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GEMÜNDEN
Emotionsgeladener Prozessauftakt um Gefangenenbefreiung in der Lohrer Forensik
Von unserem Redaktionsmitglied Johannes Ungemach
 |  aktualisiert: 11.12.2019 20:11 Uhr

Mit einem heftigen juristischen Ringen und emotionalen Momenten begann am Dienstag die erste Verhandlung am Amtsgericht Gemünden um Unregelmäßigkeiten in der Lohrer Klinik für forensische Psychiatrie. Insgesamt sehen sich sieben Pflegekräfte der Einrichtung, in der psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter therapiert werden, Vorwürfen gegenüber.

Im nun als Auftakt verhandelten Fall einer 53-jährigen Krankenpflegerin und ihres 51-jährigen Arbeitskollegen steht „Gefangenenbefreiung“ im Raum. Den beiden wird vorgeworfen, 2008 zwei in der Klinik untergebrachte Straftäter entgegen der Lockerungsstufe für rund 30 Minuten aus dem Klinikgebäude gelassen zu haben.

Richter Dr. Alexander Milkau sprach zu Beginn der Sitzung davon, dass es sich beim Thema Forensik angesichts der Vielzahl der „umherwabernden Vorwürfe“ um ein „schwieriges und schwer zu handhabendes Verfahren“ handle. Dass es so schwierig werden würde, hatte er aber womöglich selbst nicht erwartet. Jedenfalls kam die Erhellung der damals in der Klinik herrschenden Zustände vor Gericht kaum voran.

Gleich zu Beginn kochten die Emotionen hoch, als der Staatsanwalt versehentlich eine falsche Anklageschrift verlas. Nachdem er sein Missgeschick durch das Verlesen des korrekten Schriftstücks korrigiert hatte, stellte die Verteidigerin der 53-jährigen Krankenpflegerin die Anklageschrift generell infrage.

Sie kritisierte, dass die Staatsanwaltschaft nicht konkret benennen könne, wann die Gefangenenbefreiung geschehen sein soll. Stattdessen werde nur ein Zeitraum zwischen September und November 2008 genannt. Eine solch vage Anklage mache eine Verteidigung unmöglich.

Als eine „unzulässige Einschränkung der Verteidigung“ bezeichnete sie die Tatsache, dass mit dem damaligen Leiter der Forensik einer Schlüsselfigur der Auftritt im Zeugenstand erspart bleiben solle und die Befragung des mittlerweile vom Dienst beurlaubten Mannes unter Ausschluss der Anwälte der Beschuldigten stattgefunden habe. Gegenüber der Presse begründete der Richter die Abwesenheit des Ex-Klinikleiters damit, dass dieser durch ein ärztliches Attest seine Verhandlungsunfähigkeit nachgewiesen habe.

Die beschuldigte Krankenpflegerin indes war vor Gericht erschienen, obwohl auch ihr ein Attest Verhandlungsunfähigkeit bescheinigte. Dieses legte die Anwältin verbunden mit dem Antrag auf vorläufige Aussetzung des Verfahrens jedoch erst vor, nachdem schon zweieinhalb Stunden lang verhandelt worden war.

„Koch und Kellner“

Auch dieser Vorgang dürfte dazu beigetragen haben, dass es zwischen Richter und Verteidigerin große Spannungen gab. Als der Richter die ihm zugewiesene Autorität gegenüber der Anwältin mit dem Ausspruch zu untermauern versuchte, dass es im Gerichtssaal nun mal „Koch und Kellner“ gebe, war die Suppe endgültig versalzen. Den von der Anwältin danach gestellten Befangenheitsantrag gegen den Richter wies Amtsgerichtsdirektor Reiner Lenz jedoch nach einstündiger Verhandlungsunterbrechung ab.

Dass die Verhandlung auf Donnerstag vertagt wurde, hatte einen anderen Grund: Bis dahin soll der Amtsarzt klären, ob die beschuldigte Krankenpflegerin, die im Gerichtssaal mehrfach in Tränen ausbrach, trotz ihres angegriffenen Nervenkostüms verhandlungsfähig ist.

Fast in den Hintergrund gerieten dabei die Aussagen, die der beschuldigte Krankenpfleger zu der Sache machte. Er wies alle Vorwürfe von sich, bestritt jedoch nicht, dass zum fraglichen Zeitpunkt im Herbst 2008 „mysteriöse“ Zustände in der Forensik herrschten.

Statt die klaren Regelverstöße eines damaligen Patienten zu ahnden, habe der Chefarzt dem Mann, der nun einer der Hauptbelastungszeugen ist, unübliche Privilegien bis hin zum Urlaub gewährt. „Das war Gefangenenbefreiung“, urteilte der Pfleger dazu. Das Pflegepersonal habe hingegen gar keine Möglichkeit gehabt, Patienten eigenmächtig aus der Klinik zu entlassen.

Am Donnerstag soll die Verhandlung um neun Uhr fortgesetzt werden. Dann sollen neben weiteren Klinikmitarbeitern auch die beiden Patienten zu Wort kommen, die zu unrecht aus der Klinik herausgelassen worden sein sollen.

 
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