
Bürgermeister Alfred Frank sitzt an einem Tisch in einer Ecke des Gräfendorfer Dorfladens. Er blättert in einer Statistik, die die Bevölkerungsentwicklung seiner Gemeinde bis zum Jahr 2013 zeigt. „Die Prognosen sind schlimm“, räumt er ein. 1411 Einwohner hatte die Gemeinde im Jahr 2010. Im Jahr 2035 sollen es nach der Studie, die vom Landkreis Main-Spessart in Auftrag gegeben worden ist, nur noch 1033 sein – also fast 400 Einwohner weniger. „So wird es nicht kommen“, sagt er selbstbewusst. „Denn wir haben ja den Dorfladen.“
Der Dorfladen in der Hauptstraße von Gräfendorf ist für Bürgermeister Frank eine der Antworten auf den demografischen Wandel. Er steht für ihn nicht nur für die Nahversorgung mit Lebensmitteln, die für die Wohn- und Lebensqualität so wichtig ist, er steht auch für Bürgersinn und Dorfgemeinschaft. Denn mit viel Eigeninitiative, Idealismus und auch eigenem Geld haben die Bürger 2012 das Lebensmittelgeschäft im Ort aufgebaut.
Und das erfolgreich. „Der Laden trägt sich selbst“, sagt Frank, der der Motor des Projekts ist. Was habe es Stimmen gegeben, die gesagt haben, das klappt doch nie. „Wir haben bewiesen, dass es funktioniert“, sagt er. Im Februar wurde das einjährige Bestehen gefeiert und erste Bilanz gezogen. Der Gewinn reicht, um die immerhin sieben Arbeitskräfte und die Pacht zu bezahlen.
Zum Pressegespräch hat Frank an einen Tisch geladen, der mitten im Dorfladen steht. In einem Lebensmittelgeschäft ist dies ungewöhnlich, hier hat er aber seinen festen Platz, denn der Dorfladen soll auch ein Ort der Kommunikation sein, ein Treffpunkt für Einheimische und Fremde. Während des Pressegesprächs ist der Laden gut besucht. Es ist ein Kommen und Gehen. Auf 170 Quadratmeter Verkaufsfläche wird das übliche Sortiment eines Lebensmittelmarktes zu vergleichbaren Preisen angeboten. Zwei Angestellte – eine an der Kasse, eine weitere meistens an der Wursttheke – kümmern sich um die Wünsche der Kunden.
Bürgermeister Frank merkt man an, dass er viel Herzblut in dieses Projekt investiert hat. „Wieviel Zeit haben Sie“, fragt er höflich auf die Frage, wie es zu dem Dorfladen gekommen ist. Er macht deutlich, dass es ein langer Kampf gewesen ist, bis die Voraussetzungen und die richtige Rechtsform dafür gefunden wurde. Doch es habe sich gelohnt. Sympathie und Wohlwollen für seine Idee des Dorfladens habe es von Anfang an gegeben, dies habe die Auswertung eines Fragebogens gezeigt.
Die entscheidende Frage aber war: Sind genügend Bürger bereit, sich auch mit ihrem Geld am Dorfladen zu beteiligen? Im November 2011 hatte er die Bürger aufgefordert, stille Gesellschafter zu werden. Dazu mussten sie eine Einlage von mindestens 200 Euro geben. Wenn nicht insgesamt 36 000 Euro zusammengekommen wären, hätte er das Projekt eingestellt. Eine spannende Zeit, sagt er. Am Ende waren es 54 000 Euro, die 183 Gesellschafter zusammen eingelegt hatten. Die Verträge wurden geschlossen, der Dorfladen öffnete am 1. Februar 2012 seine Türen.
Damit wurde die Abwärtsspirale in Gräfendorf gestoppt, sagt Bürgermeister Frank. Er erzählt von der Verarmung der Infrastruktur, die es in den Jahrzehnten zuvor gegeben hat. Geschäfte gaben auf. „Im Schlecker gab es zum Schluss nur noch Dosenware“, sagt er. Aber selbst dieser hatte Anfang 2011 die Schließung ankündigt. Da hatte es ihm gereicht. So entstand die Idee eines Dorfladens in den Räumen des ehemaligen Schleckers.
In dem Eigentümer des Gebäudes hatte Frank einen wichtigen Verbündeten gefunden. Zwischenzeitlich hatte Schlecker die Kündigung des Geschäfts wieder zurückgenommen, doch der Eigentümer hatte genug von diesem unsicheren Geschäftspartner. Er sympathisierte auch mit der Idee des Dorfladens und war bereit, sein Geschäft für eine weit günstigere Pacht an die Gesellschaft zu vermieten.
Weitere Verbündete waren natürlich die Bürger. Das Gebäude wurde mit viel Eigeninitiative entkernt, zusammen wurden gebrauchte Kühltheken von einem Markt in Norddeutschland gekauft und installiert. Aufgrund der unerwartet hohen Einlage konnte sich die Gesellschaft den Luxus leisten, sich nicht einer Lebensmittelkette anzuschließen. „Dann wären wir unter deren Diktat gewesen“, so Frank. Der Dorfladen ist unabhängig und kann seine Waren frei einkaufen.
„So war der Start; mittlerweile sind wir ja viel weiter“, sagt der Bürgermeister und lächelt vielsagend. Nicht nur dass das erste Jahr gut gelaufen ist, mittlerweile ist die Unternehmensgesellschaft Dorfladen auch Eigentümer des Geschäfts. Der ehemalige Besitzer habe das Haus verkauft und Frank deutet an, dass er dies zu einem Preis getan hat, der von großem Wohlwollen gegenüber dem Projekt geprägt sei. Den Kaufpreis dürfe er aber nicht sagen. Um dies zu finanzieren, habe die Gesellschaft ein Darlehen aufgenommen, das über die Miet- und Pachteinnahmen getilgt wird. Zum Haus gehören noch zwei Mietwohnungen, die nun ebenfalls im Eigentum der Gesellschaft sind.
Hinzu kommt, dass ein Gräfendorfer am Sterbebett dem Dorfladen eine Spende von 25 000 Euro vermacht hat. Und das Projekt hat sich weiterentwickelt. Zum 1. April ist eine Photovoltaikanlage auf dem Dach des Gebäudes in Betrieb gegangen. Seitdem werden mit eigen produziertem Strom die Kühlsystem im Laden versorgt. Die Parkplätze zum Geschäft im Hof müssen noch gestaltet werden und es soll einen barrierefreien Zugang erhalten. Zudem hat das Anwesen einen riesigen Garten, für den es Ideen für die Gestaltung braucht. „Es gibt noch genügend zu tun“, sagt Frank.
Aber nicht nur wegen dem Dorfladen ist sich Frank sicher, dass die pessimistischen Prognosen der Landkreis-Studie für die Gemeinde Gräfendorf nicht in der Härte eintreten werden. Denn es gäbe weitere gute Entwicklungen und er meint damit das Tourismusprojekt „Naturressort Seemühle“ in Gräfendorf. Ein Investor ist derzeit dabei, dort zwischen den Baumwipfeln zehn Baumhäuser zu bauen. Läuft alles nach Plan, wird es ab 2014 möglich sein, in einem Apartment zwischen den Astgabelungen zu nächtigen.
Zudem investiert die Gemeinde in den Rad-Touristik. Zusammen mit dem Landkreis wird demnächst das fehlende Teilstück des Saaletal-Radwegs von Gräfendorf nach Michelau geschlossen.
Aber Frank hat noch ein weiteres Ass im Ärmel, von dem er selbst noch nicht weiß, ob es sticht. In Gräfendorf gibt es eine ehemalige Papierfabrik, die im Jahr 2009 in Insolvenz gegangen ist. Zuletzt hatte sie noch 50 Arbeitsplätze geboten, nun verschandelt sie als Industrieruine den Ort. Sollte sich die Entsorgung als bedenkenlos erweisen, „dann wird es den nächsten Hammer in unserem schönen Saaletal geben“, sagt er und lächelt geheimnisvoll. Mehr könne er dazu nicht sagen. Es ist ihm zuzutrauen, dass dies keine bloße Ankündigung ist.
Die Rechtsform des Gräfendorfer Dorfladens ist eine Unternehmensgesellschaft UG. Gesellschafter ist die Gemeinde Gräfendorf mit einem Stammkapital von 500 Euro.
183 stille Gesellschafter sind mit einer Einlage von jeweils mindestens 200 Euro am Dorfladen beteiligt. Einmal jährlich werden alle stillen Beteiligten zu einer Versammlung mit Bericht über den wirtschaftlichen Erfolg eingeladen.
Sechs gewählte Vertreter der stillen Gesellschafter und ein Vertreter der UG treffen die grundlegenden Entscheidungen über den Dorfladen. Das Ziel ist die Aufrechterhaltung der Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs.