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Lohr
Ein Roman über verdrängte Kriegserfahrungen
Stefanie Gregg zeigt einige Exemplare ihres neuen, schon nach wenigen Wochen meistverkauften Romans „Nebelkinder“.
Foto: Foto privat | Stefanie Gregg zeigt einige Exemplare ihres neuen, schon nach wenigen Wochen meistverkauften Romans „Nebelkinder“.
Wolfgang Weismantel
 |  aktualisiert: 25.07.2020 02:11 Uhr

"Es geht euch doch so gut!", wurde in der Nachkriegszeit den Heranwachsenden immer wieder gesagt. Sie sollten nur nach vorne schauen und die Vergangenheit verdrängen. Genau diese Thematik nimmt die in Lohr aufgewachsene Autorin Stefanie Gregg, geborene Hüttinger, in ihrem gerade erschienenen Roman "Nebelkinder" auf. So nennt man in der modernen Psychologie die Generation der Kriegsenkel, die wenig oder gar nicht über die Kriegs- und Fluchterfahrungen mit ihren Eltern und Großeltern sprechen konnten. Dies hat in vielen Menschen Traumatisierungen und Spuren hinterlassen, die erst sehr spät aufgearbeitet werden konnten. Drei Jahre recherchierte und schrieb die Autorin zu diesem Thema eine Familiengeschichte über drei Generationen. Wir fragten Stefanie Gregg, wie sie selbst in ihrer Jugend und Familie diese Problematik erlebt und in ihrem Roman verarbeitet hat. "Über den Krieg wurde kaum gesprochen", sagt sie im Interview.

Frage: Waren für Sie, als Schülerin am Lohrer Gymnasium, die Erfahrungen Ihrer Großeltern und Eltern in der Kriegs- und Nachkriegszeit zu Hause ein Thema?

Stefanie Gregg: Nein. Da war auch ich ein typisches "Nebelkind". Über den Krieg wurde kaum gesprochen. Manchmal über die Flucht. Doch als Kind erschienen mir die sicher geschönten Erzählungen eher wie ein großes Abenteuer. Mein Großvater, ein großer Erzähler, von dem ich viel geerbt und gelernt habe, hat uns Kindern von der Odyssee bis zum letzten Fernsehkrimi alles als wundervolle Gute-Nacht-Geschichten erzählt – doch nie hat er mit mir über den Krieg gesprochen.

Haben Sie nicht nachgefragt oder wurde darüber ungern geredet?

Gregg: Wohl beides. Man sprach allgemein ungern darüber und glaubte wohl auch, die Kinder und sich selbst damit nicht belasten zu wollen. Wie in fast allen Familien wollte man diese Zeit lieber als abgeschlossenes Kapitel sehen, lang her, zum Glück weit entfernt von der jetzigen, guten Realität. Soweit ich mich erinnere, habe ich auch wenig Fragen gestellt. Die Zeit war zu weit fort, so dass es keinen Gesprächsanlass gab. Im Verlauf der Arbeit an diesem Buch habe ich mit vielen Fremden, aber auch mit meinen Eltern gesprochen. Plötzlich kamen Erinnerungen hoch.

Gehören Sie einer (Schüler-)Generation an, die es kritisch sah, dass die dunkle Seite der neueren Geschichte verdrängt wurde?

Gregg: Absolut. Das war uns allen ganz klar. Wir waren ja auch die Generation, die offen die Last, gar die Schande auf unsere Schultern genommen hat. Wir wuchsen in der Schule bereits mit einem sehr kritischen Geschichtsverständnis auf, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg wurden ausführlich thematisiert. Im Deutschunterricht lasen wir Brecht, Böll, Borcherts "Draußen vor der Tür", Celans "Todesfuge" und so weiter. Wir wussten, dass über diese Themen vieles verdrängt und verschwiegen worden war. Uns war aber nicht bewusst, wie stark dieses Verhalten sich noch auf uns, unsere Kindheit, unsere Gefühle, unser Weltbild auswirkte. Im Ausland habe ich mich damals geschämt, eine Deutsche zu sein. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, eine Deutschlandfahne irgendwohin zu hängen – was die jetzige Jugendgeneration mit einem kritisch-gesunden Nationalbewusstsein wieder tut, zumindest in den meisten Fällen und zur Fußball-Weltmeisterschaft.

Wann sind Sie zum ersten Mal auf den Begriff "Nebelkinder" und seine Bedeutung gestoßen?

Gregg: Im Laufe der Recherche bin ich darüber gestolpert. Dann habe ich festgestellt, dass es Internet-Foren gibt, in denen sich die Kriegs-Enkel zusammenfinden und ihre Erfahrungen erzählen, miteinander teilen und darüber nachdenken. Mir ist klar geworden, dass es ein großes Thema ist, auch für mich persönlich, und für meine ganze Generation.

Durch welche persönlichen Erfahrungen sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Thema in einem Roman zu verarbeiten?

Gregg: Ich fand ein altes Bild meiner Großmutter. In einer Gruppe schick gekleideter junger Menschen stand meine Großmutter, jung, wunderschön, in einem weißen Charleston-Kleid, kokett mit einem weißen Schal um den schmalen Hals geworfen. Daneben stand "Hausball bei Bell. 1926". Immer wieder sah ich auf das großbürgerliche Ambiente, die strahlende Frau, im Mittelpunkt des "Hausballs" – was für ein verheißungsvolles Wort – und verglich sie mit der mir als Kind immer ein wenig traurig erscheinenden, recht schweigsamen Großmutter, die ich kannte. Und fragte mich, wann diese unbändige Lebenslust ihr verloren gegangen war.

Warum haben Sie dann nicht eine Familiengeschichte geschrieben, sondern eigene Figuren erfunden, die mit dieser Problematik konfrontiert werden?

Gregg: Ich bin Schriftstellerin, weder Biografin noch viel weniger Autobiografin. Die Lebensgeschichte meiner Familie ist auch meine eigene. Ich will nicht mit Geschichten über mich erzählen, sondern Figuren entwerfen, die andere berühren. Und in denen andere sich vielleicht auch wiederfinden können.

Haben Sie schon Erfahrungen gemacht, wie unterschiedlich jüngere und ältere Leser das Thema Ihres Buchs aufnehmen?

Gregg: Das Buch ist nun gerade drei Wochen auf dem Markt. Und schon erhalte ich Briefe, die mir sehr nahe gehen. Die jeweiligen Generationen fühlen sich gespiegelt und finden eigene Erlebnisse wieder. Ein Kriegskind berichtete mir von dem spät aus Russland heimkehrenden Vater mit seinen grundlos ausbrechenden Gewaltattacken, die ihre Mutter wenig berührten, als sie später darüber sprechen wollte. Meine Generation der Nebelkinder erkennt sich erstaunlich oft in der Figur der Kriegs-Enkelin Lilith aus meinem Roman wieder, wenn sie an ihre distanzierten Eltern denkt und die Aufforderungen, die sie zu hören bekam: "Sei mal dankbar" und "Mach was aus dir!"

Stefanie Gregg

Geboren 1970 in Erlangen, Abitur in Lohr, studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften. Sie promovierte über "Das Lachen" und interessiert sich für das Abgründige im Menschen, was in ihren Krimis und Romanen immer wieder zum Thema wird.
Heute lebt sie als freie Autorin mit ihrer Familie in Ottobrunn. Zuletzt war sie in Lohr zu Gast im Rahmen der Reihe "Wieder mal daheim".
Quelle:meww
 
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