Wer in der Geschichte der Luftfahrt blättert, liest gelegentlich den Begriff „Held“. In der Tat gibt es Menschen, die diesen Begriff verdienen. In den meisten Fällen setzen diese Leute ihr Leben aufs Spiel, um das Leben anderer zu retten.
Einer dieser Helden am Steuerknüppel ist sicher der amerikanische Pilot Chesley Sullenberger, der bekanntlich seinen Airbus nach einem Bird-Strike (Vogelschlag) auf dem Hudson-River in New York landete und dabei das Leben aller Passagiere rettete. Ein weiteres Beispiel: Der kanadische Flugkapitän Robert Price schaffte Ähnliches, als er seinen Airbus A 330 der Fluggesellschaft Air Transat am 24. August 2001 nach einem doppelten Triebwerksausfall in einem „ewig langen Gleitflug“ über 120 Kilometer auf dem Flughafen Lajes der Azoren-Insel Terceira landete. Keiner der 296 Passagiere kam zu Schaden.
Dass es auch hierzulande – allerdings während des unseligen Luftkrieges – einen Helden am Steuerknüppel gibt, dürfte kaum bekannt sein. Der Marktheidenfelder Historiker Kurt Schüll hat Einzelheiten recherchiert.
Kurz nach Mitternacht
27. August 1943 – kurz nach Mitternacht. Am Himmel über Deutschland waren längst alliierte Flugzeuge unterwegs. Auch über Franken war in dieser August-Nacht die Hölle am Himmel los. Vor allem Nürnberg litt in diesen Tagen unter dem Bombenkrieg. Auf dem Rückflug machten die deutschen Nachtjäger den Engländern das Leben schwer. Es kam zu ständigen Luftkämpfen in der Region Main-Spessart.
Im Raum Birkenfeld wurde ein englischer Stirling-Bomber mit sieben Besatzungsmitgliedern in Brand geschossen. Das lichterloh brennende Flugzeug wurde von Pilot Griffin Llewelley Jenkins, einem Oberleutnant, so lange auf Kurs gehalten, bis seine sechs Kameraden die Maschine mit dem Fallschirm verlassen konnten und sicher der Mutter Erde entgegen schwebten. Jenkins selbst hatte keine Chance mehr, sein Flugzeug mit dem Fallschirm zu verlassen. Er stürzte mit dem Bomber am Büchelberg, etwa zwei Kilometer südöstlich von Birkenfeld, senkrecht zur Erde und kam ums Leben. Die Maschine zerbarst in viele Einzelteile.
Die sechs abgesprungenen Besatzungsmitglieder – unter ihnen mit den Engländern verbündete Soldaten der kanadischen und neuseeländischen Luftwaffe – mussten sich den Rest der Nacht irgendwo im Freien um die Ohren schlagen. Der Crash am Büchelberg blieb in der Bevölkerung nicht unbemerkt. Suchtrupps machten sich auf den Weg in Richtung Absturzstelle.
In Kirche gefangengehalten
Drei Besatzungsmitglieder wurden festgenommen und zur katholischen Kirche nach Birkenfeld gebracht. Ein weiterer Soldat tauchte auf einem Grundstück der Familie Vogel in Birkenfeld auf und ging auf den Sohn der Familie, Rudi Vogel, zu. Vogel Junior brachte den Engländer ebenfalls zur Pfarrkirche. In dem Gotteshaus befanden sich nun vier Gefangene. Auch der Küster war mittlerweile dazugekommen. Pfarrer Grünewald war deswegen noch nicht anwesend, weil seine Frühmesse erst später begann.
Die Gefangenen wurden schließlich in das Birkenfelder Rathaus gebracht und dort von deutschen Wehrmachtsangehörigen aus Würzburg abgeholt. Das Kriegsende erlebten sie in verschiedenen deutschen Straflagern. Von zwei weiteren Besatzungsmitgliedern, die sich ebenfalls mit dem Fallschirm retten konnten, fehlte weiterhin jede Spur. Kurt Schüll geht davon aus, dass ihre Flucht ebenfalls in einem Straflager endete.
Absturzstelle weiträumig abgesperrt
Die Absturzstelle am Büchelberg wurde am nächsten Tag weiträumig abgesperrt. Von Pilot Jenkins konnten nur noch kleinere Leichenteile gefunden und geborgen werden. Weil man zu diesem Zeitpunkt vom Verbleib der zwei der noch auf der Flucht befindlichen Besatzungsmitglieder nichts wusste, nahm man an, dass bei dem Absturz drei Engländer ums Leben gekommen waren. Dies war der Grund, warum man zur Beisetzung auf dem Dorffriedhof ein Holzkreuz mit der Aufschrift „Hier ruhen drei englische Flieger aufstellte. Bald nach Kriegsende fand eine Exhumierung statt. Warum damals nicht auffiel, dass nur Leichenteile von einem Engländer (Pilot Jenkins) beigesetzt worden waren, konnte man sich im Nachhinein in Birkenfeld nicht erklären. Jenkins‘ sterbliche Überreste fanden später auf dem Soldatenfriedhof in Dürnbach am Tegernsee ihre letzte Ruhe, wo viele englische Soldaten beigesetzt wurden.
Über den Birkenfelder Flugzeugabsturz gibt es eine Aussage des früheren Bürgermeisters Erwin Redelberger, der damals 16 Jahre alt war und dessen Erinnerungen vor 18 Jahren aufgezeichnet wurden. Redelberger hatte vom Speicher seines Elternhauses den Absturz beobachtet. Trotz großräumiger Absperrung war es ihm am nächsten Tag gelungen, die Absturzstelle aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen. O-Ton Redelberger: „Überall lagen Trümmer Stofffetzen und kleinere Leichenteile herum. Als Junge wollte ich mir natürlich etwas vom diesem Bomber mit nach Hause nehmen. Ich hätte gerne eine englische Pistole gehabt, eine solche war aber nicht zu finden. Dafür nahm ich ein Mäppchen mit Landkarten an mich, das ich aber beim Einmarsch der Amerikaner auf Geheiß meiner Eltern wegwerfen musste.“
Die Aufzeichnungen von Edward G. Pierce
Dass mit dem Flugzeugabsturz bei Birkenfeld ein „menschliches Kuriosum“ mit glücklichem Ausgang verbunden ist, wurde erst nach dem Krieg in Aufzeichnungen der Royal Airforce bekannt. Unter den Überlebenden befand sich auch der aus Neuseeland stammende Oberleutnant Edward G. Pierce. Dieser Offizier hatte bereits als einer von nur zwei Besatzungsmitgliedern Mitte Mai 1943 den Absturz eines Stirling-Bombers bei Chedburgh im Osten Englands überlebt. Auch er war mit einem Fallschirm sicher auf der Erde gelandet.
Unter den Überlebenden des Flugzeugabsturzes bei Birkenfeld befand sich auch der Bordfunker Jack Dickinson. Er hatte den Absturz nach seinem Fallschirmabsprung beobachtet und schildert seine Erlebnisse in mehreren Kapiteln seiner Kriegserlebnisse, die 1999 unter dem Titel „The Time of my Life 1940-1945“ (Die Zeit meines Lebens) erschienen sind. Dickinson war Kriegsgefangener im Stalag (Stammlager) in Mühlberg an der Elbe in Brandenburg (Landkreis Elbe-Elster), das im April 1945 von den Russen befreit wurde.