Die Lohrer Spessartfestwoche muss wegen der Corona-Pandemie heuer das zweite Mal in Folge ausfallen. Die neue Veröffentlichung des Arbeitskreises Heimat und Geschichte der Volkshochschule (Vhs) über 75 Jahre Spessartfestwoche solle darüber ein wenig hinwegtrösten, meinte Bürgermeister Mario Paul bei der Vorstellung des Buches am Dienstag in der Alten Turnhalle.
"Es gibt hier zwar keine Maß Bier und kein Brathendl, aber Wissen über die Entstehung der Festwoche", stimmte Susanne Duckstein das knapp 50-köpfige Publikum ein. Die Vhs-Leiterin trug passend zum Thema ein Dirndl und bescheinigte dem Arbeitskreis, über ein Jahr am Buch gearbeitet zu haben.
Für den Co-Veranstalter Geschichts- und Museumsverein meinte Ehrenvorsitzender Karl Anderlohr, die Festwoche sei für ihn mit vielen Erinnerungen verbunden. Das konnte auch Bürgermeister Paul bestätigen, dessen jüngstes Kind 2018 am "Tag der guten Nachbarschaft" zur Welt kam. Gerade wenn man etwas vermisse, bemerke man, was es einem bedeute, sagte der Lohrer Rathauschef zur zweijährigen Festwochenpause. Der Arbeitskreis habe zeitintensiv und gründlich recherchiert, so dass die Leser die "Tradition unseres Volksfestes nachempfinden" könnten.
Eintritt bis 1957
Den Inhalt des Buches stellte Arbeitskreisleiter Karl-Heinz Schroll vor. Veröffentlicht wurde es bereits im Dezember, doch die Präsentation konnte coronabedingt erst jetzt erfolgen. Los ging es mit der Festwoche im September 1946 in Verbindung mit der 100-Jahr-Feier des TSV Lohr. Bis 1957 musste für sie Eintritt bezahlt werden.
Die Bandbreite der zehn Festtage nannte Schroll erstaunlich. Sie reichte von Volksbelustigungen, einer Schau landwirtschaftlicher Erzeugnisse und einer Ausstellung von Industrieprodukten bis hin zu Kunstausstellungen, Kino, Konzerten und Sportveranstaltungen wie einem Jubiläumslauf am 23. September 1946 rund um Lohr.
Davon hat Schroll erst vor wenigen Tagen bislang unbekannte Fotos erhalten. Nicht so breit war das Angebot im Festzelt. Zu trinken gab es Dünnbier, zu essen vor allem Kartoffelpuffer, denn ein Jahr nach Kriegsende waren die Lebensmittel noch rationiert. 1948 wurden auf dem Festplatz die ersten Brötchen in Lohr angeboten, die ohne Lebensmittelmarken zu haben waren.
Festzüge gut dokumentiert
Breiten Raum im Buch nehmen die Festzüge ein, die fotografisch gut dokumentiert sind. Von 1949 bis 1955 gab es sie jedes Jahr – allerdings ganz anders als in der Gegenwart. Historien- und Märchendarstellungen (ab 1950 mit Schneewittchen) wechselten sich ab mit Firmenpräsentationen, Sportler- und Handwerkergruppen.
Der Leser kann sich an Meilensteine erinnern lassen wie den Umzug der Festwoche 1976 auf die Mainlände nach Eröffnung der zweiten Mainbrücke. Im selben Jahr startete auch der neue Festwirt Xaver Widmann, der Vater des jetzigen Festwirts Franz Widmann, der gleich am ersten Wochenende Randale im Festzelt provozierte, weil er nach niederbayerischer Sitte schon eine halbe Stunde vor Mitternacht den Bierhahn zudrehte.
Daneben erfährt der Leser auch Details wie das Material der Festbierkrüge, die bis 1963 aus Steingut waren und seither aus Glas sind. Auch die Tätigkeit von Dieter Daus kommt zur Sprache, der seit 1988 städtischer Festwochenkoordinator ist. In seine Zeit fallen Veränderungen wie das neue Festwochenplakat von Jan-Peter Kranig (1991), der erste Keiler-Weißbierfrühschoppen (1996) und diverse Showabende.
Das Buch hat 132 Seiten mit circa 280 Bildern und rund 25 Illustrationen. Mehr als 30 Sponsoren sorgten dafür, dass das Werk für 9,90 Euro im örtlichen Buchhandel angeboten werden kann. "Wenn alles so läuft, wie wir uns das vorstellen", kommt nach Schrolls Worten bis Weihnachten die nächste Veröffentlichung des Arbeitskreises heraus: über den TSV Lohr zu dessen 175. Geburtstag.