Bis Mitte des 19. Jahrhunderts sei Gemünden ein "verschlafenes Dörfchen" gewesen, sagte Weber seinen acht Gästen. Um 1830 herum sei Gemünden ein reiner Handwerkerort mit 256 Häusern und 1400 Einwohnern gewesen. Als Grenzstädtchen zwischen den Herrschaftsbereichen der Würzburger und Mainzer sei die Stadt damals bitterarm gewesen. Doch dann seien mit dem Eisenbahnbau ganz neue Arbeiten und dadurch bedingt auch "ein bisschen Geld" nach Gemünden gekommen. In der Folge habe sich die Zahl der Einwohner mehr als verdoppelt. Gemünden sei durch die Eisenbahn aus seinem "Dornröschenschlaf" erweckt worden.
Laut Weber musste für die Bahnstrecke ein rund fünf Kilometer langer Damm zwischen Wernfeld und Langenprozelten aufgeschüttet werden, rund 60 Zentimeter höher als die damals geltende Jahrhunderthochwasser-Marke. Zudem habe über die Saale eine Brücke errichtet werden müssen. Der Dammbau war Weber zufolge anstrengende Handarbeit, denn es habe damals weder Bagger noch Lastkraftwagen gegeben – lediglich Ochsenkarren.
In Betrieb genommen wurde die Bahnstrecke vor 170 Jahren, im Oktober 1854. "Hier war Tag und Nacht Betrieb", sagte Weber; der Lärm der Dampfeisenbahnen sei deutlich größer gewesen als der heutiger Züge. Allerdings verkehrten damals mit Sicherheit weniger Züge als heute. Laut Weber fuhren im August dieses Jahres 7067 Züge durch Gemünden, etwas mehr als die Hälfte davon seien Güterzüge gewesen.
Beliebter Standpunkt für Zugfotografen
Die Eisenbahn habe viel Ordnung ins Leben der Menschen gebracht, sagte Weber; viele Dinge, die heute normal seien, hätten ihren Ursprung in der Bahn. Als Beispiele nannte er den Dampfkesselüberwachungsverein als Ursprung des heutigen TÜV sowie die für Lokomotiven, Waggons und Bahninfrastruktur benötigten jeweils gleichen Ersatzteile, aus denen die heutigen DIN-Normen entstanden seien.
Beim Blick von der Mainbrücke auf die Eisenbahngleise und die Gemündener Altstadt – einem beliebten Standpunkt von Zugfotografen, sogenannten Train-Spottern -, sagte Weber zu seinen Gästen: "Genießt den Blick." Denn entlang der Gleise hin zur Stadt sei eine Lärmschutzwand geplant; er hoffe, dass diese wenigstens durchsichtig sein werde.
Dass sich Gemünden im Lauf der Jahre zu einem Eisenbahnknotenpunkt entwickelte, an dem mehrere wichtige Strecken zusammenkamen, hatte laut Weber mit dem Gemündener Wasser zu tun, welches das weichste, sprich: kalkärmste, weit und breit gewesen sei. Tankten die Dampflokomotiven kalkhaltigeres Wasser, mussten sie Weber zufolge öfters zur Kesselreinigung.
Zwei Bahnhöfe mit eigenen Zeitzonen
Heute undenkbar, aber im 19. Jahrhundert war es tatsächlich so: Gemünden hatte früher zwei Bahnhöfe, einen bayerischen und einen preußischen, die nur rund 200 Meter auseinanderlagen. Und damit es noch ein bisschen komplizierter wird: Dort galten verschiedene Uhrzeiten. Am bayerischen Bahnhof war laut Weber die Münchner Zeit maßgebend, am preußischen die Berliner Zeit. Der Unterschied habe sieben Minuten betragen. Bis 1892 gab es Weber zufolge zehn Zeitzonen in Deutschland, eine zentrale Zeit sei erst 1893 eingeführt worden.
Während des Zweiten Weltkriegs war die Bahnlinie in Gemünden zwar ein Angriffsziel der Alliierten, allerdings blieb sie weitgehend unbeschadet. Anders sah es laut Weber in der Gemündener Altstadt aus, wo zahlreiche Gebäude, unter anderem auch das damalige Rathaus auf dem Marktplatz, zerstört wurden.
Wie die Gemündener Altstadt im Jahr 1930, also vor ihrer Zerstörung, aussah, zeigte Weber seinen Gästen an der Modelleisenbahnanlage im Huttenschloss. Dort ließ er auch einen Zug fahren, vor allem für die kleine Ida, die unter seinen Gästen war.