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Lohr
Wie ein gebürtiger Lohrer DJ die Corona-Krise in Berlin erlebt
Der Discjockey Johannes Albert.
Foto: Sascha Ebeling | Der Discjockey Johannes Albert.
Bearbeitet von Pat Christ
 |  aktualisiert: 12.03.2022 02:26 Uhr

2016 begann er, sich ernsthaft mit dem Gedanken zu tragen, seinen Job als Wirtschaftsinformatiker aufzugeben. "Ich wollte nicht länger acht Stunden am Tag vor dem Computer sitzen", erzählt Johannes Albert aus Lohr. Vor genau fünf Jahren startete der heute 38-Jährige seine Karriere als freiberuflicher DJ und Musiker in Berlin. Diese Entscheidung bereut er auch nicht. Obwohl ihn die Corona-Krise hart getroffen hat: "Ich habe rund 70 Prozent meiner Einkünfte verloren."

Mehr oder weniger alle Bürger stimmten im März 2020 darin überein, dass etwas unternommen werden müsse, um das Coronavirus daran zu hindern, sich auszubreiten. Auch Johannes Albert stand voll hinter den Maßnahmen. Obwohl sie ihm, wie er selbst sagt, über weite Strecken hinweg quasi ein "Berufsverbot" beschert haben. Nun sind zwei Jahre vergangen. Und erst allmählich gibt es für Clubs wieder so etwas wie eine Perspektive. Die Situation macht dem Vater eines kleinen Sohnes nicht nur in Bezug auf seine eigene Existenz Sorgen. Der DJ sieht, dass junge Leute ihre aus entwicklungspsychologischer Sicht wichtigen Bedürfnisse lange nicht ausleben können: "Manche werden darunter womöglich jahrelang leiden."

"Wir brauchen Perspektive"

Dass sich aktuell die gesellschaftlichen Spannungen vertiefen, ist ebenfalls etwas, worüber sich der Wahlberliner Gedanken macht. Wobei die Menschen in jenen künstlerischen Kreisen, in denen sich Johannes Albert in Berlin bewegt, noch immer zur Politik stehen: "Doch allmählich beginnt es zu bröckeln." Die Ungeduld wachse. Und zwar vor allem deshalb, weil man in der Szene sieht, wie sich andere Länder verhalten. Länder wie Dänemark etwa. Oder die Schweiz. "Auch wir brauchen endlich eine Perspektive", sagt der gebürtige Lohrer.

Die Gewissheit wächst, dass wir wohl mit dem Virus werden leben müssen. Von daher hat der Berliner Senat inzwischen Öffnungen beschlossen. Es darf in Clubs wieder getanzt werden. Auch bei Johannes Albert trudeln zum Glück inzwischen wieder Anfragen ein. Kürzlich hat er nach etwa drei Monaten erstmals wieder aufgelegt. Und zwar in der Schweiz. Ein Klub in Lausanne hatte ihn eingeladen.

Ein Beispiel aus der Berliner Szene zeigt besonders drastisch, wie schwer es DJs in den vergangenen zwei Jahren hatten. "Zwei Freunde von mir legen immer gemeinsam auf, sie haben eine GbR", erzählt Johannes Albert. Diese Gesellschaft bürgerlichen Rechts verhinderte, dass sie staatliche Unterstützung erhielten. So etwas kann Johannes Albert nicht verstehen: "Politiker scheinen keine Vorstellung davon zu haben, wie freiberufliche Künstler arbeiten und leben." Hätten sie mehr Ahnung gehabt, hätten sie es einfacher gemacht, dass Kreative an Hilfen kommen: "Warum hat man nicht schlicht alle Künstler, die, wie auch ich, in der Künstlersozialkasse sind, als Künstler anerkannt?"

Oft ein kärgliches Dasein

Auch wenn die Kunst nach dem Grundgesetz frei ist, ist sie doch nicht autark. Selbst zu normalen Zeiten fließen Fördergelder. Doch auch mit staatlichen Zuschüssen führen viele Menschen, die freiberuflich als Künstler arbeiten, ein eher kärgliches Dasein – obwohl sie in den meisten Fällen sehr viel arbeiten. Das alles ist für Johannes Albert auch okay. Eines jedoch habe er als "Schlag ins Gesicht" empfunden: Das Angebot an Künstler, einfacher Hartz IV beantragen zu können. Für ihn wäre es unvorstellbar, Hartz-IV-Empfänger zu werden. Zum Glück hatten die Hilfen in seinem Fall gereicht: "Ich wäre wohl aber auch zu stolz gewesen, einen Antrag auf Hartz IV zu stellen."

Dass er so schnell so böse Jahre erleben könnte, hätte er 2017, als er seinen Job aufgab, nicht gedacht. "Wobei ich mir ein ganzes Jahr lang sehr intensiv Gedanken über diese Entscheidung gemacht habe, sie ist mir nicht leicht gefallen", gibt Johannes Albert zu. Doch er habe in seinem Job als Wirtschaftsinformatiker keinen Sinn mehr gesehen. Das Gefühl, damit nur die eigene Lebenszeit zu verschwenden, sei immer stärker geworden. Vor fünf Jahren sprang er dann ins kalte Wasser. Und es lief drei Jahre lang richtig gut. Johannes Albert legte in Clubs quer durch Deutschland auf. Er war in Russland, in Asien, in Südafrika.

Jeder Club ist anders

In einem Club zu stehen und Platten aufzulegen, ist so ziemlich das Beste, was sich Johannes Albert vorstellen kann. "Mich fasziniert das Soziale, das Gemeinschaftliche an diesen Abenden", sagt er, der zu normalen Zeiten mindestens fünfmal im Monat auflegt. Und zwar meistens mitten in der Nacht zwischen 1 Uhr und 5 Uhr am Morgen. Ein DJ, erzählt er, lebt ganz im Moment. "Natürlich ist dieser Moment flüchtig, aber er wird kostbar dadurch, dass er einfach nicht mehr reproduzierbar ist", erzählt der Musiker.

Jungen Menschen wunderbare Momente zu bescheren, ist das deklarierte Ziel seiner Kunst. Das klingt easy, ist allerdings höchst anspruchsvoll. Man müsse die Leute "lesen" können. Sie seien an jedem Abend anders. Und sie seien in jedem Club anders. "Es kann sein, dass die Leute in einem Berliner Club morgens um 3 Uhr zu einem Song ausflippen, der ein Wochenende später in einem Club in München überhaupt nicht ankommt", erzählt der House-Fan.

Discjockey

1959 eröffnete Klaus Quirini alias DJ Heinrich in Aachen die weltweit erste Discothek. Damit wird er als DJ-Pionier angesehen. Bis heute sind Discjockeys eine wenig bekannte Berufsgruppe in der Kreativwirtschaft. Dabei gibt es seit genau 40 Jahren einen eigenen Berufsverband. Ein echtes Berufsbild existiert allerdings bis heute nicht. Zu den Zielen des Berufsverbands gehört es, den Beruf Fachkraft für Musikunterhaltung zu kreieren.
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