Seit diesem Jahr sind literarisch und musikalisch Interessierte in die Stadtbücherei eingeladen, um unter dem Motto „Wort-Klang“ die Welt der Literatur und der Musik zu bereisen. In der letzten Veranstaltung dieses Jahres stellte Marita Kasischke im Lesesaal der Hohen Kemenate „Die wilden Seiten des Alltags“ mit ganz besonderen kurzen Geschichten vor. Dirk Rumig steuerte überraschende Jazz-Improvisationen bei.
„Es wird ein wilder Abend“, warnte die Schauspielerin und Journalistin Kasischke, doch bis auf die reichlich derbe Geschichte vom brünstigen kapitalen Keiler Horst zu Beginn, ein paar Unappetitlichkeiten zwischendurch und den „Vorspeisen zum Jüngsten Gericht“ mit viel pechschwarzem Humor als Nachschlag am Ende wurde keiner der rund 40 Besucher allzu sehr aufgewühlt.
Vielmehr bereitete die Heidenheimerin mit einer vielfältigen und spritzigen Literaturauswahl und ihrem natürlichen Erzähltalent viel Freude – mal charmant, mal frech und schelmisch, aber immer den Schalk im Nacken und mit Texten, die für Überraschungen gut sind.
Perfekt führte sie in dem Gedicht von Christian Maintz aufs Glatteis, denn der alte Keiler will zunächst nur eins: eine Sau! „Ihr süßen Sauen, drallen Bachen, Kommt her, dann lassen wir es krachen!“, hallt sein Liebeschrei durch den Wald.
Vanessa im knappen Borstenkleid
Doch als er dann Vanessa, lieblichste der Sauen im knappen Borstenkleid erblickt, verlässt ihn der Mut. Sein Anbaggern führt nicht zum Ziel und er gibt rasch auf: „Das passt heut' schlecht? Na ja, egal. Dann tschüss! Vielleicht ein andermal.“ Der Frosch im Hals der Spider Murphy-Gang lässt wohl grüßen?
In der Auswahl kleiner Geschichten lässt Kasischke weder Männlein noch Weiblein ungeschoren. Da gibt es esoterische Gestalten mit Mantragesängen im Urinbad oder Kommunikations-wütige junge Eltern, die schon aus dem Kreißsaal den ersten Schiss ihres Neugeborenen twittern. Und dann kommt einmal mehr der arme geplagte Mann, der verzweifelt warten muss, bis sich sein Schatz endlich für die Party fertig gemacht hat. Ganz köstlich waren das Jägerlatein von Altmeister Wilhelm Busch über die unglaubliche „Wunderbare Bärenjagd“ und Paul Bokowskis verzweifelter Kampf der portofreien Bestellung einer Waschmaschine, die nach und nach zum Amoklauf gerät.
Amüsante Betrachtungen von Fanny Müller über vier Frauen beim Kinobesuch oder über Männer beim Nüsschen-Essen nach Jürgen von der Lippe machten ebenso Spaß wie altbekannte Probleme mit dem Urlaubsgepäck. Ganz gleich ob es der antike Heinkel-Kabinenroller war, der VW Käfer oder später der Passat: die Raumkapazität reichte noch nie aus. Skurril, wie von Marc-Uwe Kling gewohnt, war die Känguru-Geschichte über Handwerker, die „Blaumannträger mit Schnurrbart“.
Eigenwillige Improvisationen
Interessante Kontrapunkte setzte der Würzburger Musiker Dirk Rumig mit seinen Jazzinstrumenten, einem Sopran- und Tenorsaxofon sowie einer Bassklarinette. Er setzte das eben literarisch Gehörte mit eigenwilligen Improvisationen um, nahm die entstandenen Emotionen spontan auf oder setzte bewusste Gegensätze dazu.
Ein vergnüglicher Abend und Jahresabschluss der neuen Reihe Wort & Klang, die es verdient hat, im nächsten Jahr weitergeführt zu werden.