte mit Pfeil und Bogen
Aus der Geschichte Main-Spessarts (5): Das Eis zog sich zurück. Mammut und Wollnashorn verschwanden, Reh und Hase kamen auf. Aus Steppe wurde Wald: die Mittelsteinzeit.
Mikrolithen, Pfeilspitzen aus der Mittelsteinzeit, ausgestellt im Museum für Franken in Würzburg.
Foto: Klaus Gimmler | Mikrolithen, Pfeilspitzen aus der Mittelsteinzeit, ausgestellt im Museum für Franken in Würzburg.
Klaus Gimmler
 |  aktualisiert: 27.04.2023 10:11 Uhr

Vor 12 000 Jahren ging die letzte Eiszeit zu Ende. Die Temperaturen erwärmten sich innerhalb kurzer Zeit um sechs Grad, der Frostboden taute auf. Der Neandertaler war schon lange ausgestorben oder er war aufgegangen im Homo Sapiens, der nach und nach die Region entdeckte. Der moderne Mensch streifte als Jäger und Sammler durch die Gegend, die sich sehr viel später einmal Landkreis Main-Spessart nennen sollte.

Aus der Steppe wurden im Laufe der Jahrhunderte dichte Wälder, in dem das Großwild der Eiszeit wie Mammut und Wollnashorn nicht mehr grasen konnte. Hirsch, Reh und Wildschwein kamen auf. Damit änderten sich auch die Jagdmethoden. Der Mensch erfand Pfeil und Bogen, wobei er die Pfeile mit sogenannten Mikrolithen bestückte. "Dies sind kleine scharfkantig zugearbeitete Steinspitzen, die als Pfeile verwendet werden", erklärt Benjamin Spies, der Archäologie studiert hat, im Museum für Franken in Würzburg arbeitet und seine Masterarbeit über das Mesolithikum (Mittelsteinzeit) im Landkreis Main-Spessart geschrieben hat.

Diese Mikrolithen sind das bestimmende Merkmal dieser Epoche. Die scharfkantigen Steinwerkzeuge sind in der Regel nicht größer als 2,5 Zentimeter. "Ihre Form und die Bearbeitung hat sich mit der Zeit verändert, wodurch sich die Mittelsteinzeit zeitlich gliedert", sagt Spies. Die Mikrolithen wurden in unserer Region aus den lokal vorkommenden Gesteinen Lydit (Kieselschiefer) oder Muschelkalkhornstein, bevorzugt aber aus Jurahornstein von der Fränkischen Alb hergestellt.

Zahlreiche Fundstellen im Landkreis Main-Spessart

Der Landkreis Main-Spessart weist zahlreiche Fundstellen auf. "Insgesamt gibt es 573 Mikrolithen, die hier gefunden wurden und die als mesolithisch eingestuft werden können", schreibt Spies in seiner Masterarbeit. Diese würden sich auf insgesamt 65 Fundstellen verteilen. Die meisten Fundstellen liegen entlang des Mains zwischen Gemünden und Zellingen, aber auch im Sinntal und Saaletal wurden viele Mikrolithen gefunden. 

Der Vergleich von Mikrolithen, kleinsten Steinwerkzeugen wie sie beispielsweise in Pfeilschäften eingesetzt wurden, war ein wesentlicher Bestandteil der Masterarbeit von Bejamin Spies aus Erlenbach über "Die Mittelsteinzeit im Landkreis Main-Spessart".
Foto: Joachim Spies | Der Vergleich von Mikrolithen, kleinsten Steinwerkzeugen wie sie beispielsweise in Pfeilschäften eingesetzt wurden, war ein wesentlicher Bestandteil der Masterarbeit von Bejamin Spies aus Erlenbach über "Die ...

Dabei gilt für Spies: Es wurde nur dort etwas gefunden, wo auch gesucht wurde. Zufällige Funde durch Landwirte oder Spaziergänger seien so gut wie ausgeschlossen, sagt er, denn es bedarf den Blick des fachkundigen Sammlers, der erkennt, dass es sich bei einem kleinen Steinchen um einen Mikrolithen handeln könnte. Dies ist für Spies dann auch das Dilemma bei der wissenschaftlichen Betrachtung. Denn die entdeckten Fundstellen hängen stark mit dem Wohnort der Sammler zusammen.

Sehr aktiv waren im Landkreis Main-Spessart die Mitglieder des Archäologischen Arbeitskreises, der zum Historischen Verein Karlstadt gehört. Fachkundige Sammler gibt es unter anderem auch in Gambach und Burgsinn. Aber auch Rainer Mende aus Gelnhausen ist jemand, der im hessischen Main-Kinzig-Kreis und im Landkreis Main-Spessart viel gesammelt hat. Er hat diese Leidenschaft von seinem Vater geerbt, der Kreisheimatpfleger war.

Mende kennt im Gelände die Plätze, die in der Steinzeit bevorzugt aufgesucht worden sind. „Ein idealer Standort war der Mündungsbereich zweier oder mehrerer Täler“, sagt er. Dort seien mit hoher Wahrscheinlichkeit steinzeitliche Funde zu erwarten. Aber auch Terrassen an den Talflanken waren bevorzugte Rast- und Siedlungsplätze.

Acker muss frei gewaschen sein

Die Voraussetzung für eine erfolgversprechende Suche nach steinzeitlichen Funden ist der Ackerbau, denn Wald- und Wiesenflächen entziehen sich der Bodenbeobachtung. „Aber auf einem frisch gepflügten Acker sehen und finden sie erst mal nichts“, sagt Mende. Es müsse schon mehrmals und ordentlich geregnet haben, damit die Ackerfläche „frei gewaschen“ wird und so beispielsweise die winzigen mittelsteinzeitlichen Mikrolithen zu sehen sind. Gemeinsam mit seinem Vater hat Mende den größten mittelsteinzeitlichen Fundplatz im heutigen Landkreis Main-Spessart südlich von Burgsinn entdeckt, der dann beim Bau der ICE-Trasse völlig zerstört wurde. Von ihm stammen zirka 3000 Fundstücke, darunter 180 Mikrolithen.

Altpaläolithische Artefakte: Quarzit-Chopping-Tool, gefunden in Burgsinn.
Foto: Rainer Mende | Altpaläolithische Artefakte: Quarzit-Chopping-Tool, gefunden in Burgsinn.

Auf einem weiteren Fundplatz bei Burgsinn hat Mende einen ganz besonderen Einzelfund gemacht, der dort zusammen mit mittelsteinzeitlichen Geräten lag. Es handelt sich um ein altsteinzeitliches „Hackgerät“, das aus einer Quarzitknolle geschlagen wurde und als „Chopping-Tool“ bezeichnet wird. Er schätzt das Alter auf mindestens 300 000 Jahre und es sei damit das bisher älteste Steinzeit-Gerät im gesamten Sandstein-Spessart.

Auch bei Rieneck, so Mende, gebe es einen größeren mittelsteinzeitlichen Fundplatz. Und bei Gräfendorf im Mündungsbereich der Schondra in die Fränkische Saale liegt ein Großfundplatz mit dem vielfältigsten Fundespektrum. Eiszeitliche Neandertaler und späteiszeitliche Jäger hatten hier ihre Rast- und Jagdlager. Um 8500 v. Chr. war die Terrasse dann Wohnplatz von mittelsteinzeitlichen Jägern und Fischern und ca. 2400 v. Chr. wurde die Fläche von jungsteinzeitlichen Viehzüchtern bewohnt.

Für Mende sind alle Funde ein Beleg dafür, dass der früher als unbesiedelt geltende Spessart doch eine vielfältige steinzeitliche Fundlandschaft ist. Es gäbe sicher viele weitere Relikte aus dieser Zeit, aber diese bleiben versteckt unter den Wurzeln der Bäume, denn die Hälfte des Landkreises ist mit Wäldern bedeckt.

Der Mensch suchte warme und trockene Standorte

Für Spies reichen aber die bisher registrierten Fundstellen aus, um sagen zu können, wo sich die Mesolithiker gerne niedergelassen haben. Es sind vor allem warme und trockene Standorte, wettergeschützte Lagen oder Plätze mit guter Aussicht, schreibt er in seiner Masterarbeit. Lagerplätze wurden dort angelegt, wo Jagdwild, Pflanzen und Trinkwasser in ausreichendem Maße vorhanden waren. Die Nähe zu Flüssen und Bächen war sicherlich auch aus Gründen der Mobilität günstig.

Auch Archäologe Spies kommt zu dem Ergebnis, dass die Schwerpunkte bei den Fundstellen in den Flusstälern Sinn und Saale liegen. "Wobei in Burgsinn die meisten Mikrolithen und Kerbreste gefunden wurden", so Spies. Aus der Verteilung der Fundstellen und vor allem aufgrund der verwendeten Gesteinsmaterialien für die Werkzeugherstellung schließt Spies, dass es in der Mittelsteinzeit wohl einen „Stamm“ oder „Clan“ bestehend aus mehreren Gruppen gab (vergleichbar nordamerikanischer Indianerstämme), der über Jahrtausende hinweg ein Gebiet durchstreifte, das von Mainfranken bis in das Einzugsgebiet von Regnitz und Rednitz also bis in die Fränkische Alb reichte.

Dabei suchten laut Spies die Mesolithiker immer zu bestimmten Anlässen im Jahr einzelne Orte in diesem Gebiet auf, entweder weil sich dort besondere Ressourcen boten oder weil sich einzelne Teilgruppen dieses „Stamms“ treffen wollten. Dafür spricht, dass es einzelne sehr große Fundstellen in Mainfranken gibt, die über Jahrtausende hinweg immer wieder aufgesucht wurden und dort überall vor allem der Jurahornstein der Fränkischen Alb zu finden ist.

Im Sinntal bei Burgsinn im Frühjahr Fische gejagt?

In das Sinntal bei Burgsinn kamen die Mesolithiker in jedem Frühjahr für ein paar Tage, um Fische zu jagen, vermutet Spies. Die anderen, kleineren Fundstellen entlang des Mains interpretiert er als kurzfristige „Zwischenstationen“ auf dem Weg zwischen den eigentlichen „Zielorten“. Und von diesen Zwischenstationen hat man dann vermutlich sporadisch kleine Jagdzüge auf der Marktheidenfelder Platte unternommen, um dort Schwarz- und Rotwild zu jagen.

Das Stammesgebiet dieser „fränkischen“ Gruppe ist laut Spies sehr klar nach Norden und Westen hin abgegrenzt und zwar entlang der Wasserscheiden. Bei allen Fundstellen an Bächen, die in das mittlere Mainbecken entwässern, wurden die Steinwerkzeuge ganz bevorzugt aus Jurahornstein hergestellt. Jenseits der Wasserscheide, also im Kinzigtal, in der hessischen Rhön oder nördlich des Thüringer Waldes hingegen gibt es diesen Jurahornstein fast nicht mehr.

Für Spies gehört allerdings der heutige Landkreis Main-Spessart in Unterfranken eher zur Periphere der Menschen im Mesolithikum. Einer der zentralen Räume in ganz Mitteleuropa dürften hingegen das „Hesselbacher Waldland“ (Kreis Schweinfurt) gewesen sein. Dies würde die enorme Vielfalt der dort gemachten Funde zeigen.

Mesolithikum oder Mittelsteinzeit

Durch die Wiederbewaldung Mitteleuropas zu Beginn des Holozän etwa 9600 vor Christi gab es neue Lebensbedingungen. Die Gletscher hatten sich zurückgezogen, es wurde deutlich wärmer. Die Menschen mussten lernen, anstelle des verschwindenden Großwildes der Kältesteppen nun in den Wäldern Standwild zu jagen und die Fischerei zu verstärken. Auch pflanzliche Nahrung, etwa in Form der Haselnuss, spielte nun eine größere Rolle. Dies ist der Beginn der Mittelsteinzeit.
Die Mittelsteinzeit endet in Mitteleuropa um 5500 vor Christi. Der Mensch wurde sesshaft und betrieb Ackerbau und Tierzucht. Die Jungsteinzeit (Neolithikum) begann.
Wikipedia

Literatur: B. Spies: Das Mesolithikum im Landkreis Main-Spessart, Masterarbeit im Studiengang Prähistorische und Historische Archäologie.

B. Spies, St. Fach, Die „Tiefenthaler Höhe“ und das Mesolithikum in Unterfranken. In: Beiträge zur Archäologie in Ober- und Unterfranken 10/2017, 17-136.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.

 
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