Die Gebietsreform war angelaufen. Die Zahl der Landkreise in Bayern sollte von 143 auf 71 praktisch halbiert werden. Das rief Unmut hervor. 1972 schlossen sich einige "konservativ gesonnene" Marktheidenfelder zusammen zur "Aktion Freie Bürger". "Sie wollten halt nicht, dass die CSU ungeschoren davon kommt", erläutert Armin Grein. "Auch ich bin auf dieser Welle geschwommen." Der damals 32-jährige Lehrer entschied sich, bei der Kommunalwahl anzutreten, gestand es seiner Frau, die in Hamburg weilte, am Telefon. "Sie ist erschrocken", schmunzelt Grein heute " – aber sie ist wiedergekommen."
Martha Grein saß an seiner Seite, als ihr Gatte bei der 50-Jahr-Feier der Freien Wähler Marktheidenfeld am Freitagabend auf die Geburtsstunde der damals neuen politischen Kraft zurückblickte. Wie es weiterging, ist bekannt: 1972 wurde Grein Bürgermeister von Marktheidenfeld, dann Landrat in Main-Spessart. Er wurde Vorsitzender des Landes- und des Bundesverbands, weshalb er auch zurecht im Mittelpunkt der (wegen Corona um ein Jahr verschobenen) Feier im schmucken Hinterhof des Franck-Hauses stand.
Drei Dutzend Weggefährten feierten mit
Knapp drei Dutzend Weggefährten waren dabei, als Holger Seidel, Vorsitzender des Ortsverbands Marktheidenfeld, die fünf Jahrzehnte Revue passieren ließ. Er ließ Ernst Weißenberger, einem weiteren Mann der ersten Stunde, plaudern: Dieser erinnerte an die Sitzungen in der Baumhoftenne, dem "Mutterhaus" der Marktheidenfelder Freien Wähler, den politischen Erfolgen der anfänglich fünf Stadträte (plus Grein als Bürgermeister), und von damals 15 Mark Sitzungsgeld für Stadträte.
Als Auswärtige begrüßte Seidel lediglich den Kreisvorsitzenden Peter Utsch sowie Thomas Schiebel, der Grein als Landrat beerbt hatte und sich die Nebenbemerkung erlaubte, dass der Gemündener Ortsverband "noch ein bisschen älter" sei als der Marktheidenfelder. Einzige Nicht-Freie-Wähler an diesem Abend waren Thomas Zenglein, der die Pausen musikalisch überbrückte, und der parteilose Bürgermeister Thomas Stamm, der respektvoll von einer "Erfolgsgeschichte" der Freien Wähler sprach und generell zum politischen Engagement aufrief: "Wir brauchen Nachwuchs – egal in welcher Partei."
Fünf Mandatsträger aktuell im Stadtrat
In Zehn-Jahres-Abschnitten blickte Seidel zurück auf die Entwicklung des Ortsverbands, unterstützt vom langjährigen Stadtrat Michael Müller, dem zeitweiligen Ortsvorsitzenden Reinhold Braun und Ex-Stadträtin Andrea Hamberger sowie Joachim Hörnig. Letzterer ist einer von aktuell wieder nur fünf Mandatsträgern.
Die Krankenhausdiskussion und weitere emotional diskutierte Themen hätten den Freien Wählern fünf weitere Mandate gekostet, beklagte Hörnig, und dass einige Führungskräfte in Doppelfunktionen extrem gefordert seien. "Das ist keine gute Entwicklung", sagte er und wünschte der Partei nichts mehr als "junges Blut". Letzteres war in der kleinen Runde so gut wie nicht auszumachen. Helga Schmidt-Neder, die 2002 den Vorsitz des Ortsverbands übernommen hatte und von 2008 bis 2020 Bürgermeisterin war, fehlte bei der Feier entschuldigt.
Staatssekretärin Anna Stolz hatte den Kiliani-Bieranstich in Würzburg deutlich früher verlassen als Festredner Hubert Aiwanger. Sie stärkte den Marktheidenfeldern den Rücken, gratulierte ihnen und Grein. Den inzwischen 84-Jährigen zu ehren, ist schwierig geworden, hat er doch Auszeichnungen und Ehrentitel zuhauf.
So überreichten Stolz und Seidel dem "Urvater der Freien Wähler" eine kleine Stele. Mit Stelen hätten die Griechen einst Sieger bei olympischen Spielen geehrt, die Maya in Mexiko Herrscherpersönlichkeiten, erläuterte Seidel. Das Attribut "Sportler" haben sich Grein als Initiator der Landra(d)tsouren verdient, würdigte er. Dass er auch eine Herrscherpersönlichkeit gewesen sei, belegte der Ortsvorsitzende mit einem Zitat aus dessen jüngst veröffentlichten Buch: "Der Politiker sollte stets nur demütiger Diener des Gesamten sein. Er ist kein König und er muss auch kein Philosoph sein."
Alt-Bürgermeisterin Helga Schmidt-Neder sei nicht anwesend und erwähnt worden, hieß es in einer früheren Version dieses Textes. Jedoch hatte sie der Vorsitzende Holger Seidel bei seiner Rede erwähnt. Schmidt-Neder habe sich zudem vorab entschuldigt, nicht an der Feier teilzunehmen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.