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Frammersbach
Eine "Oase" im Spessartwald
Rund 45 Teilnehmer unternahmen anlässlich der Preisverleihung eine Exkursion durch Raues Revier, nicht zuletzt, um die dort auch ohne Zaunschutz üppig wachsende Tannenverjüngung zu bestaunen. 
Foto: Johannes Ungemach | Rund 45 Teilnehmer unternahmen anlässlich der Preisverleihung eine Exkursion durch Raues Revier, nicht zuletzt, um die dort auch ohne Zaunschutz üppig wachsende Tannenverjüngung zu bestaunen. 
Bearbeitet von Johannes Ungemach
 |  aktualisiert: 06.11.2023 02:46 Uhr

Das ist nicht nur im Spessart eine Seltenheit: Im Staatswald bei Frammersbach wachsen Millionen junge Tannen – ohne Zaunschutz. Die Baumart gilt als Leibspeise von Rot- und Rehwild. Überhöhte Wildstände verhindern vielerorts ihr Aufwachsen, ebenso wie das etlicher anderer Mischbaumarten.

Dafür, dass das im Frammersbacher Staatswald anders ist, erhielt der zuständige Revierförster Jochen Raue jetzt den "Wald-vor-Wild-Preis 2023". Verliehen wird der seit 2010 vom Ökologischen Jagdverein Bayern (ÖJV). Ein Kernanliegen der 1988 gegründeten Vereins, dessen Bundesverband rund 3500 Mitglieder zählt, ist eine an die Erfordernisse des Waldes angepasste Jagd.

Eigentlich ist die waldgerechte Jagd seit 2005 Gesetzesauftrag. Der Grundsatz "Wald vor Wild" steht seither in Artikel 1 des Bayerischen Waldgesetzes. Doch wohl kaum eine gesetzliche Vorgabe wird auf größerer Fläche missachtet. Die alle drei Jahre erstellten amtlichen Gutachten zur Waldverjüngung attestieren für große Teile Bayerns deutlich zu hohe Wildschäden. Folge: Baumartenreiche Mischwälder, wie sie in Zeiten des Klimawandels am ehesten als zukunftsfähig gelten, wachsen vielerorts und auch in großen Teilen Unterfrankens nicht nach, es sei denn hinter Zaun.

Davon, dass es im Frammersbacher Forst anders ist, machten sich am vergangenen Freitag rund 45 zur Preisverleihung geladene Gäste ein Bild. An zwei Stellen führte Raue den Vertretern aus Naturschutzverbänden, Forst, Jagd und Waldbesitz vor, wie durch konsequente Bejagung Wilddichten entstehen, die eine vielfältige Waldverjüngung ermöglichen.

Kein "Wald ohne Wild"

Wobei man gleich zu Beginn staunen konnte. Sprangen an der ersten Station doch glatt zwei Rehe über den Weg, als die Autokolonne heranrollte. Dazu erklärte Wolfgang Kornder, ÖJV-Vorsitzender, dass der Grundsatz "Wald vor Wild" nichts mit "Wald ohne Wild" zu tun habe, auch wenn dies von Gegnern immer wieder behauptet werde.

Vielmehr, so Kornder, gehe es darum, dass ein vielfältiger Wald ohne Schutz wachsen können müsse. Wild gehöre zum Lebensraum, doch die Grundlage müsse der Lebensraum selbst sein. Die jagdliche Ethik dürfe nicht beim Wildtier aufhören, sie müsse die Verantwortung für den Wald beinhalten.

Die Verbissbelastung sei auch in weiten Teilen des Spessarts und selbst in Teilen des zur Vorbildlichkeit verpflichteten Staatswaldes zu hoch, sagte Kornder. Raue indes habe mit seinem jagdlichen Team über Jahre hinweg eine "kleine Oase geschaffen".

Jagen im Team

Wie das kniehohe Tannenmeer entstehen konnte, durch das sich die Exkursion am ersten Besichtigungspunkt ihren Weg bahnte, erklärte Raue selbst. Seit Jahren jage in dem rund 1700 Hektar großen Revier, das er seit 2009 betreut, ein Team von rund 16 privaten Jägern, oft gemeinsam, nicht selten in Form von Bewegungsjagden, also auch unter Einsatz von Jagdhunden, und schwerpunktmäßig dort, wo es die Waldverjüngung erfordert. Im Schnitt sieben Rehe pro 100 Hektar erlegt Raues Jägertruppe.

Zäune seien nur ganz punktuell nötig, etwa zum Schutz von Eichensaaten, die sonst von Wildschweinen aufgefressen würden. Das alles sei nur im Team möglich, betont Raue. Auch habe er auf die jagdliche Arbeit seines Vorgängers Reinhard Stinzing aufbauen können. "Die Entwicklung zum Dschungel ist nicht mehr weit", beschrieb der Förster sein Revier, in dem auf großer Fläche eine vielfältige Waldverjüngung wächst.

Jochen Raue, Förster im Staatswaldrevier Frammersbach, wurde vom Ökologischen Jagdverein Bayern mit dem Wald-vor-Wild-Preis 2023 ausgezeichnet, weil er mit seinen jagdlichen Mitstreitern eine im ansonsten vielerorts von zu hohen Wildschäden geprägten Spessart eine 'Oase' geschaffen habe.
Foto: Johannes Ungemach | Jochen Raue, Förster im Staatswaldrevier Frammersbach, wurde vom Ökologischen Jagdverein Bayern mit dem Wald-vor-Wild-Preis 2023 ausgezeichnet, weil er mit seinen jagdlichen Mitstreitern eine im ansonsten vielerorts ...

"Mehr kann ein Förster nicht erreichen", sagte Laudator Wolfgang Grimm vom Karlstadter Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über das Wirken Raues. Es sei die Aufgabe eines Försters, nachfolgenden Generationen einen an Baumarten reichen Wald mit einem "Höchstmaß an Nutzungsvariantenvielfalt" zu hinterlassen.

Raue sei bei der Erfüllung dieser Aufgabe schon als junger Förster Vorreiter gewesen, wobei ihm besonders die Teamarbeit am Herzen liege. Der Förster freue sich aufrichtig über den jagdlichen Erfolg seiner Mitstreiter, was in Jägerkreisen alles andere als eine Selbstverständlichkeit sei, so Grimm. "Es ist beeindruckend, welche Fülle uns der Wald schenkt, ohne dass wir über Zäune steigen müssen", lautete sein Fazit zum Wald in Raues Revier.

Langer Atem gefragt

Der ÖJV-Vorsitzende Kornder sprach davon, dass es nicht nur eine Haltung brauche, um den immer wieder in Frage gestellten gesetzlichen Grundsatz "Wald vor Wild" in die Tat umzusetzen, sondern auch großes fachliches Können. Nicht selten scheitere eine waldfreundliche, effektive Jagd am Fehlen dieses Könnens, so Kornder.

Frammersbachs Bürgermeister Christian Holzemer war "stolz darauf, dass ein Ortsbürger eine so wichtige Auszeichnung bekommt". Raue praktiziere nicht nur eine Jagd, die dem durch den Klimawandel unter Druck stehenden Wald diene, es gelinge ihm auch, die Menschen auf diesem Weg mitzunehmen. Auch Ralf Straußberger, der Waldreferent des Bundes Naturschutz, sprach davon, dass die Jagd zentrale Grundlage zukunftsfähiger Wälder sei.

"Ich freue mich sehr für alle im Revier und im Team", gab Raue das Lob an seine Mitstreiter weiter. Er dankte nicht zuletzt den Verantwortlichen des Forstbetriebs Hammelburg, zu dem das Frammersbacher Revier gehört, für deren Rückendeckung. Andreas Füller, stellvertretender Betriebsleiter, ließ durchblicken, dass man in anderen Bereichen des Betriebs noch ein ganzes Stück entfernt ist von der vorbildlichen Umsetzung des Grundsatzes "Wald vor Wild". Insbesondere dort, wo die Rotwildbestände zu hoch seien, etwa im Raum Hammelburg und Teilen des Sinntals, erfordere das Schaffen angepasster Wildbestände einen langen Atem.

 
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