
Am 4. Januar 1943, vor 80 Jahren, hat Joseph Schloßmann für immer die Augen geschlossen. Geschwächt durch die Strapazen und entwürdigenden Lebensbedingungen in einem hoffnungslos überfüllten "Altersghetto" in Theresienstadt. Er war ein Ehrenbürger der Stadt Lohr seit 1930, ein Wohltäter der Stadt über viele Jahre hinweg. Bis sich der menschenverachtende Judenhass der Nazis in Lohr zuallererst an Joseph Schloßmann entlud und ihn diffamierte und verhöhnte, allein weil er Jude war.
Schon lange erinnerte 1943 in Lohr nichts mehr an ihn. Die von ihm 1930 dem Verschönerungsverein geschenkte Hütte auf dem Buchenberg, die seinen Namen trug "Schloßmannhütte" - war schon nicht mehr. Es war ein Geschenk zur Ehrenbürgerverleihung gewesen. Alles war in Lohr getilgt, was mit seinem Namen zusammenhing, nicht nur die Hütte.
Nach den Büchern der Stadt war an seiner statt 1934 Gauleiter Otto Hellmuth zum Ehrenbürger ernannt worden. Das Kriegerdenkmal für die Gefallenen und Vermissten des Ersten Weltkrieges am Krankenhaus, das von Schloßmann mit 5000 Reichsmark mitfinanziert werden sollte, war umgestaltet worden. Das große Mittelstück, der "Jude Christus", sollte dem "Juden Schloßmann" zurückgegeben werden, was dem Wert seiner 5000-Reichsmark-Spende entspreche, hieß es 1935 zynisch vonseiten der Gauleitung. Ein germanischer Bannerträger trat an die Stelle von Christus -dieser wurde erst 1945 wieder eingesetzt.
Aus Schloßmanns Familie in Lohr war niemand mehr in der Stadt. Die vom 15-jährigen Schloßmann 1875 begründete "Lohrer Turngemeinde 1875", in den Augen der Nazis ein "Judenverein", war 1937 mit dem "Turnverein 1846" zum TSV zusammengeschlossen worden.
Auf den Listen der Gestapo
Der in Berlin zu Wohlstand gekommene Joseph Schloßmann war auch dort, wo er bis 1942 in einer repräsentativen Wohnung in Berlin-Charlottenburg wohnte, auf den Listen der Gestapo. Längst waren seit 1941 mit dem Auswanderungsverbot für Juden auch die Deportationen in den Osten im Gange. Joseph Schloßmann vermochte noch, allen Kindern zur Flucht ins Ausland zu verhelfen.
Seine Schwester Fanny Rothschild (geb. Schloßmann) war zu ihm gezogen, nachdem ihr Sohn Ludwig Rothschild mit Familie 1938 Berlin den Rücken gekehrt und in die USA ausgewandert war. Beide, Joseph wie Fanny, mussten schließlich 1942 in ein sogenanntes "Judenhaus" in der Bamberger Straße ziehen. Fanny starb vor der sich abzeichnenden Deportation an einem Krebsleiden. Joseph Schloßmann wurde im August 1942 nach Theresienstadt deportiert. 138 Tage lang dauerte dort sein Martyrium, ehe er wegen einer angeblichen Lungenentzündung die Augen für immer schloss.
Am 20. September 2022 hat Bürgermeister Mario Paul seiner in einer eigenen Veranstaltung gedacht: In Anwesenheit von Nachfahren von Joseph Schloßmann aus Schweden übergab er der Öffentlichkeit den "Schloßmannblick" auf halber Höhe des Buchenbergs, mit einem Postkartenblick auf Lohr, das Joseph Schloßmann zeit seines Lebens so am Herzen lag.
Damit knüpfte das heutige Stadtoberhaupt an die Erinnerung an, die bis heute bei vielen älteren Lohrern noch mit der oben erwähnten "Schloßmannhütte" auf der Spitze des Buchenbergs verbunden ist. Von ihr sind nur noch die Grundsteine und die Eingangsstiegen zu sehen. Sie sind ein Denkmal, das in dieser Form nicht angetastet werden soll. Ein Wanderweg dorthin soll noch ausgezeichnet werden. Der neue "Schloßmannblick" soll ein "Blick wider das Vergessen" sein.
Urenkelin nimmt Namen an
Die Aberkennung des Ehrenbürgerrechts war, wie die Stadt Lohr schon 1985 klarstellte, 1934 nie rechtswirksam ausgesprochen worden. Sie sei in ihrer antisemitischen Grundeinstellung, in ihrem Judenhass, von Anfang an null und nichtig, wie die Stadt 1985 entschied. Wenigstens die Aberkennung des Ehrenbürgerrechts konnte so ungeschehen gemacht werden.
Urenkelin Maude Björklund, die schon im November 2019 an der städtischen Gedenkfeier für die ehemalige jüdische Gemeinde in Lohr teilnahm, hat zu Ehren ihres Urgroßvaters sogar den Namen Schloßmann wieder angenommen. "Denn ein Mensch, der von uns gegangen ist, ist erst dann vergessen, wenn der Name vergessen ist", heißt es im babylonischen Talmud.
Die Tafel mit den 17 Namen der jüdischen Töchter und Söhne der Stadt an der alten Stadtmauer, die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft geworden sind, soll dazu beitragen, dass ihre Namen nie vergessen werden.