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PARTENSTEIN
Eintauchen in die vergangene Ära der Schuhfabrik Schantz
Reinhold Scherg öffnet die Türe zur Ausstellung über die ehemalige Schuhfabrik Schantz im Jugendheim in Partenstein. Foto: Björn Kohlhepp
Foto: Björn Kohlhepp | Reinhold Scherg öffnet die Türe zur Ausstellung über die ehemalige Schuhfabrik Schantz im Jugendheim in Partenstein. Foto: Björn Kohlhepp
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:39 Uhr

Der Besucher der umfangreichen Ausstellung über die ehemalige Schuhfabrik Otto Schantz von Donnerstag bis Sonntag im Partensteiner Jugendheim tritt gewissermaßen direkt in eine Produktionshalle. Ausstellungsorganisator Reinhold Scherg hat die gesamte Doppeltür zum Saal von seinem Sohn mit einer Fotofolie bekleben lassen, die Arbeiterinnen in mehreren Reihen bei der Arbeit zeigt.

Am Montagnachmittag herrschte rege Geschäftigkeit im Jugendheim. 1300 Bilder im Din-A4-Format klebte Scherg mit Helfern auf Stellwände und Tische. Die Fotos aus dem Archiv der Familie Schantz und dem eigenen Archiv der Filmwerkstatt Schergs zeigen die gesamte Ära der Schuhfabrik von 1939 bis zur Schließung 1989, sowohl Privatbilder der Familie als auch Bilder von Betriebsausflügen, Feiern und teilweise auch aus der Produktion. „Im Prinzip“, so Scherg, „alles von null bis heute.“

3500 Fotos im Archiv Schantz

Das Schantz-Archiv zählt insgesamt 3500 Fotos, die als Negative eingescannt und dann für die Ausstellung ausgewählt wurden. Die ausgestellten Bilder zeigen „viele Leute, viele Gesichter“, so dass viele sich darauf wiedererkennen werden, hofft der „Museumsmensch“ Scherg, wie er sich selbst bezeichnet.

Neben den Fotos gibt es zahlreiche Exponate aus der ehemaligen Schuhfabrik zu sehen, die er einst gerettet hat, etwa einen Vertreterkoffer mit verschiedenen Schuhen, verschiedene Werkzeuge, Prospekte und eine ganze Kiste Stempel. „Das wäre alles weggeschmissen worden“, ist sich Scherg sicher. Seit 10, 15 Jahren hatte er die ganzen Dinge in seinem Gartenhäuschen verwahrt.

Partenstein hat Schuhfabrik viel zu verdanken

Zur Ausstellung sagt er: „Das wollte ich schon immer mal machen.“ Die schon investierten 150 Arbeitsstunden findet er gut angelegt, weil es für die Partensteiner um ein wichtiges Stück ihrer Geschichte geht, Partenstein hat der Schuhfabrik viel zu verdanken. Sie war schließlich einst größter Arbeitgeber am Ort mit in der Spitze bis zu 250 Angestellten. Ganze Familien arbeiteten dort.

Auch ausgestellt sind im Jugendheim alte Zeitungsartikel. Dort ist die Geschichte der Fabrik noch einmal nachzulesen. Ein alter Main-Post-Artikel vom August 1958 ist überschrieben mit „Vom Kurhaus zur modernen Schuhfabrik“. Als „Stammhaus des Betriebes“ wird darin das in den 20er Jahren erbaute Kurhaus Ritz eines jüdischen Frankfurters genannt, das 1934 in ein Müttererholungsheim der NS-Volkswohlfahrt umgewandelt wurde.

„Keiler“ war einst kein Bier, sondern eine Schuhmarke

Lange bevor es das „Keiler“-Bier gab, vermarktete das Unternehmen Schantz, das eine weitere Schuhfabrik in Lohrhaupten betrieb, ihre Schuhe unter der Marke „Keiler“. Schuhfabrikant Otto Schantz senior, der mit seiner Familie aus der kriegsbedingt geräumten Westpfalz von Hilst bei Pirmasens nach Partenstein umgesiedelt war, hatte das Anwesen 1939 gekauft und 1948/49 einen Neubau angebaut. 1950 folgte ein kleinerer Anbau, 1952/53 ein durch die Straße getrennter weiterer Neubau.

1958 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Steinbruchs ein weiterer viergeschossiger Neubau errichtet, in den im Juli 1958 die Fabrikations- und Lagerräume verlegt wurden. Im Main-Post-Artikel von 1958 heißt es, dass durch die Fabrik jährlich über eine halbe Million Mark Lohn am Ort bleibe. Damals lag die Tagesproduktion bei 900 Paar.

Unglück eines griechischen Jungen

Ein weiterer Artikel, aus der Bild-Zeitung vom 19. Oktober 1958, erzählt vom traurigen Schicksal des griechischen Jungen Alexander Stefopoulous, der in Liverpool wohnte und mit seiner Mutter den Vater in Athen besucht hatte. Auf der Rückfahrt im Orient-Express hatte er schlaftrunken eine falsche Tür geöffnet und kam zwischen Nantenbach und Lohr bei einem Sturz aus dem Zug ums Leben. An der Blockstelle vor Partenstein hatte die Mutter die Notbremse gezogen.

Schuhfabrikant Schantz nahm die schockierte Mutter bei sich auf. Weil die Überführung des Leichnams nicht möglich war, wurde dem verunglückten Jungen die bis dahin größte Beerdigung zuteil, die Partenstein je erlebt hat, steht in mehreren Zeitungsberichten.

1989 Konkurs der Schuhfabrik

An Aschermittwoch 1989 meldete die Schuhfabrik Otto Schantz GmbH mit damals noch 12 Angestellten und 73 Arbeiterinnen und Arbeitern Konkurs an. Die Billigkonkurrenz aus dem Ausland hatte dem Unternehmen zunehmend zu schaffen gemacht. Nach rund 15 Jahren Leerstand und Verfall bezog vor 13 Jahren der Lohrhauptener Trödler Günter „Rambo“ Rambotzki mit seinen Flohmarktartikeln die Produktionsräume.

Reinhold Scherg hat aus Archivaufnahmen von Betriebsausflügen, Feiern und aus der Produktion auch einen eineinhalbstündigen Film „Die Ära Schantz“ zusammengestellt, der am Samstag um 18 Uhr gezeigt wird. Am Sonntag um 18 Uhr wird die von Schergs Tochter Nicole, von Beruf Regisseurin, gedrehte Kinodokumentation „Das Leben ist keine Generalprobe“ über eine heute noch existierende Schuhfabrik im österreichischen Waldviertel erzählt.

Öffnungszeiten: Do., 26. Oktober, 9 bis 12 und 16 bis 19 Uhr; Fr., 27. Oktober, 9 bis 12 und 14 bis 17 Uhr; Sa., 28. Oktober, 9 bis 12 und 14 bis 18 Uhr; So., 29. Oktober, 11 bis 18 Uhr.

„Im Prinzip alles von null bis heute.“
Reinhold Scherg über das, was ausgestellt ist
Ein Vertreterkoffer der Firma Schantz mit Schuhen aus der Sammlung Schergs.
Foto: Björn Kohlhepp | Ein Vertreterkoffer der Firma Schantz mit Schuhen aus der Sammlung Schergs.
Archivaufnahme aus der Fabrik Schantz mit Arbeiterinnen und Schuhen.
Foto: Sammlung Otto Schantz | Archivaufnahme aus der Fabrik Schantz mit Arbeiterinnen und Schuhen.
In der ehemaligen Schuhfabrik Schantz in Partenstein verkauft heute ein Trödler seine Waren.
Foto: Björn Kohlhepp | In der ehemaligen Schuhfabrik Schantz in Partenstein verkauft heute ein Trödler seine Waren.
 
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