Vor zwei Jahren gewann Bernd Liebisch den Kunstpreis zum Thema "Aufbruch" der Stadt Marktheidenfeld. Sein Gemälde "Gleiszugang" lag auch im Publikumsurteil an der Spitze. Deshalb kann der Aschaffenburger Künstler nun bis zum 8. Mai im rückwärtigen Ausstellungsbereich des Franck-Hauses eine Ausstellung zeigen, für die er den Titel "Irritation: Foto" wählte. Die dreizehnte Auflage des Kunstpreises im Herbst wird derzeit im Marktheidenfelder Rathaus vorbereitet.
Wer eine brave Gemälde-Ausstellung erwartet hatte, den lässt Bernd Liebisch im Franck-Haus nun staunen. Kurz zeigt er mit wenigen frühen Bleistiftzeichnungen sein handwerkliches Können im Reich der Grautöne auf. Lediglich vier, neuere Gemälde sind zu finden, darunter das eindrucksvoll frei im Raum schwebende, sechs Meter lange Panorama "Gipfelszene auf der Milseburg".
Zum bestimmenden Element der geschickt inszenierten Ausstellung sind großformatige Fotoausdrucke geworden. Sie entstanden nach Aufnahmen, die Liebisch mit seiner Handy-Kamera an Alltagsorten bevorzugt in Aschaffenburg oder vereinzelt auch in Marktheidenfeld einfing. Dabei nutzt er verfremdende Effekte wie die Panoramafunktion, sorgt mit Gegenlicht, Überbelichtung, perspektivischer Verzerrung oder Spiegelungen für überraschende Irritationen in der Wahrnehmung. Im Obergeschoss findet dies in einer Video-Präsentation über die "Glasmenschen" in der transparenten Architektur des Berliner Hauptbahnhofs eine erst jüngst gewonnene, neue Ausprägung.
Von der besonderen Vielfalt der gezeigten Werke zeigte sich auch Bürgermeister Thomas Stamm bei der Ausstellungseröffnung vor 30 Gästen beeindruckt. Er ging auf das Wettbewerbsthema im Jahr 2020 ein und meinte, dass der "Aufbruch" inzwischen nicht nur im Hinblick auf die Corona-Pandemie zum Dauerbrenner geworden sei. Auch die Herausforderungen durch die gegenwärtige Ukraine-Krise stellten die Stadt vor neue Aufgaben, die man gemeinsam bewältigen werde.
In Liebischs Werk führte Jan Soldin, seit vergangenem Jahr Leiter des Museums Otto Schäfer in Schweinfurt, ein. Der 1963 geborene Aschaffenburger sei schon durch die Arbeiten seines Vaters mit der Kunst des Surrealismus vertraut geworden. Die Auseinandersetzung zwischen Abbildung und Verfremdung bestimmten schon seine Schuljahre mit dem Kunstlehrer Gunter Ullrich und sein Studium der freien Malerei an der Hochschule für Künste im Sozialen im niedersächsischen Ottersberg.
Zurückgekehrt nach Aschaffenburg seien Stadt, Mensch und Landschaft in Liebischs Blickpunkt gerückt. Dies mache das zentrale Milseburg-Panorama in der Ausstellung exemplarisch deutlich. Es wecke bei genauem Hinsehen besonderes Interesse, da sich durch die Doppelung von Motiven und Personen das Zeit-Raum-Kontinuum auf den beiden Seiten des gemalten Triptychons aufzulösen scheine. Ausführlich ging Soldin auf besondere Techniken, die aus der Fotografie resultierten, ein, wie Stauchung, Verzerrung, Gegenlicht oder Reihung von Bruchstücken. Hinzu kämen weitere Irritationen wie das Fotografieren durch die Klarsichtfolie eines Pavillonzelts.
Durch Liebischs geschultes Auge, so stellte Soldin fest, werde Verborgenes sichtbar, der Blick des Menschen irritiert und erweitert. Und das sei in unseren Tagen doch notwendiger als je.