Der Flüchtlingszustrom hat die Menschen im Jahr 2015 so sehr bewegt wie wohl kein anderes Thema – das gilt auch für den Landkreis Main-Spessart. Jeder Stadt, jeder Verwaltungsgemeinschaft wurden mittlerweile Menschen zugeteilt. Über 1200 Flüchtlinge waren Mitte Dezember im Landkreis untergebracht (siehe Grafik), etwa 900 mehr als zu Jahresbeginn. Die Fluktuation ist hoch – knapp 40 Personen kommen wöchentlich hinzu, dafür ziehen andere weiter oder sie müssen nach Abschluss des Asylverfahrens in ihre Heimat zurückkehren.
Bislang leben die Flüchtlinge im Landkreis vor allem in dezentralen Unterkünften, also in angemieteten Wohnungen oder Pensionen. Die staatlichen Gemeinschaftsunterkünfte spielen eine eher untergeordnete Rolle – noch. Denn in Marktheidenfeld, Lohr und Karlstadt entstehen Häuser, die insgesamt fast 450 Menschen Platz bieten sollen. Die Zahl der Flüchtlinge wird also im kommenden Jahr weiter zunehmen, was weiterhin unser aller Hilfsbereitschaft erfordert – so viel steht schon heute fest.
Im siebten und letzten Teil unseres Jahresrückblicks beleuchten wir, wie die Flüchtlingsfrage den öffentlichen Diskurs und die Nachrichtenlage bestimmt hat – positiv wie negativ. Außerdem zeigen wir, was der Landkreis unternommen hat und noch immer tut, um dem Ansturm Herr zu werden.
JANUAR
Die Räume der neuen Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Altfeld werden gesegnet. Der Caritasverband hat diese Einrichtung aufgebaut. Die ersten Bewohner sind acht Jugendliche aus Eritrea.
FEBRUAR
In Lohr kommen die ersten Flüchtlinge an. Sie stammen aus Syrien und der Ukraine. Ihr Domizil wird das ehemalige „Bürgermeisterhaus“ an der Ignatius-Taschner-Straße. Wenig später wird der „Helferkreis Asyl“ gegründet, der die Flüchtlingshilfe organisieren und in die richtigen Bahnen lenken soll.
Landrat Thomas Schiebel beklagt, dass die Asylverfahren so lange dauern. Drei Monate seien „mehr ein frommer Wunsch als Realität“, sagt er. Die Anerkennungsquote in Main-Spessart liege bei rund 50 Prozent.
MÄRZ
Das Haus St. Michael in Neustadt nimmt die ersten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge auf. Im Laufe des Jahres wird eine weitere Wohngruppe eingerichtet.
APRIL
Die Evangelische Jugendhilfe eröffnet eine Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Arnstein. Acht Jungs im Alter zwischen 15 und 17 Jahren leben hier.
JUNI
Ein außergewöhnliches Pilotprojekt startet in Lengfurt: In einer Nachfolgeeinrichtung werden Flüchtlinge aufgenommen, die bislang in Altfeld lebten und volljährig wurden. Sie bekommen so die Chance, ihre Ausbildung an gleicher Stelle fortzusetzen – und werden nicht willkürlich in Gemeinschaftsunterkünfte verteilt. Treibende Kraft des Projekts ist Pfarrer Alexander Eckert (Esselbach).
JULI
Es wird ernst: Die Regierung kündigt an, dass der Landkreis ab dem 28. Juli darauf vorbereitet sein müsse, bis zu 200 Flüchtlinge zur Erstunterbringung aufzunehmen. Daraufhin wird der Notfallplan aktiviert. Ursprünglich war die Erwin-Ammann-Halle in Karlstadt als Unterkunft vorgesehen – doch dann fällt die Wahl auf das frühere Brauerinternat in Arnstein.
AUGUST
Das „Holzhaus“ in Rechtenbach wird zur Bleibe für Flüchtlinge. Das Haus wurde von dem Mann gekauft, der bereits 2013 den Gasthof „Krone“ erwerben wollte, um diesen als Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Damals hatte die Gemeinde seine Pläne durchkreuzt, indem sie den Gasthof selbst kaufte.
Der Landkreis hilft der Stadt Marktheidenfeld aus der Zwickmühle: Er verpachtet der Stadt eine brach liegende Fläche am Krankenhaus, damit dort Wohnraum für Flüchtlinge entstehen kann. Dafür hatte die Regierung eigentlich das Areal der ehemaligen Straßenmeisterei in der Eichholzstraße vorgesehen. Just diese Fläche wollte die Stadt dem Freistaat jedoch abkaufen, um dort Bauplätze zu schaffen.
Auf Facebook wird die Fanseite „Arnstein wehrt sich – Nein zu Asylmissbrauch“ gegründet. Darauf zeigt sich die hässliche Seite der Flüchtlingsdebatte – mit hetzerischen Postings, die alle Flüchtlinge unter den Generalverdacht des Asylmissbrauchs stellen. Die große Mehrheit der Arnsteiner bietet den Quertreibern die Stirn, viele Einheimische zeigen das auch mit ihrem Engagement im „Helferkreis Asyl“.
SEPTEMBER
Das frühere Hotel Atlantis in Gemünden wird zum zweiten Standort im Rahmen des „Notfallplans Asyl“. Bevor die 100 Flüchtlinge, die der Stadt zugeteilt worden sind, dort einziehen, kommen sie für kurze Zeit in der Turnhalle des Friedrich-List-Gymnasiums unter. Auch in Gemünden schließen sich viele Bürger einem „Netzwerk Asyl“ an.
Der Bauausschuss des Marktheidenfelder Stadtrats beschließt, die Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge neben das Kreiskrankenhaus zu bauen. Dort entstehen fünf zweigeschossige Gebäude in Holzständerbauweise. Eine Belegung mit bis zu 180 Menschen soll möglich sein.
In der ehemaligen St.-Nikolaus-Schule in Wombach kehrt wieder Leben ein: Mehrere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ziehen dort ein. Seit der Zusammenlegung ihrer beiden Schulen am Standort Marktheidenfeld hatte die Lebenshilfe eine neue Nutzung für das Gebäude in Wombach gesucht.
Zum ersten Mal bietet die Berufsschule Main-Spessart in Karlstadt eine Berufsintegrationsklasse für junge Flüchtlinge und Asylbewerber an. Sie bietet Platz für 16 Schüler.
Bei einer Dienstbesprechung richtet Landrat Thomas Schiebel einen dringenden Appell an die Bürgermeister des Landkreises. „Melden Sie uns bitte Wohnraum, den Sie für geeignet halten, um dort Flüchtlinge unterzubringen“, bittet er. Denn, so seine Prognose, die Zahl der Neuankömmlinge werde nicht abreißen.
Die CSU-Fraktion stellt im Gemündener Stadtrat den Antrag, die Scherenberghalle zeitlich begrenzt als Notunterkunft für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Das lehnt die Mehrheit der Ratsmitglieder ab. Argument: Die Halle sei für das Veranstaltungsangebot sehr wichtig, außerdem habe die Stadt bereits weit mehr Plätze für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt als zu verlangen war.
OKTOBER
Die Stadt Marktheidenfeld bekommt die dritte Notunterkunft für Flüchtlinge im Landkreis. Die stillgelegte Berufsschule wird genutzt, damit etwa 100 Menschen, die bislang in Würzburg oder Schweinfurt in Zeltunterkünften gelebt haben, ein festes Dach über dem Kopf bekommen.
Dass die dramatische Zunahme der Flüchtlingszahl einen bürokratischen Kraftakt für das Landratsamt Main-Spessart bedeutet, macht Landrat Thomas Schiebel deutlich. Er spricht von sieben neu geschaffenen Stellen im Jugend- und Sozialamt sowie im Ausländer- und im Schulamt.
Auch in Karlstadt formiert sich ein engagierter Helferkreis. Die Gruppe steht den Flüchtlingen mit Rat und Tat zur Seite.
Unbekannte werfen Feuerwerkskracher in den Garten der Flüchtlingsunterkunft in Rechtenbach. Der Vorfall zieht Ermittlungen der Kripo nach sich. Auf die Böller waren Hakenkreuze gemalt worden.
NOVEMBER
Die Jugendherberge in Lohr, die 96 Plätze hat, wird bis 30. April 2017 vom Landratsamt angemietet und mit Flüchtlingen belegt. Überwiegend werden dort Familien untergebracht, aber auch minderjährige Flüchtlinge.
In Karlstadt beginnen die Arbeiten zum Bau einer Wohnanlage für anerkannte Flüchtlinge. Diese ist die erste in Bayern, die aus dem „Wohnungspakt“ finanziert wird. In dem Sofortprogramm stellt der Freistaat 70 Millionen Euro zur Verfügung. Das Projekt in Karlstadt kostet rund 2,5 Millionen Euro. Im Finanzamtsgarten sind drei Häuser geplant, in denen insgesamt 23 Wohnungen für rund 90 Flüchtlinge entstehen.
Eine ehemalige Gaststätte hat der Unternehmer Ernst Hohnerlein zum „Sozialhaus Trennfeld“ umgebaut. Dort ziehen 15 afghanische Flüchtlinge ein, die zuvor in Arnstein untergebracht waren.
Im Karlstadter Stadtrat werden die Pläne für den Bau einer Gemeinschaftsunterkunft in der Eußenheimer Straße vorgestellt. Drei Gebäude für rund 150 Flüchtlinge sollen dort entstehen. Bauherr ist ein Investor aus Regensburg, die Kosten liegen bei rund 3,5 Millionen Euro.
DEZEMBER
Das Haus 53 auf dem Gelände des Lohrer Bezirkskrankenhauses wird zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. Noch läuft die Generalsanierung, Anfang 2016 sollen dann etwa 100 Menschen dort einziehen.
ONLINE-TIPP
Weitere Teile unseres MSP-Jahresrückblicks: www.mainpost.de/msp-2015